Exakt 141 Briefe und 25 Postkarten aus der Zeit von 1940 bis 1945 lagerten jahrzehntelang auf einem Dachboden bei Bad Kreuznach.
Adressiert waren die Schreiben in sorgsamer Handschrift an Stanislaw Jakóbczyk in "Duchroth, Westmark". "Wir mussten das Elternhaus meines Mannes leerräumen", berichtet Dorit Frick von dem Zufallsfund, der mittlerweile von Historikern des Deutschen Polen-Instituts ausgewertet wurde.
Jakóbczyk, Jahrgang 1916, war nach dem deutschen Überfall auf Polen in Kriegsgefangenschaft geraten und gelangte auf einen Bauernhof im Naheland. Sein Schicksal steht stellvertretend für das von fast drei Millionen polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.
Das Polen-Institut sammelt seit einigen Jahren systematisch Spuren der Zwangsarbeiter auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Mit einer Serie von regionalen Wanderausstellungen unter dem Titel "Lebenszeichen" soll an diese Menschen erinnert werden. Den Anfang macht eine Schau, die das heutige Rheinland-Pfalz und das Saarland in den Fokus nimmt und erstmals im Haus der Stadtgeschichte in Bad Kreuznach zu sehen ist.
Die Polinnen und Polen hätten zahlreiche Spuren hinterlassen, vielfach seien diese aber vergessen oder verdrängt worden, sagt Projektleiterin Julia Röttjer. Dabei seien die Zwangsarbeiter im Alltag allgegenwärtig gewesen: "So gut wie jeder Deutsche kam regelmäßig mit ihnen in Kontakt." Rund 30.000 große und kleine Lager hätten die Nationalsozialisten für sie eingerichtet - "ungefähr so viele, wie es heute Supermärkte gibt". Im Zuge des Projekts wurden private Archive ausgewertet, Friedhöfe mit erhaltenen Gräbern polnischer Zwangsarbeiter dokumentiert und eine Reihe von Einzelschicksalen rekonstruiert.
In Großbetrieben wie der Völklinger Hütte, dem Chemiewerk der "I. G. Farben" in Ludwigshafen oder den unterirdischen Stollen an der Mosel, wo die Firma Bosch Zündkerzen fertigen ließ, waren Tausende von Zwangsarbeitern beschäftigt. Unabhängig vom Einsatzort galten die Regeln der sogenannten "Polen-Erlasse" von 1940: Polnische Zwangsarbeiter mussten ein sichtbares Abzeichen an der Kleidung tragen, ähnlich wie Juden.
Die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder Kirchbesuche waren ihnen verboten. Dabei wurden Menschen aus Polen deutlich schlechter behandelt als Westeuropäer.
Besonders drakonische Strafen waren für "verbotenen Umgang" zwischen Polen und Deutschen vorgesehen. Nur in wenigen Orten wird die Erinnerung an diese Opfer des Rassenwahns hochgehalten, etwa in der Eifel-Ortschaft Mörz. Dort wurde ein Stolperstein für Boleslaw Stachowiak verlegt. Eine junge Frau aus dem Ort hatte sich in den Mann verliebt und war schwanger geworden. Nachdem das Paar 1942 vom Schwager der Frau denunziert worden war, landete die Frau im KZ, ihr Baby kam in ein Waisenhaus. Stachowiak wurde ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. Die Verantwortlichen wurden später nie zur Rechenschaft gezogen.
Im Vergleich zu vielen seiner Landsleuten hatte Stanislaw Jakóbczyk Glück im Unglück. Seine Familie wusste immerhin, wohin es ihn verschlagen hatte und hielt ständigen Briefkontakt mit ihm. Wie aus dem Dachbodenfund von Duchroth hervorgeht, gelang es ihm sogar, regelmäßig Geld nach Polen zu schicken.
Seine verzweifelte Freundin beklagte sich regelmäßig, er schreibe zu selten: "Es ist eine Woche her, dass ich nach so langem Schweigen einen Brief erhalten habe. Wolltest Du mich ganz und gar vergessen?" Auch kleine Geschenke wie getrocknete Stiefmütterchen und sogar Wein fanden ihren Weg von der Nahe nach Oberschlesien und zurück.
Vor allem aber überlebte Jakóbczyk den Krieg und kehrte vermutlich Ende 1945 in seine Heimat zurück. Kurz vor seinem Tod 1999 sei er von der Bundesrepublik entschädigt worden, berichtet Projektleiterin Röttjer. Für die Jahre in deutscher Gefangenschaft sei ihm einmalig ein Betrag von umgerechnet gut 500 Euro ausgezahlt worden.
Die Ausstellung "Lebenszeichen" wird erstmals im "Haus der Stadtgeschichte" in Bad Kreuznach gezeigt (Mannheimer Straße 189). Zu sehen ist sie bis zum 31. Oktober 2025 jeweils von Dienstag bis Freitag zwischen 10 und 16 Uhr.



