Im Pariser Salon der US-Schriftstellerin Gertrude Stein ging in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Avantgarde ein und aus. Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque oder Guillaume Apollinaire gehörten zu den prominenten Gästen. Stein lebte mit ihrer Partnerin Alice B. Toklas in einer lesbischen Beziehung und ihr Salon war unter anderem auch Zentrum queerer Kunstschaffender. Ein fotografischer Blick in Steins Salon steht im Zentrum der Ausstellung "Queere Moderne. 1900 bis 1950", die ab Samstag im K20 in Düsseldorf zu sehen ist.
Es sei die erste umfassende Ausstellung in Europa, die den bahnbrechenden Beitrag queerer Künstlerinnen und Künstler zur Moderne vorstelle, erklärt die Direktorin der Kunstsammlung, Susanne Gaensheimer. Trotz ihrer engen Verflechtung mit den Avantgarden seien queere Positionen im kunsthistorischen Kanon aber oft unberücksichtigt geblieben. Die Kunstsammlung NRW hat sich nun zur Aufgabe gemacht, eine alternative Geschichte der Moderne nachzuzeichnen. Sie stellt Werke queerer Künstlerinnen und Künstler vor, die Gegenentwürfe zu vorherrschenden Lebenskonzepten thematisieren.
Dabei beleuchtet die Schau ein internationales Netzwerk queerer Künstlerinnen und Künstler in den Metropolen Europas und der USA. Sie griffen avantgardistische Strömungen wie Surrealismus oder Konstruktivismus auf, jedoch oft mit veränderter Perspektive. Zu sehen sind bis zum 15. Februar rund 130 Werke von 34 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Filme sowie Archivalien. Präsentiert werden unter anderem Arbeiten von Claude Cahun, Hannah Höch, Jean Cocteau, Romaine Brooks, Lotte Laserstein und Marlow Moss.
Kunsthistoriker hätten die Positionen queerer Kunstschaffender häufig als irritierend empfunden, sagt die Kunstwissenschaftlerin Isabelle Tondre, die an der Ausstellung mitgewirkt hat. Sie ließen sich schwerer einordnen. So zum Beispiel der russische Maler Pavel Tchelitchew (1898-1957), der wie Picasso oder Matisse mit Gertrude Stein befreundet war, jedoch weniger bekannt ist. In der Düsseldorfer Ausstellung ist er nun prominent vertreten.
Homosexualität war unter Männern strafbar
Tchelitchews Gemälde "Untitled (Seated Man, Multiple Images)" (1927) bildet den Auftakt der Schau. Es zeigt ein Männergesicht in drei ineinander übergehenden Bewegungsphasen und Perspektiven. Der Mann scheint aus zwei identischen Teilen zu bestehen, die sich umarmen und gleichzeitig ineinanderfließen. Später änderte der Maler seinen Stil immer wieder. "Die Henne und der Mann" (1934) zeigt ein riesiges schwarzes Huhn vor einem nackten liegenden Mann. "Interior Landscape" (1947) ist ein Blick ins Innere eines Männerkopfes, der Nervenbahnen und Knochen sichtbar macht.
Queere Künstlerinnen und Künstler waren vielfach mit dem Problem konfrontiert, ihre Sichtweise und ihr Begehren nicht offen ausdrücken zu können. Während Homosexualität unter Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts offiziell gar nicht existierte, war sie unter Männern strafbar. So fanden die Künstlerinnen und Künstler alternative Bildsprachen und visuelle Codes für queeres Leben. Kunstschaffende wie Dame Ethel Walker, Ludwig von Hofmann oder Richmond Barthé bedienten sich dazu mythologischer Themen.
Auch der britische Maler Glyn Warren Philpot greift in seinem Gemälde "Penelope" (1923) den Mythos von Odysseus' wartender Gattin auf. Doch in diesem Fall ist Penelope eine androgyne Figur, die von homoerotisch in Szene gesetzten männlichen Figuren umgeben ist. Die Ausstellung stellt unter anderem queere Positionen innerhalb avantgardistischer Kunstströmungen vor.
Gerade der Surrealismus thematisiere gewaltvolle Darstellungen eines modernen Geschlechterkampfes, heißt es. Ein Beispiel dafür ist René Magrittes Gemälde "Les jours gigantesques" (Die gigantischen Tage) von 1928. Es zeigt einen Frauenkörper, aus dem männliche Arme herauszuwachsen scheinen, die ihn wie im Kampf bedrohlich umklammern. Eine queere Gegenposition ist unter anderem das Gemälde von Milena Pavlović-Barili. Sie montierte eine weibliche Maske auf einen männlichen Torso.