Vergoldete Wandreliefs mit Szenen aus den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid, ein mit dem Schmuckstein Jaspis ausgekleideter Saal, eine Venus als großes Deckengemälde: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ließ König Friedrich der Große in Potsdam das Orangeriegebäude neben Schloss Sanssouci zu einem Gästeschloss umgestalten. Die Neuen Kammern mit Festsälen und luxuriösen Wohn- und Schlafräumen wurden zum Spätwerk des preußischen Rokoko. Heute bieten dort Menschen mit Behinderung ganz besondere Führungen durch die Schätze an.
Das Projekt in sogenannter "leichter Sprache" wurde von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ins Leben gerufen, um Inklusion zu fördern. Bildung und Selbstvertrauen von Menschen mit Handicap stünden dabei im Mittelpunkt, erzählt Nadine Löffler von der Schlösserstiftung. Zunächst seien Beschäftigte mit Beeinträchtigungen aus den Potsdamer Oberlin-Werkstätten der Diakonie eingeladen worden, aufzuschreiben, was ihnen in den Neuen Kammern am besten gefällt. Daraus wurden die Texte entwickelt, dann wurde geübt, und dann begannen die öffentlichen Führungen.
Drei Frauen und ein Mann aus den Oberlin-Werkstätten sind an diesem Tag zum Schloss gekommen, um dort gemeinsam als Guides durch die Räume zu führen. Lila Riedel ist eine von ihnen. "Wir wollen zeigen, was uns dort besonders gut gefallen hat", sagt die zierliche Frau, die draußen wie drinnen ihren Strohhut trägt: "Und wir erzählen auch ein bisschen was zur Geschichte." Ihr Publikum sind diesmal Kolleginnen und Kollegen aus den Werkstätten, die einen Ausflug machen. Lila Riedel erklärt der Gruppe kurz die historischen Umstände. "Da gab es noch keine Autos, keinen Strom, keine elektrischen Geräte", erzählt sie.
Dann geht es weiter zur Südfassade mit ihren weißen Marmorskulpturen und dann ins Schloss. In der Blauen Galerie übernimmt Maria Golnow. Sie hat sich die Kronleuchter zum Erklären ausgesucht. "In der Mitte ist ein Stern drin", sagt sie: "Das gefällt mir besonders." Im Jaspissaal ist Daniel Tauchmann dran. "Den Raum finde ich schön wegen seiner rotbraunen Farben, das sieht aus wie ein Puzzle", sagt er und erzählt noch etwas über den Stein Jaspis. Dann lenkt Ines Vogel die Blicke auf das Deckengemälde einer von kleinen Engeln umgebenen Venus: "Das Bild verbindet mich mit meiner Freundin."
Selbstvertrauen behinderter Menschen stärken
Axel Budzinski ist Sozialarbeiter in den Oberlin-Werkstätten und an dem Tag als Begleitung dabei. "Ich finde, das ist ein tolles Projekt", sagt er. Ein wichtiges Ziel sei, Menschen ohne Beeinträchtigung näherzubringen, was Menschen mit Beeinträchtigung alles können. Die Beschäftigten der Werkstätten seien stolz auf ihre Leistungen, erzählt er: "Viele sind selbstbewusster geworden." Und sie haben ganz unterschiedliche Gründe, sich an den Schlossführungen zu beteiligen. "Ich bin kulturell interessiert, ich spreche gerne öffentlich, ich spiele auch Theater", sagt Lila Riedel: "Und der Büroalltag ist nicht so spannend."
Dort arbeitet sie in der Digitalisierung, einem der 13 Bereiche der Oberlin-Werkstätten. Daniel Tauchmann ist in der Metallwerkstatt beschäftigt. Die Führungen mache er, "weil es Spaß macht und weil es schön ist", sagt er. Und Ines Vogel, die auch in der Digitalisierung arbeitet, sagt: "Ich mache die Führungen wegen dem Bild." Das Konzept, das Selbstvertrauen der Menschen aus den Werkstätten zu stärken und ihnen zugleich Bildung zu bieten, gehe auf, sagt Nadine Löffler: "Was der Erfolg für das Selbstbewusstsein bringt, das ist einfach grandios mitzuerleben."
Der Generaldirektor der Schlösserstiftung, Christoph Martin Vogtherr, sieht die Führungen auch als Beitrag zum Abbau von Barrieren. "Die Schlösser und Gärten der Stiftung sind für alle da", betont er: "Wir arbeiten darauf hin, dass die Leichte Sprache regulärer Teil unserer Angebote wird." Dies sei auch ein Wunsch vieler Gäste. Die Führungen der Menschen mit Handicap in den Neuen Kammern gibt es seit 2023, auch wegen der Architektur. "Wir sind ein barrierefreies Schloss", sagt Nadine Löffler. Das Interesse an den Touren wachse stetig, sagt sie: "Wir sind jetzt immer ausgebucht."