Wenn sich im November in Dresden die Delegierten des evangelischen Kirchenparlaments zu ihrer diesjährigen Tagung treffen, wollen sie über die Machtverhältnisse in ihrer Kirche sprechen.
Es ist das Schwerpunktthema der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die vom 7. November an in der ostdeutschen Elbmetropole zusammenkommt. Machtfaktoren und die Frage, wie offen Machtverhältnisse zutage treten, sind seit der Veröffentlichung der evangelischen Missbrauchsstudie im Januar 2024 ein Thema.
Denn am Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt und Betroffenen zeigen sich die oft versteckten Machtverhältnisse innerhalb der Institution Kirche. Ein interdisziplinäres Forschungsteam attestierte der evangelischen Kirche in der ForuM-Studie eine Diskrepanz zwischen Selbstanspruch und tatsächlichem Handeln:
Oft nähmen Kirchenvertreter ihre Institution als grundlegend partizipativ, hierarchiearm und fortschrittlich wahr. Bestehende Machtverhältnisse würden nicht reflektiert. Im Gegenteil: Würden Machtungleichheiten zum Beispiel von Betroffenen sexualisierter Gewalt thematisiert, würden diese oft als unvermeidbare Konsequenz machtvoller Verwaltungsstrukturen in der evangelischen Kirche dargestellt, so formulierten es die Autorinnen und Autoren. Ein Reflex, der Kirchenleitende oft davon abgehalten habe, Verantwortung zu übernehmen.
Auch in diesem Jahr berichten Vertreter des Aufarbeitungs-Gremiums, des sogenannten Beteiligungsforums, über die Fortschritte beim Kampf gegen die Folgen des Missbrauchs. Zwar haben Betroffene sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie und Vertreter der Institutionen seit der vergangenen Synodentagung einiges auf den Weg gebracht, doch läuft es bei der Umsetzung der Beschlüsse noch nicht rund.
Zwei Beispiele: Im Frühling hatten EKD und Diakonie die Gründung von neun Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen, den sogenannten URAKs, für alle 20 Landeskirchen und 17 diakonischen Landesverbände angekündigt. Aufgaben dieser Gremien sind unter anderem, Fälle sexualisierter Gewalt zu erheben, Ursachen für Missbrauch aufzudecken und den Umgang mit Betroffenen zu analysieren.
Neben Expertinnen und Experten sowie Abgesandten der Kirchen sollen immer mindestens zwei Betroffene sexualisierter Gewalt in den URAKs mitarbeiten. Auch politische Vertreter können von den jeweiligen Landesregierungen entsandt werden. So soll eine möglichst breite Beteiligung und Unabhängigkeit gewährleistet sein. Alle neun Kommissionen sollen nach denselben Standards und Regeln arbeiten, so ist es in einer Gemeinsamen Erklärung mit der unabhängigen Bundesbeauftragten gegen Missbrauch, Kerstin Claus, von Dezember 2023 festgehalten. Darin heißt es, die Kommissionen müssten spätestens 15 Monate nach Unterzeichnung der Erklärung ihre Arbeit aufnehmen.
Die EKD hatte im März - also 15 Monate nach der Erklärung - angekündigt, die neun Kommissionen würden "in den kommenden Wochen" ihre Arbeit aufnehmen. Das ist jedoch bisher nicht bei allen der Fall: In Niedersachsen kam es Ende März zu einem Eklat: Die Landesregierung hatte zwei Vertreterinnen benannt. Beide traten noch vor dem Start der Kommission zurück, weil Betroffene ihre Unabhängigkeit von der Kirche infrage stellten. Bislang hat die Landesregierung keine neuen Mitglieder benannt, die Kommission ist daher nicht arbeitsfähig.
In Württemberg gab es zunächst Streit über die richtlinienkonforme Wahl von Betroffenenvertretern. Zwei Betroffenenvertreter konnten erst nur kommissarisch benannt werden. Die URAK Württemberg hat bereits mehrmals getagt. In Sachsen war die Kommission erst Ende April vollständig besetzt. Ob die konstituierende Sitzung bereits stattgefunden hat, darüber gibt es bislang keine Informationen von der Landeskirche.
Eine der wichtigsten Reformen ist die Richtlinie zu den Anerkennungsleistungen. Das System für die Ausgleichszahlungen an Betroffene für erlittene Folgen des Missbrauchs soll vereinheitlicht werden. Die Richtlinie wurde im März veröffentlicht, die Änderungen sollen zum 1. Januar 2026 in Kraft treten. Künftig soll es ein kombiniertes Modell geben aus einer pauschalen Leistung in Höhe von 15.000 Euro, wenn die Tat nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevant war, und einer individuellen Zahlung. Eine Obergrenze für die Zahlungen soll es nicht geben. Über die Leistungen sollen ebenfalls Unabhängige Kommissionen anhand eines Anhaltskatalogs entscheiden, der derzeit im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt erarbeitet wird. Ob er bis Januar fertig ist und von allen Landeskirchen und Diakonie-Landesverbänden übernommen wird, ist noch nicht klar.
Auch im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt, in dem Vertreter von EKD und Diakonie gemeinsam mit Betroffenen über alle Fragen der Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch beraten sollen, gibt es derzeit Spannungen. Kurz vor der Synode wurde bekannt, dass Betroffenensprecher Detlev Zander sein Amt ruhen lässt.
Grund dafür sind interne Differenzen mit anderen Betroffenen über die Frage, wie kritisch sich Zander über die Aufarbeitungspraxis der Kirche äußern soll. Wie sehr all diese offenen Probleme und Konflikte die sachliche Arbeit überlagern, wird sich auch im November auf der Synode zeigen. Wer letztlich entscheidet und wie kommuniziert wird, sind auch Fragen der Macht.



