Mehr Interkulturalität bitte!

Gruppe multiethnischer Personen von hinten
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Theologin Anna-Katharina Diehl hat acht Essentials für interkulturelle und interreligiöse Begegnungen erarbeitet.
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Mehr Interkulturalität bitte!
Interkulturelle Begegnungen können nicht nur die Kirchen positiv beeinflussen, sondern auch den Frieden zwischen den Menschen fördern, meint Theologin Anna-Katharina Diehl und hat acht Essentials für interkulturelle und interreligiöse Begegnungen erarbeitet. Welche das sind und warum das Thema auch für sie als Gemeindepastorin wichtig ist, beschreibt sie in ihrem Blogbeitrag.

In einer zunehmend diversen Gesellschaft wie Deutschland halte ich es für notwendig, dass Pastor:innen interkulturell geschult sind. Doch als Gemeindepastorin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers bin ich in meinem Theologiestudium mit der Interkulturellen Theologie nicht in Berührung gekommen. Das Fach war für keines meiner theologischen Examina relevant. Und auch im Vikariat, der praktischen Ausbildungsphase zur Pastorin, wurde dieser Bereich nur randständig behandelt.

Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, eine Promotion im Fachbereich der Interkulturellen Theologie zu schreiben und dabei der Frage nachzugehen, wie ich als Pastorin Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion begegnen kann. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch mit dem Missionstheologen Theo Sundermeier beschäftigt. Acht Punkte sind mir dabei besonders eindrücklich klar geworden.

Acht Essentials für interkulturelle und interreligiöse Begegnungen

1. Den eigenen Standpunkt vertreten:
Bei der Begegnung mit anders Glaubenden kann es nicht darum gehen, meinen eigenen konfessionellen Standpunkt aufzugeben. Vielmehr möchte ich diesen selbstbewusst in das interkulturelle und interreligiöse Gespräch einbringen.

2. Die eigene Haltung finden:
Als Christin gehe ich davon aus, dass mir in jedem Menschen ein Geschöpf Gottes gegenübersteht, dem ich mit Würde und Respekt begegne. Gleichzeitig muss ich mir dessen bewusst sein, dass sich die Weltsicht meines Gegenübers möglicherweise grundlegend von meiner unterscheidet.

3. Dem Gegenüber zuhören:
Deshalb geht es darum, mein Gegenüber zunächst besser zu verstehen. Dazu muss ich der Person gut zuhören und sollte nicht vorschnell urteilen.

4. Den eigenen Überzeugungswillen zügeln:
Als Christin lebe ich aus der befreienden Botschaft des Evangeliums heraus, von der ich berichten darf, ohne dabei andere unbedingt von meiner Perspektive überzeugen zu müssen.

5. Die Freiheit des Gegenübers akzeptieren:
Dabei darf ich mein Gegenüber nicht vereinnahmen, aber auch nicht in ihrer/seiner Identität festschreiben. Jede/r sollte in Freiheit für sich selbst sprechen und entscheiden (dürfen).

6. Vernetzte Verschiedenheit anstreben:
Interkulturelle Begegnungen lassen sich am besten in vernetzter Verschiedenheit, nämlich im Einander-Helfen, Voneinander-Lernen und Miteinander-Feiern gestalten, wie es Sundermeier in seinem Konzept der Konvivenz ausgeführt hat. Beispiele für niedrigschwellige Begegnungen in der Nachbar:innenschaft können gemeinsame Feste und Spiele und die gemeinsame Zubereitung des Essens sein. Dies lässt sich auch unabhängig von Religionszugehörigkeit durchführen. In der Organisation von Nachbar:innenschaftshilfe können Kirchengemeinden eine unterstützende Rolle spielen.

7. Machtverhältnisse reflektieren:
In jeder interkulturellen Begegnung müssen bestehende Machtverhältnisse reflektiert und transparent gemacht werden. Als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft habe ich als Pastorin in Deutschland besondere Privilegien, die andere Menschen nicht teilen.

8. Ökumene leben:
Besonders aus der Ökumene können wir Christ*innen Vieles voneinander lernen. Denn die Wahrheit der Bibel kann nur in ökumenischer Weite in all ihrer Tiefe erforscht werden.

