Wie Schwestern ihren Lebensabend gestalten können

Priorin Sr. Birgit-Marie Henniger sitzt auf einer Bank im Grünen
privat
Schwester Birgit-Marie Henniger ist Priorin der Christusbruderschaft Selbitz.
Kloster oder Pflegeheim?
Wie Schwestern ihren Lebensabend gestalten können
Vor kurzem machten drei Nonnen Schlagzeilen, die auf eigene Faust aus dem Pflegeheim zurück in ihr Kloster Goldstein zogen. Altern im Kloster - wie geht das? evangelisch.de hat mit Priorin Schwester Birgit-Marie Henniger von der evangelischen Communität Christusbruderschaft Selbitz über den Lebensabend von Schwestern gesprochen.

evangelisch.de: Die Rückkehr der drei Schwestern aus dem Pflegeheim in ihr Kloster Goldstein hat viele Menschen bewegt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von diesem Schritt gehört haben?

Birgit-Marie Henniger: Mein erster Gedanke: Wow, gut, wenn alte Menschen den Mut und Mumm haben, sich für ihr Leben und ihr Recht einzusetzen. Gleich gefolgt von Gedanken, die aus meiner eigenen Position als Verantwortliche für ein evangelisches Kloster und deren Schwestern geprägt sind: Wer ist da – wie in Klöstern üblich - die verantwortliche, zuständige Person? Wie kann es überhaupt zu so einer Situation kommen? Gab es keine Gespräche zwischen Verantwortlichen und den betroffenen Schwestern?

Was sagt dieser Fall aus Ihrer Sicht über die besondere Bindung von Ordensleuten an ihr Zuhause und ihre Gemeinschaft aus?

Birgit-Marie Henniger: Aus meiner Erfahrung in der Begleitung von alten Menschen heraus, denke ich, dass jede Person gerne so lange als möglich in ihrem Zuhause bleiben möchte und sich zumindest nicht leicht tut, "umgepflanzt" zu werden. Es ist hilfreich und meiner Meinung nach absolut notwendig – wenn noch möglich -, im Gespräch und gutem Einvernehmen solche einschneidenden Schritte vorzubereiten und zu begleiten. 

Ordensleute binden sich mit ihren Gelübden an eine Gemeinschaft, oder sogar an einen Ort. Das Kloster oder die Gemeinschaft ist nicht nur Wohnort, sondern auch der Lebens- und Gestaltungsraum der persönlichen Berufung. Von daher ist eine stärkere Bindung an das klösterliche Zuhause zumindest durch diese anderen Voraussetzungen wahrscheinlich.

Sehen Sie darin auch ein Signal, dass kirchliche Einrichtungen stärker auf die Pflege im eigenen Haus setzen sollten, statt Schwestern in externe Heime zu geben?

Birgit-Marie Henniger: Soweit ich es – auch in unseren befreundeten Gemeinschaften - wahrnehme, wird in der Regel eher im eigenen Haus gepflegt. Es wird mit allen Mitteln versucht, die eigenen Schwestern dort gut bis zum Lebensende zu versorgen. Das geht leider manchmal auch auf Kosten anderer Schwestern, wenn keine andere Hilfe von außen hinzugezogen wird. Die Gemeinschaften machen sich die Frage nicht leicht, ob sie eine Schwester in ein Heim geben, da oft auch rechtlich geregelt ist, dass man sich bis zum Lebensende versorgt.

"Manchen fällt es auch leichter, sich von einer fremden Person pflegen zu lassen."

Ich würde von daher eher dazu ermutigen, dass sich eine Gemeinschaft - wenn sie es aus eigener Kraft nicht länger vermag - wie eine Privatperson auch, Unterstützung holt, bzw. über einen Heimaufenthalt nachdenkt. Natürlich unter Einbeziehung der betroffenen Personen. 

Wir haben immer wieder erlebt, dass Schwestern durchaus auch den anderen nicht zur Last fallen wollen und deshalb freiwillig in ein Heim ziehen. Manchen fällt es auch leichter, sich von einer fremden Person pflegen zu lassen. Oder sie blühen in einem "weltlichen" Heim noch einmal ganz anders auf. Sie erleben es als sinnvoll,  z.B. über ihre Lebensgeschichte, ihren Glauben, ihre Werte mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Welche praktischen Herausforderungen entstehen beim Älterwerden im Kloster?

