Wiedererwachen nach Tod der Prophetin Wittek

Portrait von Matthias Pöhlmann
Michael McKee
"Als absolut autoritäres System" sieht Matthias Pöhlmann, Kirchenrat und landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die Neureligion "Universelles Leben".
Universelles Leben
Wiedererwachen nach Tod der Prophetin Wittek
Fast 50 Jahre missionierte die selbst ernannte Prophetin Gabriele Wittek für die Neureligion "Universelles Leben". Nach ihrem Tod im Jahr 2024 wurde es aus religiöser Perspektive ruhiger um die Bewegung. Der Versand "Lebe Gesund", der zu den Umfeldinitiativen der Neureligion gehört, florierte stetig weiter. Jetzt zeichnet sich ab: Neue Offenbarungen und ein neues Medium setzen die Initiative der Schwester Gabriele, die sich als Inkarnation der göttlichen Weisheit sah, fort. evangelisch.de Redakteurin Katja Eifler spricht mit dem Sektenbeauftragten Matthias Pöhlmann über das neue Erwachen.

evangelisch.de: Herr Pöhlmann, nach dem Tod der Prophetin ist der Eindruck entstanden ist, dass es um das "Universelle Leben" ruhiger wird. (evangelisch.de berichtete) Die letzte Offenbarung wurde im Mai 2024 veröffentlicht. Wie ist Ihr Eindruck jetzt heute dazu?

Matthias Pöhlmann: Ja, hier zeichnen sich in letzter Zeit neue Entwicklungen ab. Zunächst mal war es ja so, dass Gabriele Wittek noch zu Lebzeiten gesagt hat, nach ihr wird es keine Lehrprophetin, keinen Lehrpropheten geben. Und nach ihrem Tod galt es zu überlegen, wie geht es jetzt weiter? Vor allem was das Feld von neuen Offenbarungen angeht, regt sich etwas. Denn Ulrich Seifert tritt als "Medium" auf und verbreitet neue Offenbarungen.

Das finde ich bemerkenswert, weil ich denke, es sind zwei Linien, die man beim universellen Leben beobachten kann. Das eine ist die religiöse Linie und das andere sind sozusagen diese Umfeldinitiativen. Dazu gehört der Biokosthandel "Lebe gesund" sehr stark. Darüber hinaus gibt es auch noch eigene Schulen der Neureligion, die in Unterfranken betrieben werden. Was das wirtschaftliche Feld angeht, ist es mein Eindruck, dass man da  gut aufgestellt ist. Man ist ja mit über 40 Ständen auf Märkten in Deutschland präsent. Ich habe den Eindruck, dass man jetzt eben auch auf der religiösen Linie Vorsorge treffen möchte, damit die Offenbarungen weiter gehen. 

Wo präsentiert sich denn das neue Medium Ulrich Seifert, der sich ja bereits als aktiver Anhänger dieser konfliktträchtigen Neureligion hervorgetan hat denn jetzt?

Pöhlmann: Vor allem auf dem Digitalsender Die Neue Zeit TV, der ja auch auf der Homepage des Universellen Lebens beworben wird. Auf die mediale Verbreitung wurde von ihm ein Akzent gesetzt. Und mir fällt auf, dass in letzter Zeit eben regelmäßig sogenannte urchristliche Treffen in der Sophia-Bibliothek in Marktheidenfeld-Altfeld stattfinden, die dann auch als Zusammenschnitt über diesen TV-Sender Die Neue Zeit verbreitet werden. Und da sieht man eben die engste Gemeinde, sie nennt sich jetzt neuerdings Stammgemeinde, in der dann Ulrich Seifert als Medium fungiert. Dort wird vom Jahr zwei des "messianischen, sophianischen" neuen Zeitalters gesprochen. Damit gemeint ist es, im zweiten Jahr nach dem Tod von Gabriele Wittek zu sein.

Ist das die Transformation, von der Sie auch in der aktuellen Dokumentation des ZDF  gesprochen haben?

Pöhlmann: Ja, aber ob sie denn Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Ich denke, für das Universelle Leben, vor allem natürlich auch für den inneren Zusammenhalt, sind diese neuen Offenbarungen doch sehr, sehr wichtig. Ich beobachte, dass dann im Anschluss daran auch einzelne Beiträge von Mitgliedern kommen, teilweise eben auch aus anderen Ländern, aus Kroatien oder Spanien. Und das soll letztendlich auch ermöglichen, dass man sich miteinander und untereinander verbunden weiß.

Kann man da eine Zahl beziffern, wie groß diese Stammgemeinde ist?

