Pfiffe, Fan-Gesänge und Fanfaren: Der Lärm im Fußballstadion in Frankfurt am Main ist ohrenbetäubend, als die Eintracht das erste Tor schießt. Auch Jörg Strotkamp jubelt. Er ist seit vielen Jahren Fan der SG Eintracht Frankfurt und regelmäßiger Stadionbesucher. Seit vier Jahren allerdings kommt er im Rollstuhl. Wegen einer fortschreitenden Muskelerkrankung lebt der 57-Jährige im Hufeland-Haus, einer Einrichtung der Inneren Mission für alte und körperbehinderte Menschen.
"Für mich ist es ein großes Glück, dass es hier im Haus den Eintracht-Fan-Club (EFC) gibt", sagt Strotkamp. Durch dessen gemeinsame und von Ehren- sowie Hauptamtlichen begleitete Ausflüge sei für ihn auch im Stadion die Pflege gesichert.
Seit 20 Jahren gibt es im Hufeland-Haus den Eintracht-Fanclub. Er wurde gegründet, nachdem das Haus die Wohnpflege für Menschen mit körperlicher Behinderung eingerichtet hatte, die sogenannte "Junge Pflege". Bei den Überlegungen, welche Freizeitangebote das Haus diesen Bewohnern machen kann, kam auch Fußball zur Sprache. "Das Stadion wurde damals umgebaut und ein fester Bereich mit Plätzen für Rolli-Fahrer definiert. Die Karten dafür wurden damals nur an Mitglieder eines Fan-Clubs verkauft", erzählt Markus Förner, Geschäftsführer des Hufeland-Hauses. Also habe das Haus kurzerhand den EFC gegründet.
"Jeder außerhäusliche Kontakt steht für ein Stück Normalität, Inklusion und Gleichwertigkeit", erklärt Förner die Bedeutung der Stadionbesuche jenseits des sportlichen Ereignisses. Die Bewohner:innen seien ständig auf Hilfe durch andere Menschen angewiesen, das schaffe ein gewisses Gefälle: "Beim gemeinsamen Fußballschauen verschwindet diese Distanz, alle reihen sich gemeinsam ein in die Schar der 80 Millionen Fußballtrainer in Deutschland." Auch vom Rolli aus könne man sehr überzeugend rufen: "Das Ding hätte drin sein müssen!"
Der Geschäftsführer erzählt von einer über 90-jährigen Bewohnerin aus dem Altenpflegebereich, die eindrucksvoll gezeigt habe, dass Leidenschaft und Begeisterung wegen körperlicher Einschränkungen nicht enden müssen. Als einmal aus dem Gästeblock, der direkt neben der Rolli-Zone liegt, ein paar gegnerische Fans ihre Helden beleidigt haben, "hat sie sich mit aller Kraft aus ihrem Rollstuhl hochgestemmt und wütend mit der Faust in Richtung Gästeblock gedroht".
Die Ausflüge ins Stadion plant Florian Bär von der Sozialen Betreuung des Hufeland-Hauses. Es könnten jeweils acht Fans mitkommen. Rund 30 der knapp 190 Bewohner:innen seien Eintracht-Anhängerinnen und -Anhängern - da müsse die Einrichtung darauf achten, dass jeder und jede mal mitfahren könne. Die Karten seien meistens schnell weg. Als Begleitung seien jeweils acht Personen dabei, darunter auch Angehörige.
"Für mich ist das ein ganz tolles Erlebnis"
Ilka Müller fährt mit ihrem Sohn Tobias Kraft zum ersten Spiel der Saison gegen Werder Bremen. "Für mich ist das ein ganz tolles Erlebnis", sagt sie. Zum einen kommt sie aus einer "fußballnärrischen Familie", vor allem aber freut sie sich, gemeinsam mit Tobias etwas erleben zu können: "Wir wissen ja, dass die Uhr ganz schnell abgelaufen sein kann."
Tobias Kraft kam nach einem im Kopf geplatzten Aneurysma vor drei Jahren ins Hufeland-Haus. Er mag Fußball und die Eintracht, aber nicht im Fernsehen: "Das ist langweilig", urteilt er. Früher sei er mal Bayern-Fan gewesen, heute findet er Frankfurt besser. "Das ist halt nicht der FC Hollywood."
Die Bundesbehindertenfan-Arbeitsgemeinschaft (BBAG) berät und begleitet Vereine und Behindertenclubs seit 25 Jahren. In den verschiedenen Fußball-Ligen in Deutschland gebe es Hunderte Behindertenclubs, sagt Alexander Friebel, Vorsitzender der BBAG. Nachdem das Thema Inklusion in Deutschland lange weggeschoben worden sei, "sind wir im europäischen Vergleich inzwischen ganz gut aufgestellt".
Alle Stadien, in denen die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga stattfinden, hätten Plätze für Rollstuhlfahrer sowie für gehörlose und sehbehinderte Menschen. Dabei sei die Spanne allerdings groß: In Dortmund etwa gebe es bei 82.000 Plätzen nur 72 für behinderte Fans, in Bayern seien es hingegen 300 von insgesamt 75.000 Plätzen. Frankfurt wiederum hält 187 der insgesamt 59.500 Plätze für Rolli-Fahrer bereit.
Am Ende des Spiels ist Jörg Strotkamp zufrieden: 4:1 und damit drei Punkte für seinen Verein. "Eintracht Frankfurt", singt er fröhlich, als er aus dem Stadion rollt.