Der Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg, Ralf Lankau, fordert einen Kurswechsel beim Umgang mit den allgegenwärtigen digitalen Angeboten. "Wir wollen die Kinder von diesen süchtig machenden Social-Media-Kanälen wegbringen", sagt Lankau dem Evangelischen Pressdienst. "Die Kinder werden angefixt für etwas, dessen Reichweite sie nicht abschätzen können." Er vergleicht das Suchtpotenzial mit dem von Alkopops zu Beginn der 2000er Jahre.
Der Medienwissenschaftler beschreibt Social-Media-Anbieter als "hochkommerzielle Konzerne", die digitale Zwillinge und Algorithmen nutzten, um passgenaue Werbung auszuspielen und junge Menschen zu beeinflussen: "Es werden alle Psychotricks benutzt, um junge Menschen zum Kaufen zu bringen." Die Suche von Teenagern nach Zugehörigkeit und Orientierung werde so gezielt ausgenutzt.
Die Folge: Abhängigkeit, Konsumdruck und Kontrollverlust über die eigenen Daten. Ein Zustand, mit dem sich Lankau und sein Team nicht abfinden wollen. Im Wintersemester 25/26 startet an seiner Hochschule eine Kampagne, die Schulen und Hochschulen dabei unterstützen soll, Alternativen zu kommerziellen Sozialen Medien zu entwickeln und für einen "vernünftigen Umgang mit digitalen Geräten" zu sensibilisieren.
"Wir brauchen die Hoheit über die Daten und Systeme"
Die Zielrichtung ist klar: Keine Datensammelei durch digitale Zwillinge, keine Spiele mit Endlosschleifen, keine kommerzialisierten Apps im Schulalltag. "Wir brauchen die Hoheit über die Daten und Systeme", betont Lankau. Nach dem Vorbild Australiens fordert er für Minderjährige unter 16 Jahren politische Antworten: "Bei Kindern und Jugendlichen haben wir einen Auftrag."
Australien ist weltweit das erste Land, das Social-Media-Konten für diese Altersgruppe per Gesetz unterbindet. Begründet wird das Verbot mit Schutz vor Gewalt, Cybermobbing und süchtig machenden Endlosspielen. Pädagog:innen ordnen den Wunsch nach digitaler Kontrolle ein: Studien zeigten, dass digitale Medien längst integraler Bestandteil der jugendlichen Lebenswelten seien, so Anabel Archilla vom Verein "Digital Balance" in Stuttgart.
Wie Evangelische Schulen auf die Herausforderungen reagieren, zeigen zwei Beispiele aus Baden-Württemberg: An Schloss Gaienhofen am Bodensee stehen klare Regeln zur Smartphone-Nutzung zum neuen Schuljahr an. "Smartphones helfen beim Lernen, bieten aber auch eine riesige Wolke an Ablenkungsmöglichkeiten", erläutert der stellvertretende Schulleiter, Gunnar Horn.
Am Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium Mannheim besteht ein nach Jahrgang abgestuftes Handyverbot - eine Mehrheit der Eltern begrüßt eine noch strengere Handhabung. Teilweise seien Eltern dankbar, wenn die Schule das Handy des Kindes verwahre, sagte Peter Jakob. Der stellvertretende Schulleiter legt Wert darauf, "dass Schüler untereinander ins Gespräch kommen."
Der gesunde Umgang mit Digitalität bleibt eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Wissenschaft, Pädagogik - und den Familien selbst. Lankau mahnt: "Diese Fixierung auf Bildschirm-Medien seit über 40 Jahren ist nicht das, was wir wollen." Es brauche Kommunikationsfähigkeit, Ausdruckskraft, Empathie, Kreativität und logisches Denken - nicht nur digitale Routinekompetenz.