"Ein Mann seiner Klasse" spricht radikal ehrlich über Herkunft

Portrait von Leonhard Kunz
Samuel Smelty
Geisendörfer-Preis fürs Fernsehen
"Ein Mann seiner Klasse" spricht radikal ehrlich über Herkunft
Der Geisendörfer-Preis in der Kategorie "Fernsehen" geht an den Film "Ein Mann seiner Klasse". evangelisch.de hat mit einem der Hauptdarsteller, Leonard Kunz, über die Produktion gesprochen.

"Ein Mann seiner Klasse" spielt im Sommer 1994 in Kaiserslautern. Der zehnjährige Christian (Camille Moltzen) wächst in ärmlichen Verhältnissen auf: Sein Vater Ottes (Leonard Kunz) arbeitet als Möbelpacker, kämpft mit Alkoholproblemen und gerät immer wieder in Gewalt gegenüber seiner Frau Mira und den Kindern.

evangelisch.de: Was hat Sie an der Geschichte von "Ein Mann seiner Klasse" bewegt. Und welche persönlichen oder gesellschaftlichen Aspekte waren Ihnen dabei besonders wichtig? 

Leonard Kunz: Die Geschichte von Christian Baron hat mich sofort berührt, weil sie so radikal ehrlich über Herkunft und Klassismus spricht. Er erzählt keine glatte Erfolgsgeschichte, sondern zeigt, wie tief soziale Ungleichheit in Biografien eingeschrieben ist. Für mich ist das sehr nachvollziehbar: Ich bin selbst in einem kleinen Dorf aufgewachsen und habe diese Strukturen meinen ganzen Schulweg über gespürt, besonders auf der Gesamtschule. Ich hatte das große Glück, aus einem stabilen Elternhaus zu kommen und früh über diese Mechanismen aufgeklärt zu werden. Aber ich habe miterlebt, wie viele andere Kinder durch Herkunft und Umfeld gebremst wurden. Mir war wichtig, das in dieser Rolle sichtbar zu machen, weil es nicht nur individuelle Schicksale betrifft, sondern eine politische Frage ist: Wir müssen endlich dafür sorgen, dass alle Kinder bis zur 10. Klasse die gleichen Chancen haben und dann frei entscheiden können, ob sie Abitur machen oder nicht. Genau deshalb ist der Film so wichtig. 

Während der Recherche und Dreharbeiten: Gab es Momente oder Begegnungen, die Ihre Sicht auf soziale Herkunft oder Klassenunterschiede verändert haben? 

Leonard Kunz: Mir ist bewusst, dass viele dieser Geschichten nicht "Einzelfälle" sind, sondern Ausdruck eines Systems, das Chancen ungleich verteilt. Das hat mich darin bestärkt, dass wir über Klassismus nicht schweigen dürfen, sondern ihn endlich als gesellschaftliches Problem anerkennen müssen. Die wenigen Begegnungen mit Christians echter Familie, also mit der echten Tante Juli ( gespielt von Svenja Jung) waren natürlich ganz besonders. Unfassbar, was diese Frau gegen alle Widerstände geleistet hat - Sie ist eine wahre, echte Heldin! 

Der Film zeigt soziale Ungleichheit sehr deutlich. Welche Rolle können Kunst, vielleicht auch Kirche, bei solchen Themen spielen? 

Leonard Kunz: Kunst kann Räume schaffen, in denen diese Realitäten erzählt und gehört werden. Sie macht Dinge sichtbar, die sonst verdrängt oder übersehen werden, und sie kann Empathie wecken, auch bei Menschen, die mit solchen Erfahrungen nie in Berührung gekommen sind. Gerade in Bezug auf soziale Ungleichheit ist das wichtig, weil Zahlen und Statistiken allein niemanden berühren.  Die Glaubensfrage spielt hier auch eine Rolle: In Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, ist Zuhören entscheidend. Kirche oder andere Gemeinschaften, wie zum Beispiel auch ein Sportverein sind sichere Räume, an denen die soziale Herkunft meist keine Rolle spielt, an denen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen angstfrei zusammenkommen und Solidarität erfahren. Entscheidend ist für mich, dass man einander ernst nimmt und unterschiedliche Erfahrungen und Überzeugungen nebeneinander bestehen können.