Ungeliebte Minderheit in der Minderheit?

Erwin Harbeck/MLC, Wolfgang Schürger
CSD
Ungeliebte Minderheit in der Minderheit?
Wie gehen Queers als gesellschaftliche Minderheit mit Minderheiten in der eigenen Community um? Wie vielfältig darf ein CSD sein? Wolfgang Schürger erinnert an das christliche Ideal des Miteinanders in Vielfalt.

„Das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten.“, so war es vom 20. November 2020 bis zum 17. Juli 2021 in den „Grundsätzen“ des CSD Bremen zu lesen, der am 28. August stattfinden wird. Als queer.de dies am 17. Juli 2021 publik macht (Link), geht ein Aufschrei durch die queere Szene, Daniel Bache und Frank Laubenburg, die Bundessprecher von DIE LINKE.queer, sprechen von einem „reaktionären Vorgehen“ des CSD-Vereins und davon, dass mit diesem Grundsatz die Geschichte des CSD verhöhnt werde (Link).

Auch wenn der CSD-Verein inzwischen zurückgerudert ist und betont, dass nur sexualisierte Darstellungen nicht erwünscht seien, ist der Vorfall für mich Anlass genug, um in diesem Blog (wieder einmal) darüber nachzudenken, wie wir mit der Vielfalt innerhalb der queeren Community umgehen. Lesbische Frauen können dazu ihre eigene, leidvolle Geschichte erzählen: Bis zur Jahrtausendwende etwa waren die CSDs, aber auch die öffentliche Wahrnehmung von Homosexuellen insgesamt, von schwulen Männern dominiert. Lesben durften als „Dikes on Bikes“ einen CSD-Umzug anführen, wurden ansonsten aber doch eher mit Befremden von den männlichen Teilnehmern des Umzuges wahrgenommen. Ähnlich erging es meist Transvestiten, die zwar als exponierte Drag Queens willkommen waren, unter den Teilnehmenden aber ebenfalls eher mit der Distanz des Exotischen behandelt wurden. Viele der CSDs der 90er Jahre, die ich erlebt habe, waren eindeutig dominiert von Ledermännern, die schwule Maskulinität selbstbewusst zur Darstellung brachten.

Die in den 90er und auch 00er Jahren noch zahlreich vorhandenen Szene-Lokale waren meist relativ klar einem bestimmten Teil der queeren Bewegung zuzuordnen: Die Ledermänner im Ochsengarten, die Lesben in der Karotte, um nur zwei Münchner Beispiele zu nennen. Es ist das Verdienst der in der Regel selbstverwalteten queeren Zentren wie SUB, Schwuz und anderen, die verschiedenen Sektoren der Community zusammengebracht zu haben.

In den 00er Jahren wurden die CSDs dann bunter und vielfältiger, die verschiedenen Sektoren der queeren Community wurden sichtbar – und das Spektrum deutlich breiter: Transmänner und Transfrauen, Non-Binäre und eben auch der ein oder andere unerwartete Fetisch, zuletzt vor allem die Puppies.

Wie die christliche Gemeinde mit Vielfalt und sozialen Unterschieden umgehen soll, ist immer wieder Thema des Apostels Paulus. Sein Spitzentext dazu, den ich selber seit vielen Jahren immer wieder auch als Argument für die Gleichberechtigung queerer Menschen in unserer Kirche lese, steht im Galaterbrief:

„Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27f)

Ethnische, soziale oder kulturelle Unterschiede sollen in der christlichen Gemeinde keine Rolle mehr spielen – dies wirklich zu leben, war und ist über all die Jahrhunderte hindurch eine bleibende Herausforderung, wie die Mahnungen des Apostels an seine Gemeinden zeigen und wie wir auch in unseren eigenen Gemeinden spätestens dann erleben, wenn es darum geht, Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund oder unterschiedlicher sozialer Milieus zu integrieren.

Die Begegnung mit dem Anderen, Unbekannten verunsichert, stellt eigene Gewohnheiten infrage und offenbart, wo meine eigene Emanzipation oder Liberalität ihre Grenzen haben. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Kongress der Regenbogen-Christ*innen vor einigen Jahren, bei dem wir erbittert über die Liturgie eines Abendgebetes diskutierten, weil der ältere schwule Liturg absolut nicht verstehen wollte, warum – nicht nur – die lesbischen Teilnehmerinnen sich von der patriarchalen Sprache der Liturgie nicht angesprochen fühlten.

Selbst wenn wir nicht das Ideal des Paulus an die CSDs unserer Tage anlegen wollen: In aller queeren Vielfalt sind wir eine Minderheit in dieser Gesellschaft. Wir sind bunt und wir sind viele. Die meisten von uns haben in irgendeiner Form Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren, mussten selbst den Weg zu ihrer Lebensform finden. Wenn nun bestimmte Gruppen innerhalb dieser Minderheit mit dem Argument ausgegrenzt werden, dass dies der gesellschaftlichen Mehrheit nicht zuzumuten sei, dann ist das tatsächlich so etwas wie ein Verrat an der eigenen Emanzipationsgeschichte. Nur allzu schnell nämlich, das zeigen die Entwicklungen in Ungarn, könnte diese gesellschaftliche Mehrheit auch wieder zu der Auffassung gelangen, dass auch der „normale“ Schwule und die „normale“ Lesbe keinen Platz in der Gesellschaft haben soll.

Auch die Klarstellung des CSD-Vereins vom 18. Juli 2021 bleibt für mich daher problematisch: „Wir denken, dass die Darstellung von Sex, sexuellen Handlungen, wie zum Bespiel symbolische Penetration, Einführen von Dildos tief in den Hals u. Ä. bei der Vertretung unserer Forderungen gegenüber Dritten, wie zum Beispiel der Politik nicht hilfreich ist.“ (Link) Anstoß nimmt der Verein nicht an sexuellen Handlungen selbst, die natürlich in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben, sondern an der Darstellung derselben. Natürlich, auch das provoziert, aber wer zumindest ab und zu ein gängiges Musikvideo ansieht, merkt, wie viel sexualisierte Symbolik in diesen Videos oft präsentiert wird. Soll der CSD biedermännischer als der Mainstream der Gesellschaft sein? Das wäre schlimm!

Gerade er beliebteste Fetisch der letzten Jahre macht dabei übrigens deutlich, wie vielfältig Fetisch sein kann: Die Puppies haben so gar nichts von sexualisierter Darstellung, sie sind schlicht und einfach nur verspielt und liebenswert. Vielleicht fühlt sich ja mancher traditionelle Ledermann gerade dadurch in seiner Männlichkeit in Frage gestellt. Die Atmosphäre bei den CSDs jedenfalls hat sich durch die Puppies noch einmal deutlich verändert: hin zu einer verspielten Leichtigkeit! Es lebe die Vielfalt!

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