Pöhlmann: Nach meiner Beobachtung aus den Aufnahmen der Menschen, die da in dieser Sophia-Bibliothek zusammenkommen, schätze ich es auf etwa 400 bis 450 Personen. Es ist der engere Kreis. Man hat dafür auch eine eigene Sprachregelung gefunden. Früher hieß der innere Kreis "Bundgemeinde Neues Jerusalem". Jetzt spricht man von der "Stammgemeinde". Die übrigen Anhängerinnen und Anhänger, die sich untereinander "Geistgeschwister" nennen, zählen, so die interne Sprachregelung zum "Sammelbecken". Das heißt, es gibt einen inneren Kreis und dann gibt es eben zahlreiche Sympathisantinnen, Sympathisanten, die verstreut in Deutschland und darüber hinaus leben. Man wirbt sehr stark damit, dass man auch medial in Afrika präsent ist durch digitale Satellitenübertragung.

Ist es gerechtfertigt, beim "Universellen Leben" von einer Sekte zu sprechen?

Pöhlmann: Ich halte den Begriff Sekte insgesamt für ungeeignet, da es sich um eine pauschale Außen- und Fremdbezeichnung handelt. Ich spreche eher von einer konfliktträchtigen Neureligion. Neureligion insofern, weil sich diese Gruppierung eben neue schriftliche Grundlagen, eine eigene Bibel, gegeben hat. Man polemisiert massiv gegen die christlichen Kirchen. Es gab ja Versuche von einigen dieser "Urchristen" im Jahr 2000, die Bibel auf den Index jugendgefährdeter Schriften setzen zu lassen.

"Man polemisiert massiv gegen die christlichen Kirchen."

Man hat prozessiert gegen die christlichen Kirchen, dass ihnen das Prädikat oder Adjektiv "christlich" aberkannt wird. Also das heißt, die zurückliegenden Jahre, vor allem als Christian Seiler, der Pressesprecher, noch tätig für das Universelle Leben war, waren geprägt von zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen mit kirchlichen Beauftragten und mit einer ganz starken Polemik. Man hat so den Eindruck in den letzten Jahren gewonnen, dass es nach außen hin sehr viel ruhiger und stiller geworden ist. Das mag vielleicht zutreffen, hängt natürlich auch mit den internen Veränderungsprozessen zusammen. Aber jetzt, denke ich, versucht man die Übergangszeit auch zu nutzen, um noch stärker die Botschaft nach außen hin zu verbreiten. 

In der Fernsehdokumentation wurde auch der massive Ankauf landwirtschaftlicher Flächen angesprochen. Zum Beispiel in Greußenheim sollen 16 Prozent der Flächen inzwischen dem universellen Leben gehören oder der Lebe gesund GmbH. Wie erklären Sie sich das? Welche Strategie steckt dahinter?

Pöhlmann: Von Anfang an ist man ja mit dem Anspruch aufgetreten, ein Leben nach der Bergpredigt zu führen und dass in einen größeren Zusammenhang zu verwirklichen. Die Prophetin gab noch zu Lebzeiten die Parole aus, ein Land des Friedens zu schaffen durch den Erwerb von entsprechenden Grundstücken. Und diese Grundstückskäufe spielen eben in dieser Gegend eine wichtige Rolle. Das Gut Greußenheim in dieser Gegend war teilweise der Wohnort der Prophetin.

"Die Prophetin gab noch zu Lebzeiten die Parole aus, ein Land des Friedens zu schaffen durch den Erwerb von entsprechenden Grundstücken."

Und wenn man sich die Sendungen auf dem genannten TV-Kanal anschaut, dann wird das "Friedensland" immer werbemäßig eingesetzt. Aber wenn man als Kritiker dorthin fährt, wird man schnell angesprochen beziehungsweise bekommt auch Hausverbot, das ist mir passiert.

Das "Universelle Leben" ist auch sehr klagefreudig…

Pöhlmann: Ja das war in der Vergangenheit zumindest so. Man hat immer sehr schnell Post bekommen, wenn man kritisch darüber berichtet hat. Das war schon sehr polemisch, was da teilweise passiert ist. In Bezug auf das Stichwort Veränderungsprozess ist zu sagen, dass die bisherigen Juristen im Universellen Leben, wie Christian Seiler, der war lange Zeit auch als Pressesprecher für die tätig, vor etlichen Jahren ausgestiegen sind. Und dann ist Anfang des Jahres ist auch noch Gerd Joachim Hetzel verstorben. Er hatte mit Seiler eine Kanzlei betrieben, die das Universelle Leben vertreten hat. Von ihm habe ich eine Mitteilung bekommen, dass ich die Einrichtungen der "Urchristen" nicht mehr betreten darf. Mir scheint es aber, dass sie sich, auch angesichts des Drucks in sozialen Medien, stärker zurückziehen, so nach dem Motto: Es sind so viele Falschdarstellungen, wir reagieren darauf gar nicht mehr so richtig.

