Mitverantwortung von Kirchen in NS-Zeit

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl predigt und hält einen Zeigefinger nach oben.
epd-bild/Heike Lyding
Mit einem Gottesdienst wird an die Mitschuld der Evangelischen Kirche während der NS-Zeit gedacht. "Erkenne ich die Zeichen der Zeit, wenn gegen Menschen gehetzt und gegen ganze Menschengruppen und Minderheiten Vorurteile geschürt werden?", fragt der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in seiner Predigt. (Symbolbild / Archiv 11.11.2023)
Gohl zur Schulderklärung
Mitverantwortung von Kirchen in NS-Zeit
Mit einem Gedenkgottesdienst in der Markuskirche in Stuttgart hat am Sonntag die Evangelische Landeskirche in Württemberg an die vor 80 Jahren verabschiedete Stuttgarter Schulderklärung erinnert. Mit der Erklärung bekannte sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 19. Oktober 1945 zu ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes.

Das Papier sei "das Eingeständnis einer historischen Schuld und eines beispiellosen Versagens der Christen und der Evangelischen Kirche in Deutschland an diesem Verbrechen", sagte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl laut Manuskript in seiner Predigt am historischen Ort der Unterzeichnung.

Der Anstoß zu der Schulderklärung kam Gohl zufolge von Vertretern der internationalen Ökumene, die zu dieser Zeit in Stuttgart die erste Versammlung des Rats der neu gegründeten EKD begleiteten.

Der "blinde Fleck des Dokuments" ist laut dem Landesbischof, dass die ausdrückliche Erwähnung der Schuld gegenüber den Jüdinnen und Juden in Deutschland und an unzähligen Orten dieser Welt fehlt. "Denn die evangelische Kirche trägt eine Mitschuld an dem Grauen von Ausschwitz, an den sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden."

Diese Mitschuld habe der damals anwesende anglikanische Bischof George Bell nach dem Verlesen der Erklärung auch angesprochen. Die Aufarbeitung der Mitschuld, des christlichen Antisemitismus und des Holocaust habe erst fünf Jahre später bei der EKD-Synode in Berlin-Weißensee begonnen.

Heutige Christen könnten aus der Geschichte lernen, dass es wichtig sei, mutig für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzutreten. "Erkenne ich die Zeichen der Zeit, wenn gegen Menschen gehetzt und gegen ganze Menschengruppen und Minderheiten Vorurteile geschürt werden? Widerspreche ich deutlich genug dem Antisemitismus, der sich nach dem 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Krieg in erschreckender Weise Bahn gebrochen hat - nicht nur in Berlin, sondern auch bei uns in Stuttgart?", fragte Gohl in seiner Predigt.

"Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden", heißt es in der Erklärung, die vor 80 Jahren in der Stuttgarter Markuskirche verabschiedet wurde. "Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."

Zu den elf Unterzeichnern gehörten amtierende und spätere Landesbischöfe sowie der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Verfasst wurde das Papier von Mitgliedern des Rats der damals neu gegründeten EKD: Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller.