Nach über 850 Jahren den Spuren der Mönche folgen

Menschen auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda.
epd-bild / Sven Pförtner
Die Herbergseltern und ehrenamtlichen Pilgerbegleiter Sabine (re.) und Lothar Brennecke (li.) sowie der landeskirchliche Pilgerreferent Klaas Grensemann (M) auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda.
Pilgerweg Loccum-Volkenroda
Nach über 850 Jahren den Spuren der Mönche folgen
Hier ist wirklich der Weg das Ziel: Der Pilgerweg zwischen den Klöstern Loccum in Niedersachsen und Volkenroda in Thüringen ist mehr als eine Wanderstrecke. Er verbindet Geschichte, Natur und Spiritualität.

Im Jahr 1163 machte sich ein Abt mit zwölf Mönchen vom Kloster Volkenroda in Thüringen auf den Weg Richtung Norden, um in den Sümpfen rund um die Lucca-Burg ein neues Kloster zu gründen. Wer sich heute auf den Pilgerweg zwischen den Klöstern Loccum in Niedersachsen und Volkenroda in Thüringen begibt, wandelt auf den Spuren dieser mittelalterlichen Mönche. Die geschichtsträchtige Route führt vorbei an Wäldern, Wiesen, Flüssen und Kirchen. Dieses Jahr feiert sie ihr 20-jähriges Bestehen.

Anlässlich der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover versuchten Jugendliche in einem Projekt den Fußmarsch der Mönche zu rekonstruieren. Zwei Jahre später machte sich der Theologe und Journalist Jens Gundlach von Niedersachsen aus auf Pilgerreise nach Volkenroda und dokumentierte diese. Der heutige Weg ist zwar nicht originär, aber nachempfunden. 2005 wurde er offiziell durch die hannoversche Landeskirche eingeweiht.

Der Pilgerweg Loccum-Volkenroda überquert die ehemalige innerdeutsche Grenze und führt entlang der Weser und der Leine. Er passiert rund 100 Kirchengemeinden, das Kloster Amelungsborn und das Kloster Bursfelde bei Göttingen. Hier sind Sabine und Lothar Brennecke - im Wechsel mit anderen - Herbergseltern für die Klosterherberge. Sieben Schlafzellen für 20 Pilger, gebaut aus Spanplatten, stehen hier bereit.

Die Pilgerherberge Bursfelde liegt an dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda.

Beim Pilgern sei jedes Kilo, das im Rucksack mitgeschleppt werde, entscheidend, wissen die Brenneckes. Mehr als acht Kilo sollten es nicht sein. "Ich glaube, das ist ein Punkt, warum uns das Pilgern nicht loslässt", sagt Lothar Brennecke, selbst Pilger und Pilgerbegleiter. "Weil es immer wieder faszinierend ist, dass weniger so viel mehr sein kann." Wenn er sich auf die Reise begibt, trägt er festes Schuhwerk, praktische Kleidung, eine Kopfbedeckung und hat einen Pilgerstab dabei. Dafür kann auch ein umfunktionierter Besenstiel herhalten.

Für die gesamte Strecke drei Wochen einplanen

"Durchs Pilgern bekommt man eine andere Sichtweise auf den alltäglichen beruflichen und privaten Wahnsinn", erzählt der 64-Jährige. "Was ist mir wirklich wichtig? Kann ich das wertschätzen? Man stellt fest, dass man gar nicht so viele Dinge braucht, die man in seinem Leben mit sich herumschleppt."

Unzählige Male sind die Brenneckes Teile des Pilgerwegs Loccum-Volkenroda gelaufen, zweimal sogar die gesamten 300 Kilometer. Der Weg erstreckt unter anderem durch das Wesergebirge, den Solling, das Göttinger Land und das Eichsfeld. Das Loccumer Radkreuz, ein violettes Kreuz auf weißem Grund, weist Pilgern den Weg, wie der landeskirchliche Pilgerreferent Klaas Grensemann erklärt. Viele Pilger gingen nur einen Teil des Weges, für die gesamte Strecke sollten mindestens drei Wochen eingeplant werden. Die Hauptsaison ist zwischen Ostern und dem Reformationstag. Wer möchte, kann eine begleitete Pilgertour machen.

Wenn der Kopf wird immer klarer wird

Auch Sabine Brennecke hat seit 2008 Menschen ehrenamtlich auf dem Pilgerweg begleitet, bis sie aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten musste. "Ich spüre beim Pilgern eine große Dankbarkeit, das Miteinander der Menschen und die Natur", sagt die 62-Jährige, während sie ihre Hand aufs Herz legt. Manchmal könnten die Füße nicht mehr, doch "der Kopf wird immer klarer". 

Wer pilgert, könne "auch mal still sein, wo man sonst viel redet", fügt die Frau mit dem mitreißenden Lachen an, "weil man beim Pilgern auch sehr viel im Schweigen geht". Die vielen Kirchen auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda seien sowohl bei Hitze als auch bei schlechtem Wetter eine gute Anlaufstelle. "Da kann man sich sehr heimelig und wohl fühlen und ist in einem geschützten Raum."

Sportliche Herausforderung in der Natur 

Klaas Grensemann erklärt, dass der Unterschied zwischen Pilgern und Wandern äußerlich nicht sehr groß sei. Man könne es als sportliche Herausforderung in der Natur sehen. Doch beim Pilgern gebe es noch eine andere Dimension: "Ich lasse mich auf einen inneren Prozess ein, der vielleicht bestimmte Themen in mir hochspült." Pilgern könne auch dabei helfen, Dinge zu verarbeiten. "Das muss ich erstmal unter meine Füße kriegen", sage man in Ostfriesland, erzählt Grensemann.

In der Klosterkirche Bursfelde stimmt er den Hymnus aus dem Nachtgebet "Bevor des Tages Licht vergeht" an. Der gregorianische Gesang hallt durch den uralten Kirchraum. Seit fast 1.000 Jahren nehmen die Wände Klänge und Gebete auf. "Ich glaube, die Menschen in den Klöstern haben immer schon gewusst, dass sich manches besser in die Seele oder in den Geist singen lässt, als wenn man es spricht."

An einer der Wände ist ein Fresko des Jakobus zu sehen. Der Schutzpatron der Pilger trägt einen Hut - und einen Pilgerstab. Das Besondere beim Pilgern seien Impulse und kleine Rituale, wie eine Kirche aufzusuchen oder eben ein Lied zu singen, sagt Grensemann. Es gehe um die geistige, die spirituelle Erfahrung: "Ich muss bereit sein, mich auf eine Gottesbegegnung einzulassen."

Von solchen Erfahrungen berichtet auch Lothar Brennecke. Beim Pilgern in Frankreich habe er einmal von einem auf den nächsten Moment Energie gefunden weiterzulaufen. "Da gab es so einen Switch. Als wenn jemand einem zusätzlich Kraft spendet und der Kopf wirklich komplett frei wird und jubiliert. Dieses Gefühl würde ich gerne noch mal wieder haben."