TV-Tipp: "Vogelfrei – Ein Schwarzwaldkrimi"

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6. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Vogelfrei – Ein Schwarzwaldkrimi"
Der ZDF-Zweiteiler "Schwarzwaldkrimi" verwebt Spannung mit Geschichte: Annette Reeker und Marcus O. Rosenmüller erzählen von alten Vorurteilen gegen die Jenischen – ein Krimi, der Vergangenheit und Gegenwart meisterhaft verbindet.

Sagen und Legenden nehmen selten ein gutes Ende, und das gilt keineswegs nur für die Beteiligten: Selbst Jahrhunderte später werden ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund uralter Vorurteile diskriminiert. Diese Ebene zieht sich im Hintergrund wie ein roter Faden durch den vierten zweiteiligen "Schwarzwaldkrimi" des ZDF.

Zuvorderst erzählt das bewährte Duo Annette Reeker und Marcus O. Rosenmüller jedoch eine fesselnde Geschichte, die weit mehr als bloß ein spannender Zeitvertreib ist. Schon allein die Idee, die Handlung rund um die vermutlich bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Historie der Jenischen zu konstruieren, ist ausgefallen. Mindestens so gelungen wie das ungemein komplexe Drehbuch, das Produzentin Reeker wie stets unter ihrem Autorinnenpseudonym Anna Tebbe verfasst hat, ist die Umsetzung durch den erfahrenen Rosenmüller. Gerade die oftmals überraschende kunstvolle Verschränkung der Gegenwart mit den schwarzweißen Rückblenden, unter anderem als Projektion in den Außenspiegel eines Autos, sind bestes Handwerk.

Die Bildgestaltung (Stefan Spreer, der dritte im Bunde) ist dank Lichtsetzung, Schattenspiel und Farbgebung ohnehin preiswürdig, zwischendurch sorgen optisch verfremdete Wildvogelperspektiven für einen speziellen Blick auf die Landschaft. Die Musik (Dominik Giesriegl, Florian Riedl) ist von ähnlich großer Sorgfalt und hält die Spannung hoch, selbst wenn Teil zwei in dieser Hinsicht ein wenig nachlässt.

Bereits der Auftakt, als eine Braut ganz in Weiß durch die Nacht irrt, ist ungemein reizvoll. Als sie eine Mühle erreicht, löst sich eine geisterhafte Erscheinung aus dem Nebel. Die Braut ist wie versteinert, der weibliche Geist hält ihr eine Tarotkarte vor die Augen und verschwindet. Als die Polizei später die Aufnahmen einer Überwachungskamera überprüft, ist auf den Bildern bloß eine unscharfe Anomalie zu erkennen. Ein grausiger Fund ist jedoch bittere Realität: Am Mühlrad hängt der gefesselte Bräutigam, er ist ertrunken. Was nun folgt, ist eine ungewöhnliche Suche nach der verlorenen Zeit. Die Handlung beginnt am letzten Märzwochenende, in jener Nacht also, in der die Sommerzeit beginnt. Damit haben nicht nur die Menschen Probleme: Sämtliche öffentlichen Uhren in Freudenstadt sind nachts um 2 stehengeblieben. Just in diesem Moment hat auch das Mühlrad seinen Dienst eingestellt; das ist dem Mann zum Verhängnis geworden.

Allein auf diese Idee muss man erst mal kommen, aber gemessen an der Komplexität, die Tebbes Drehbuch nun entwickelt, wirkt der Einfall beinahe bloß wie ein origineller Gag. Fortan wird eine Vielzahl von Personen in den Fall hineingezogen, allen voran die Mitglieder des fahrenden Volks der Jenischen, die gerade wieder in der Gegend sind: Das Mordopfer hatte ein Verhältnis mit Sara, der Enkelin des Patriarchen Vitus Kessler (Armin Rohde); für viele Einheimische steht außer Frage, dass die Sippe den Bäutigam auf dem Gewissen hat. Als Sara (Pauline Pollmann) entführt wird, hat Vitus ein schreckliches Déjà-vu: Vor vierzig Jahren ist seiner jüngeren Schwester das gleiche Schicksal widerfahren.

Spätestens jetzt bekommt der Zweiteiler eine Relevanz, die über den Status der reinen Krimi-Unterhaltung hinausweist: Bis in die frühen Siebzigerjahre hat die halbstaatliche Schweizer Stiftung Pro Juventute im Rahmen der Aktion "Kinder der Landstraße" versucht, das vermeintliche Übel der "Vagantität" auszurotten. Mit Unterstützung der Behörden wurden den Jenischen die Kinder weggenommen. Ähnlich wie die "Verdingkinder", noch so ein düsteres Kapitel der eidgenössischen Geschichte, wuchsen sie unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen auf. 

Mit Christoph (Daniel Friedrich), dem Adoptivvater von Kommissarin Bächle (Jessica Schwarz), sowie vor allem ihrem Freund Andreas (David Zimmerschied) gibt es gleich zwei Figuren, die historisch bestens bewandert sind: Der ehemalige Stadtarchivar soll den Nachlass eines verstorbenen Pfarrers sichten. Der Geistliche war passionierter Fotograf, die einst aus der Gesellschaft ausgestoßenen Nomaden lagen ihm besonders am Herzen; seine Kleinbildkamera liefert schließlich mit der erschütternden Aufklärung eines alten Mordfalls den Schlüssel zu seinem wahren Vermächtnis. Zuvor ist die Leiche eines vor acht Jahren gleichfalls am Hochzeitstag spurlos verschwundenen weiteren Bräutigams wieder aufgetaucht, weshalb sich Kripochef Butzbach (Moritz Führmann) selbst suspendiert. Auch Maris Bächle ermittelt nicht unbefangen: Die Polizistin, einst ein Findelkind, empfindet große Sympathie für die Jenischen und fragt sich, ob sie wohl selbst von dem heimatlosen Volk abstammt. Das ZDF zeigt heute beide Teile.