Gegen die Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu vermeintlichen "Problemen im Stadtbild" gibt es weiterhin Kritik aus Gesellschaft und Politik. Eine Petition sammelte innerhalb eines Tages mehr als 100.000 Unterschriften.
Wie ein Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte, ging zudem eine Strafanzeige wegen möglicher Volksverhetzung gegen Merz ein. Diese wird laut Staatsanwaltschaft nun geprüft. Allein der Eingang einer Anzeige bedeute nicht, dass ermittelt wird. Die Hamburger Rechtsanwältin Tugba Sezer hatte zuvor auf Instagram eine fünfseitige Muster-Strafanzeige zur Verfügung gestellt.
Die am Dienstag gestartete Petition unter dem Titel "Wir sind die Töchter" gegen eine weitere Äußerung von Merz erreichte bis Mittwochnachmittag mehr als 120.000 Unterschriften. "Strukturelle Gewalt gegen Frauen ist das Problem", erklärte die Initiatorin Cesy Leonard, Gründerin der Aktionskunstgruppe "Radikale Töchter". Diese Gewalt finde fast immer im eigenen Zuhause statt, die Täter seien "nicht irgendwelche Menschen im Stadtbild", sondern Ehemänner, Väter oder ehemalige Partner. Zu den Unterstützerinnen zählen den Angaben zufolge etwa die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und die Schauspielerin Marie Nasemann ("Armans Geheimnis").
Auch der Kriminologe Thomas Bliesener hält die umstrittene "Stadtbild"-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) für wenig zielführend. "Der Kanzler spricht von einer zunehmenden Angst vor Gewaltkriminalität, die ich nicht erkennen kann", sagte der Direktor des in Hannover ansässigen Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Mehrere Studien belegten, dass die Kriminalitätsfurcht abnehme und deutlich hinter der Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten, Wohnungsverlust, Überforderung des Staates durch Geflüchtete oder autoritären Herrschern weltweit liege. Die Beunruhigung durch Kriminalität steige kurzfristig immer dann, wenn über einzelne Gewalttaten in den Medien berichtet werde, sagte der Direktor: "Da kocht die Volksseele hoch. Die Aufregung ebbt dann aber auch schnell wieder ab."
Kanzler Merz hatte in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit Migration von einem "Problem im Stadtbild" gesprochen. Auf die Frage eines Journalisten am Montag, was er damit konkret gemeint habe, sagte der Kanzler, der Journalist solle, wenn er Töchter habe, diese fragen.
Laut Bliesener liegt die Gefahr, dass Frauen Gewalt durch Männer erfahren, in den eigenen vier Wänden deutlich höher als auf der Straße. Ob dabei Migranten häufiger Täter seien als Einheimische, werde in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst. "Wir wissen aber, dass Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen bei Personen mit Migrationshintergrund stärker vertreten sind." Diese Haltung zu ändern, sollte Aufgabe der Politik sein.
Die Gewaltkriminalität insgesamt nehme in der Tat seit Jahren zu, sagte Bliesener. Dabei seien Ausländer, also Menschen ohne deutschen Pass, überrepräsentiert. Die Statistiken würden allerdings unter anderem dadurch beeinflusst, dass die Anzeigebereitschaft gerade für körperliche Übergriffe ebenfalls zugenommen habe. Studien zeigten außerdem, dass Menschen, die fremdländisch erschienen, häufiger angezeigt und häufiger von der Polizei kontrolliert würden.
Gewalt werde in der heutigen Gesellschaft immer mehr geächtet, erläuterte der Kriminologe. "Früher waren Schlägereien auf Volksfesten üblich, heute wird das nicht mehr toleriert." Auch das Gewaltverbot von Eltern und Lehrern gegenüber Kindern sei ein Ausdruck dieser Sensibilisierung. "Wir versuchen, Gewalt fast vollständig aus unserem Leben zu verbannen."
Die Erfahrungen und Prägungen, die manche Migranten aus ihren Heimatländern mitbrächten, könnten damit kollidieren, sagte Bliesener. In manchen Gesellschaften herrsche ein anderes Frauenbild vor oder Gewalt sei eine verbreitete Form der Konfliktlösung. Auch in Deutschland gemachte Diskriminierungserfahrungen, Sprachprobleme und ein prekäres Wohnumfeld trügen dazu bei, dass Migranten häufiger gewalttätig würden.