Ein Spätnachmittag in einem Supermarkt an der Münchner Balanstraße. Im dortigen V-Markt herrscht der übliche Betrieb auf drei Etagen Verkaufsfläche, Kunden sind zwischen der Gemüseabteilung und der Wursttheke unterwegs, Toilettenpapier gibt es im Untergeschoss, Kleinmöbel auf der oberen Etage. Ab und zu krächzt eine Durchsage für das Personal, leise dudelt Musik, wie in Supermärkten üblich.
Doch um Punkt 18 Uhr verstummt die Beschallung. Jetzt ist hier im V-Markt "Stille Stunde". Jeden Freitag von 18 bis 20 Uhr gibt es dann keine Musik, keine Werbedurchsagen, und die Handys sollen freiwillig auf stumm geschaltet werden. "Das wird von den Kunden positiv aufgenommen", weiß Unternehmenssprecher Martin Glöckner.
Wer den Supermarkt an der Balanstraße betritt, kann auf einem Plakat über die Stille Stunde lesen: "Das Leben in unserer heutigen Zeit ist von ständiger Reizüberflutung geprägt. Insbesondere für Menschen mit Autismus oder anderen sensiblen Bedürfnissen können alltägliche Situationen wie der Einkauf zur Herausforderung werden. Deshalb möchten wir mit der 'Stillen Stunde' den Kundinnen und Kunden eine reizreduzierte Zeit zum Einkaufen anbieten."
Idee aus Neuseeland
Seit gut einem Jahr wird in den V-Märkten diese stille Stunde praktiziert, das lärmfreie Einkaufen ist mittlerweile zu einer Bewegung geworden. So setzt sich der Verein "gemeinsam zusammen e. V." bundesweit dafür ein. Auf der Homepage des Vereins ist zu lesen, die Idee für die "Quiet Hour" stamme von einem gewissen Theo Hogg, einem Angestellten in einem neuseeländischen Supermarkt mit autistischem Kind. Dort werde die Stille Stunde flächendeckend praktiziert.
Dem Verein geht es um den "Abbau von sensorischen Barrieren". Kaum jemand wisse, dass Fachkräfte jahrelang mit autistischen Klienten übten, damit diese überhaupt einkaufen gehen könnten. Es sei ein "verstecktes Leid - leise, angepasst und hinter verschlossenen Türen".
Gut für Autisten und andere
Der Bewegung hin zum stillen Einkaufen hat sich auch die Lebenshilfe Ostallgäu angeschlossen. Sie unterstützt nach eigenen Angaben "seit 1964 Menschen mit geistigen, seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen". Mit rund 2.000 unterstützten Personen und über 750 Mitgliedern verfolge der Verein das Ziel, die selbstbestimmte Teilhabe der Betroffenen zu fördern. Lebenshilfe-Geschäftsführer Klaus Prechtele stellt fest: "Diese Zielgruppe, also Menschen mit Autismus, finden das ein gutes Angebot."
Bei den Kunden scheint die Aktion anzukommen. Jedenfalls bei einer Kundin im V-Markt. "Ich weiß die Stille Stunde, die sie am Freitagabend einrichten, sehr zu schätzen", sagt sie. Als Logopädin habe sie beruflich viel mit Personen zu tun, die an Reizüberflutung leiden, darunter Kinder mit Sprachverarbeitungsproblemen, Personen mit Problemen in der Aufmerksamkeitssteuerung und Personen mit Autismus. Laut dem "Verband Autismus Deutschland" sind davon bundesweit zwischen 600.000 und 800.000 Menschen betroffen.
Warum überhaupt Musik in Supermärkten dudelt, beantwortet die "Music Impact Studie" im Auftrag der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema). Dazu wurden 200 Betriebe beobachtet, in denen eine Woche lang Musik gespielt wurde und eine Woche lang keine. Das Ergebnis: Mit Musikbeschallung konsumieren Kunden mehr. Im Einzelhandel macht das durchschnittlich acht Prozent mehr aus, in der Gastronomie 5,4 Prozent.
Veränderung der Umsätze "nicht meßbar"
Die Musik beeinflusst, so die Studie, vor allem das Tempo und die Stimmung der Konsumenten. "Die Ergebnisse sind statistisch validiert und zeigen einen klaren kausalen Zusammenhang zwischen Hintergrundmusik und Umsatzsteigerung", heißt es darin.
Johannes Everding, Direktor Geschäftsentwicklung bei der Gema, frohlockt angesichts der Ergebnisse der Auftragsstudie: "In einer Zeit, in der Unternehmen, vom kleinen Blumenladen bis zum Supermarkt, der Eckkneipe oder dem Restaurant, mit sinkenden Umsätzen und zunehmend preissensiblen Kundinnen und Kunden zu kämpfen haben, zeigt die Studie eindrucksvoll, welchen wirtschaftlichen Mehrwert Musik schaffen kann." Die Studie belege, dass sich die Investition in Hintergrundmusik für Gastronomiebetriebe und Händlerinnen und Händler vielfach durch spürbare Umsatzsteigerungen und ein deutlich verbessertes Kundenerlebnis auszahle.
Andererseits ist die Stille Stunde nicht unbedingt ein Umsatzkiller, jedenfalls nicht, wenn man V-Markt Sprecher Glöckner glaubt. Eine Veränderung der Umsätze während der musiklosen Zeit sei "nicht messbar", sagt er.




