Schüler auf den Spuren von NS-Opfern

Seite aus der Grafic Novel "Wo ist Lotte?"
epd-Bild/Heike Lyding
In Form einer Grafic Novel erzählen Schüler die Geschichte von Lotte Sondheimer
Wenn Geschichte lebendig wird
Schüler auf den Spuren von NS-Opfern
Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 und 11 haben die Lebensgeschichte einer Jüdin recherchiert und mit der Künstlerin Hannah Brinkmann kreativ umgesetzt. "Wo ist Lotte?" heißt die dabei entstandene Graphic Novel.

Lotte Sondheimer aus dem hessischen Gelnhausen ist eine moderne junge Frau. Sie studiert in Paris und schreibt eine Doktorarbeit über die deutsche Sprache. Ihr letzter Brief erreicht ihre Familie am 4. August 1942, am 10. August desselben Jahres steht ihr Name auf einer der Transportlisten des Vernichtungslagers Auschwitz. Danach verliert sich ihre Spur. Recherchiert haben das Schülerinnen und Schüler mit Unterstützung des Arolsen Archives in einem Erinnerungsprojekt, an dessen Ende die Graphic Novel "Wo ist Lotte?" entstanden ist.

Die Geschichte der 1907 geborenen Lotte Sondheimer erzählt die Graphic Novel mit Auszügen aus Dokumenten und Briefen und zugleich mit Zeichnungen der Künstlerin Hannah Brinkmann. Die Schülerinnen und Schüler hätten mit der dokumentarischen und der erzählerischen Arbeit gelernt, gesicherte Fakten von Interpretation zu unterscheiden, erklärt Birthe Pater, Leiterin des Referats Education der Arolsen Archives, dem Evangelischen Pressedienst.

Durch das Ausprobieren neuer Erinnerungsformate wie der Arbeit an einer Graphic Novel gelinge es, Geschichte lebendig zu vermitteln und Erinnerung wachzuhalten. Es entstehe etwas Neues, wenn junge Menschen mit ihren Fragen an die Geschichte eine neue Perspektive aufzeigen, erläutert die Politikwissenschaftlerin. Die Arolsen Archives sind nach eigenen Angaben das weltweit umfangreichste Archiv zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus.

Bezüge zum eigenen Leben

Ein Schuljahr lang haben Schüler:innen der Jahrgangsstufen 10 und 11 des Grimmelshausen-Gymnasiums in Gelnhausen in einer Arbeitsgruppe recherchiert. Sie haben Archive durchforstet, Gedenkstätten und Museen besucht und an einer internationalen Konferenz in Bratislava teilgenommen. Dem Engagement der Jugendlichen etwa ist zu verdanken, dass in der Novel ein Foto von Lotte zu sehen ist. Gefunden wurde es im Archiv der Universität in Paris auf ihrer Studienbescheinigung.

Die Lehrerin der Schüler-AG, Christine Bischoff, hat die Jugendlichen bei der Arbeit "ergriffen, engagiert, nachdenklich, reflektiert und diskussionsfähig" erlebt, schreibt sie in der Novel. Über die Recherche und die künstlerische Umsetzung mit der Zeichnerin Brinkmann hätten die Jugendlichen auch Bezüge zu ihrem eigenen Leben gefunden und sich etwa gefragt, wie sie selbst in einem Unrechtsregime gehandelt hätten.

Zahlen bekommen ein Gesicht

Zu Beginn des Projekts haben sich die Schülerinnen und Schüler verschiedene Stolpersteine in Gelnhausen angesehen und sich geeinigt, die Lebensgeschichte von Lotte Sondheimer zu recherchieren. Ihr Stein liegt vor ihrem Elternhaus, das sie bereits Anfang der 1930er Jahre verlassen hat. Ihre Eltern sind 1938 nach München gezogen, als die Anfeindungen in Gelnhausen zu stark wurden, und 1939 in die USA emigriert.

Heute sei ihr bewusst, dass hinter den Namen auf den Stolpersteinen "ein ganzes Leben steckt", so die Schülerin Maike Janssen (16) in einem in der Novel abgedruckten Interview. Lottes Bemühen, ihren Traum von der Schauspielerei umzusetzen, habe sie beeindruckt. "Und ich fand schlimm zu sehen, wie sie daran gehindert wurde", fügt die Schülerin hinzu. Max Rümmels (18) sagt, dass die Schüler durch die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus im Unterricht gewusst hätten, dass die Zeit schrecklich war. Durch das Projekt jedoch hätten die abstrakten Zahlen ein Gesicht bekommen und es sei klarer geworden, "was damals alles zerstört wurde".

Die Arolsen Archives haben die Workshops mit den Schülern im Rahmen des EU-Projekts "Facts not Fiction" umgesetzt. Die Mitarbeitenden des Referats Education haben dazu ein Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe auch andere Schulen mit dem Format Graphic Novel auf Spurensuche gehen können.
Die Mutter von Lotte Sondheimer starb 1946 in New York, ihr Vater 1949. Gertrud und Elkan Sondheimer haben nie erfahren, was aus ihrer Tochter geworden ist.

Die Graphic Novel "Wo ist Lotte" ist zum Preis von acht Euro zu beziehen über die Arolsen Archives, E-Mail: myorder@arolsen-archives.org