Interkulturelle Begegnung und Vernetzung sind wichtig

Ich bin davon überzeugt, dass eine stärkere Vernetzung von uns Christ:innen gerade angesichts schwindender personeller und finanzielle Ressourcen hilfreich sein kann. Wenn wir uns zusammentun, da wo es geht, wird das Christ:innentum gestärkt werden! Als Beispiele aus meinem Gemeindealltag kann ich von regelmäßigen Veranstaltungen mit unseren deutschen, katholischen Geschwistern berichten. Dazu gehören der traditionelle Martinsumzug und das Pfingstfest, die Einschulungsgottesdienste in den Grundschulen und das Totengedenken im Senior:innenheim. Auch das Krippenspiel an Heiligabend haben wir schon gemeinsam ausgerichtet.

Im Bereich der internationalen Gemeinden habe ich wahrgenommen, dass Kooperationen mit Volkskirchen weniger selbstverständlich sind. Dies mag daran liegen, dass Migrant:innen ihre Identität und Gemeinschaft besonders stark pflegen und auf volkskirchlicher Seite Unsicherheiten, fehlende Kenntnisse und Vorurteile der anderen Seite gegenüber bestehen. Auch Sprachbarrieren spielen eine Rolle. Als besonders schön empfinde ich deshalb die gemeinsamen Gottesdienste mit der evangelisch-koreanischen Gemeinde, mit der wir uns unsere kirchlichen Räumlichkeiten teilen.

Ein anderes Beispiel für eine interkulturelle Arbeit mit Kindern habe ich vor Kurzem auf einer Fortbildung kennengelernt. In einem offenen Montessori-Konzept wird der Zugang zu biblischen Geschichten durch Methoden wie Basteln, Malen, Fühlen, Toben und gemeinsames Essen für alle erlebbar gemacht. Kinder unterschiedlichen Alters können sich an selbstgewählten Stationen eigenständig und unabhängig von Sprachbarrieren mit Bibeltexten auseinandersetzen.

Sich über die eigene Identität klar werden

Auch im Bereich der Partnerschaftsarbeit gibt es aus meiner Sicht für uns Christ:innen Vieles zu lernen. Denn der eigenen Identität wird man sich erst in der Fremde so richtig bewusst. Hier werden Menschen in ihrem Innersten bewegt. Fremdheit und Zugehörigkeit werden zugleich empfunden. Auf Grund der räumlichen Distanz ist diese Erfahrung dabei zeitlich begrenzt und somit für manche Menschen leichter ertragbar als in der direkten Nachbar:innenschaft, wo diese fehlt.

Als Vorsitzende eines kleinen Vereins erlebe ich Partnerschaftsarbeit mit Christ:innen im Nahen Osten als höchst bereichernd. Den Blick über meinen eigenen Tellerrand erlebe ich als heilsam, erkenne ich doch erst, wofür ich dankbar bin, im Angesicht der schwierigen Situation, in der meine Geschwister leben. Und gleichzeitig beeindruckt mich so vieles bei unseren Partner:innen: In ihrem Vertrauen auf Christus und ihrem Engagement für die Armen in einer wirtschaftlich und vom Krieg gebeutelten Region sind sie mir zum Glaubensvorbild geworden.

Ziel von kirchlicher Partnerschaftsarbeit sollte es meines Erachtens sein, so vielen Menschen wie möglich Zugang zu anderen Kontexten zu ermöglichen. Denn dabei werden manchmal lebenslange Beziehungen geknüpft, von denen beide Seiten auf unterschiedliche Weise profitieren. Interkulturelle Erfahrungen aus anderen Weltregionen im eigenen Kontext fruchtbar zu machen, halte ich außerdem für eine große Chance, indem Menschen mit Partnerschaftserfahrung in ihrem Umfeld als Brückenbaur:innen vermitteln. Denn der Frieden in unserer pluralen Gesellschaft hängt mehr und mehr von der Fähigkeit ab, mit gesellschaftlicher Pluralität konstruktiv umzugehen.

Wir Christ:innen müssen nicht alle gleich sein. Aber in unserem gemeinsamen Bekenntnis zu Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist verbindet uns ein starkes Glaubensfundament. Gerade jetzt, wo Nationalismen und Autokratien wieder erstarken und Menschen verstärkt nach ihrer Herkunft gefragt und dementsprechend ausgegrenzt werden, sollte eine Orientierung an Jesus Christus eine starke, uns über Nationen hinweg verbindende Basis darstellen und zum Frieden unter allen Menschen beitragen.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.