Birgit-Marie Henniger: Wir leben in unserer Gemeinschaft in vier Generationen. Unsere alten Schwestern werden ganz unterschiedlich alt. Wir haben sehr viele sehr rüstige und innerlich wache über 80-Jährige, die auch nach ihren Möglichkeiten noch Aufgaben inner- oder außerhalb des Klosters wahrnehmen. 

Für alle, die anderes brauchen, haben wir in den vergangenen Jahren zunehmend Parallelstrukturen aufgebaut. Zum Beispiel unterschiedliche Anfangszeiten für das Tagzeitengebet am Morgen. Eine große Herausforderung ist das Hören in einer größeren Gemeinschaft, wie beim Gebet und bei den Mahlzeiten. Ganz praktisch gilt es, bei nachlassender Fahrfähigkeit etwa Arztfahrten zu koordinieren und zu regeln. Bis Anfang 2025 hatten wir ein eigenes Pflegeheim. Schwestern, die vor allem nachts auch Hilfe brauchten, konnten dort ein letztes Zuhause finden. Gleichzeitig haben wir einen Bereich in unserer Klausur aufgebaut, wo alte Schwestern mehr Unterstützung bekommen. Sie können dort gemeinsam Essen, Beten und haben ganzheitliche Programmangebote. Unterstützt werden pflegende Schwestern aus eigenen Reihen von Mitarbeiterinnen und Pflegehelferinnen. Die staatlichen Möglichkeiten der Unterstützung nehmen wir in Anspruch.

Klar ist, dass die Jüngeren nicht nur für die Pflege der Älteren da sind."

Mir ist wichtig, dass jede Schwester ihre Berufung im Rahmen ihrer Möglichkeit auch im Alter leben kann. Versorgung betrifft deshalb den ganzen Menschen mit Leib, Seele und Geist, sein Geistliches Leben und geht bis hin zur Sterbebegleitung.

Das Alter hat andere Herausforderungen als das Hineinwachsen der Jüngeren. Letztlich gilt es für jede Generation gute Bedingungen im Blick zu haben. Der Einzelnen und ihrer Situation mit Wertschätzung zu begegnen und Lösungen zu suchen. Die jüngeren Schwestern müssen auch in ihrem Tempo und ihrer Kraft leben können. Klar ist für mich, dass die Jüngeren nicht ausschließlich für die Pflege der Älteren da sind. Das ist bei uns auch so kommuniziert und entlastet die Alten und die Jungen.

Wenn Sie in die Zukunft schauen: Was müsste sich kirchlich und gesellschaftlich ändern, damit ältere Ordensfrauen nicht zwischen Kloster und Pflegeheim "pendeln" müssen, sondern verlässlich an ihrem geistlichen Heimatort bleiben können?

Birgit-Marie Henniger: Wie gesagt. Ich erlebe bei uns und im Umfeld einen verantwortungsvollen Umgang im Blick auf ältere Ordensfrauen. Wie in der vorangegangenen Frage beschrieben, gibt es viele Möglichkeiten, die zunächst ausgeschöpft werden können, damit eine Schwester an ihrem Heimatort bleiben kann. Das heißt aber ja nicht , dass alles beim Alten bleibt. Damit müssen auch alle rechnen. Jede Lebensphase bringt Veränderungen mit sich. Es ist wichtig, dies in der eigenen Gemeinschaft auch immer wieder zu thematisieren.

Die Ordensangehörigen sollten sich auch auf die Verantwortlichen und einen nachvollziehbaren vertrauensvollen Umgang verlassen können. Weiterhin finde ich es wichtig, ehrliche Gespräche zu führen, die etwa benennen, was einer Gemeinschaft möglich ist oder wo es auch eine Grenze gibt. Es ist aus meiner Sicht fahrlässig, zu versprechen, dass alle bis zu ihrem Lebensende in unserem Kloster bleiben können. Was ich aber jeder Schwester versichern kann, ist, dass wir gemeinsam für jede Lebenssituation eine gute, lebenswerte Lösung finden.

Sollte es zu einem Aufenthalt im Heim kommen, finde ich es wichtig, wenn man - wie bei jeder anderen Person auch - auf die Biographie eingeht und beispielsweise Gottesdienstbesuche oder Teilnahme am Heiligen Mahl ermöglicht. So kann das, was ein Leben lang getragen und den Lebensrhythmus bestimmt hat, auch in neuer Weise Raum haben.