 

In der Dokumentation wird "Manuel" als Aussteiger vorgestellt, der von schlimmen Erlebnissen in seiner Kindheit und Jugend innerhalb dieser Gemeinschaft berichtet. Deckt sich das mit den Erfahrungen, die Ihnen bekannt sind?

Pöhlmann: Was Aussteigerinnen und Aussteiger angeht, war in den letzten Jahren Michael Hitziger bedeutend. Der hatte ein Buch geschrieben über den Weltuntergang bei Würzburg. Er hat auch in einer Veröffentlichung von der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen von seinen Erfahrungen berichtet. 

"Also man muss sich natürlich klarmachen, es ist ein absolut autoritäres System."

Aktuell hört man nicht viel von Aussteigerinnen oder Aussteigern. Manche trauen sich vielleicht nicht mehr, sich öffentlich zu erklären oder schämen sich für ihre Mitgliedschaft, also zu sagen: Mensch, ich habe mich da in was hineinbegeben, wo ich dann gemerkt habe, das ist höchst problematisch. Also man muss sich natürlich klarmachen, es ist ein absolut autoritäres System. Es heißt ja, man soll diesen Offenbarungen vertrauen und ihnen glauben. Kritik ist nicht vorgesehen. 

In Deutschland gilt die Religionsfreiheit, was auch gut und richtig ist. Würden Sie sagen, das "Universelle Leben" ist eine Bewegung oder eine, wie Sie es nennen, konfliktträchtige Neureligion, die man eigentlich verbieten müsste?

Pöhlmann: Also, ich bin ein Verfechter der Religions- und Weltanschauungsfreiheitch denke wir müssen in unserem Land damit leben, dass es da durchaus auch sehr problematische konfliktrechtliche Gruppierungen gibt. Beim Universellen Leben merkt man doch, dass der religiöse Ansatz natürlich viel stärker ist als beispielsweise bei der Organisation von Scientology, die sich gerne als Religion oder Kirche präsentieren möchte. Klar ist die Weltdistanz und das Misstrauen beim Universellen Leben sehr groß, man geht ja von einer Komplott-Situation aus Justiz, Medien und Kirche aus. 

Ich kann also ungefährdet, sage ich jetzt mal, an so einem Marktstand mein Bio-Brot kaufen (evangelisch.de berichtete), sollte aber vielleicht hellhörig werden, wenn ich zu einer Meditation eingeladen werde?

Pöhlmann: Das ist oft eine Fangfrage, die dann auch bei öffentlichen Vorträgen meistens von den "Urchristen" des universellen Lebens gestellt wird. Ob ich zum Boykott aufrufe. Ich halte es so: Sie wissen, dass es sich um eine Umfeldinitiative des universellen Lebens handelt. Entscheiden Sie selbst, prüfen Sie selber, wofür Sie Ihr Geld ausgeben möchten und wofür nicht. Aber wichtig ist es auch, als Verbraucherin, als Verbraucher gut informiert zu sein.

Das heißt, die Akquise neuer Mitglieder erfolgt dann doch mehr über die Medien und nicht auf dem Markt?

Pöhlmann: Das ist unterschiedlich. So gibt es zum Beispiel den Marktstand auf dem Münchner Viktualienmarkt. Da lagen vor Jahrzehnten eben auch Werbematerialien. Dem hat man einen Riegel vorgeschoben. Auch am Markstand in Bamberg war das so. Ich hatte damals einen Leserbrief geschrieben mit der Überschrift "Biokost mit bitterem Nachgeschmack". Und da gab es dann natürlich eine heftige Diskussion darüber.

Wir haben zum Beispiel in Nürnberg einen Laden vom Universellen Leben, wo die auch ihre Bücher oder Materialienauslegen dürfen. Ich denke eher, dass so Akquise betrieben wird, dass mancher den Eindruck hat: Das sind doch so nette Leute und das ist doch toll, was die da machen im Tierschutz oder Jagdschutz. Vor allem über diese Themen und über die vegane oder vegetarische Ernährung wird Interesse geweckt. Es wird nicht offensiv missioniert, sondern es wird versucht,  ein positives Image nach außen hin zu verbreiten.