Überall auf der Welt gibt es Bäume, denen magische Kräfte zugesprochen werden. Oft sind sie über und über mit Zetteln behängt, auf denen Menschen Wünsche notiert haben. Rebecca aus Konstanz zum Beispiel hat davon geträumt, ein neues Leben zu beginnen, und der Wunschbaum am anderen Ufer des Bodensees hat sie erhört: In Bregenz hat sie eine neue Stelle und eine neue Liebe gefunden; aber nun ist sie tot. Ihr Mörder hat sich die Mühe gemacht, die Leiche zu dem Baum zu transportieren.
In ihrem Mund findet sich eine Blüte vom Blauen Eisenhut; ihre Lieblingsblume, wie ihr Freund später erzählen wird. Hochverdünnt wird Aconitum napellus zur Behandlung von Erkältungen oder Rheuma verwendet, aber die Pflanze gehört zu den tödlichsten Gewächsen der Welt. Rebecca ist jedoch nicht an der Blüte gestorben: Jemand hat ihr eine Spritze mit hochkonzentriertem Destillat aus der Wurzel verabreicht; die Dosis macht das Gift.
Abgesehen vom titelgebenden Wunschbaum, um den sich selbstredend allerlei Legenden ranken, würde der Film aus der ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee" eine zwar interessante, allerdings nicht unbedingt aufsehenerregende Geschichte erzählen, wäre da nicht die personelle Veränderung: Das Trio Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep, seit Episode 14 mit einer Ausnahme für alle Drehbücher der Krimis verantwortlich, führt nach Hannah Zeiler (Nora Waldstätten, 2014 bis 2022) und Luisa Hoffmann (Alina Fritsch, 2023 bis 2025) die dritte österreichische Ermittlungspartnerin für den deutschen Kommissar Micha Oberländer (Matthias Koeberlin) ein.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mara Eisler (Anna Werner Friedmann) ist es auch, die zu Beginn beim Joggen am Seeufer die Leiche entdeckt. Sie kommt aus Wien, war zuletzt jedoch lange dienstunfähig. Oberländers Kollege Komlatschek (Hary Prinz) hält die Kriminalinspektorin für "ein bisschen speziell", und diese Einschätzung ist nicht verkehrt: Durch die Folgen einer Schussverletzung im Kopf hat Eisler Schwierigkeiten, andere Menschen und deren Emotionen zu "lesen"; außerdem begegnet sie Verdächtigen seither mit profundem Misstrauen.
Da sie sich im Gegensatz zu Oberländer, der gern auf sein Bauchgefühl vertraut, ohnehin lieber an die Logik hält, sind Auseinandersetzungen zwischen den beiden unvermeidlich. Auf dieser Ebene setzt die Reihe somit fort, was auch bislang schon das Miteinander im deutsch-österreichischen Kommissariat prägte. Während sich zwischen Oberländer und Komlatschek längst eine freundliche Kollegialität eingespielt hat, die regelmäßig für amüsante Dialoge sorgt, gab es zwischen dem deutschen Kommissar und seinen Kolleginnen stets gewisse Differenzen.
Die entsprechenden Reibereien waren neben den zuletzt zuverlässig guten Krimi-Ebenen die Würze der Filme. Als Eisler erfährt, dass die beiden Männer derzeit eine WG bilden, ist sie überzeugt, sie seien auch ein Paar. Angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Polizisten, die nach wie vor per Sie sind, findet Oberländer die Vorstellung gleichermaßen abwegig wie erheiternd.
Auch beim Fall kommt die Inspektorin zu anderen Schlussfolgerungen: Sie hält den Freund (Philip Birnstiel) der Toten für den Mörder, schließlich werde alle fünf Minuten eine Frau von ihrem derzeitigen oder vergangenen Partner ermordet, wie sie dem zutiefst bestürzten Mann an den Kopf wirft. Ein Bonsai-Bäumchen auf Rebeccas Schreibtisch führt zu einer Gärtnerei, die unter anderem Blauen Eisenhut züchtet.
Der Betrieb gehört Saskia Prixner (Miriam Stein), einer Frau mit großem Herzen und einem Faible für übersinnliche Eingebungen: Träume haben sie zum Wunschbaum geführt, wo sie erst eine geflüchtete Syrerin und dann Rebecca getroffen hat. Beiden konnte Saskia, die wegen ihrer Parkinson-Erkrankung gern mal einen Joint raucht und von Komlatschek daher despektierlich als "kiffende Wunschfee" bezeichnet wird, zum Start in ein neues Leben verhelfen.
Malika (Kenda Hmeidan) arbeitet jetzt in ihrer Gärtnerei, Rebecca hat sie an das Unternehmen ihres Bruders vermittelt. Stefan Prixner (Julian Looman) stellt mit seiner Firma Fluggeräte her, was für den weiteren Verlauf der Handlung noch eine entscheidende Rolle spielen wird. Zunächst zeigt sich jedoch, dass Eisler und Oberländer mit ihren Vermutungen in gewisser Weise beide Recht haben. Regie führte zum zwölften Mal Michael Schneider. Das Ensemble ist gut zusammengestellt, die Bildgestaltung ist sehenswert (Kamera: Lukas Gnaiger), die Musik (Chris Bremus) ist wie stets sehr markant, aber fesselnd ist der Krimi vor allem wegen der Geschichte, die mit der Aufklärung des Mordes noch längst nicht zu Ende ist.



