Warum Europa im 16. Jahrhundert zehn Tage verlor

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Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher, kirchlicher und politischer Entwicklungen - auch unter dem Druck der Reformation - setzte Papst Gregor XIII. 1582 eine Kalenderreform um.
Religionsforscher zum Kalender
Warum Europa im 16. Jahrhundert zehn Tage verlor
In der Reformationszeit galt in Europa noch der julianische Kalender, der durch Ungenauigkeiten aus dem Takt geraten war. Für den Alltag spielte das zwar kaum eine Rolle, sagt der Religionswissenschaftler Jörg Rüpke dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Im 13. Jahrhundert habe die Abweichung zu jahreszeitlichen Phänomenen - wie der Tag- und Nachtgleiche - jedoch bereits bei acht Tagen gelegen, erklärt Religionswissenschaftler Jörg Rüpke im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher, kirchlicher und politischer Entwicklungen - auch unter dem Druck der Reformation - setzte Papst Gregor XIII. dann 1582 eine Kalenderreform um. Protestantische Staaten verweigerten sich zunächst und führten den neuen gregorianischen Kalender weitgehend erst im Jahr 1700 ein, so der Professor für Vergleichende Religionswissenschaft am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt.

epd: Seit wann gibt es den Julianischen Kalender?

Jörg Rüpke: Der Julianische Kalender wurde im ersten Jahrhundert vor Christus (durch Julius Caesar, daher der Name) eingeführt. Er fand im Römischen Reich Anwendung und wurde später auch vom Byzantinischen Reich übernommen. Im Mittelalter nutzten ihn nahezu alle Gesellschaften im Mittelmeerraum, ebenso die entstehenden germanischen Königreiche.

Warum kam es im 16. Jahrhundert zu einer Kalenderreform?

Rüpke: Seit dem 13. Jahrhundert gibt es eine Diskussion über den Julianischen Kalender, und zwar aufgrund seiner technischen Unzulänglichkeiten. Das Problem besteht darin, dass das Jahr im Julianischen Kalender zu lang berechnet wird. Der Kalender sieht ein Jahr mit 365,25 Tagen vor, indem alle vier Jahre ein Schalttag eingefügt wird. Tatsächlich ist das Sonnenjahr jedoch etwas kürzer.

In der Reformationszeit galt in Europa noch der julianische Kalender, der durch Ungenauigkeiten aus dem Takt geraten war, erklärt sagt der Religionswissenschaftler Joerg Rüpke.

Diese Abweichung fällt im Alltag kaum auf und betrifft auch nicht Fragen wie die Schaltsekunde oder den Stand der Sonne um 12:00 Uhr, sondern vielmehr die Umlaufzeit der Erde um die Sonne. Die Differenz summiert sich in 100 Jahren auf etwa 0,75 Tage, also etwa drei Viertel eines Tages. Das erscheint wenig, aber über viele Jahrhunderte gerechnet macht sich die Abweichung bemerkbar.

Inwiefern?

Rüpke: Nach etwa 13 Jahrhunderten war die Kalenderdifferenz so groß, dass es zu einer systematischen Verschiebung von jahreszeitlichen Phänomenen kam. Im 13. Jahrhundert lag die Abweichung bereits bei etwa acht Tagen. Das führte etwa dazu, dass etwa die Tagundnachtgleiche oder der kürzeste Tag im Kalender bis zu zehn Tage zu spät angezeigt wurde - weil das Kalenderjahr eben um diesen kleinen Bruchteil zu lang war.

"Auch die Heiligen hatten aus Sicht der Kirche einen Anspruch darauf, am korrekten Tag verehrt zu werden"

Noch waren wir zu dieser Zeit vor der Reformation. Solche Probleme wurden damals vorrangig von der katholischen Kirche als der internationalen Institution des Mittelalters auf Konzilien diskutiert. So stand die Frage auch im 15. Jahrhundert beim Konzil von Konstanz (1414-1418) zur Debatte, wo neben anderen Themen, wie der Verurteilung und Verbrennung des böhmischen Theologen und Kirchenreformers Jan Hus als Ketzer, auch die Kalenderfrage behandelt wurde.

Auch die Heiligen hatten aus Sicht der Kirche einen Anspruch darauf, am korrekten Tag verehrt zu werden. Einerseits war die korrekte Festlegung von Feiertagen im Kirchenjahr ein Anliegen, andererseits ergaben sich neue astronomische Erkenntnisse über die genaue Länge des Jahres.

Wie kam man vom alten zum neuen Kalender?

Rüpke: Nach dem langen Konzil von Trient (1545-1563) richtete Papst Gregor XIII. eine Kommission zur Reform ein. Der neue Kalender trat 1582 in Kraft, erhielt aber erst später den Namen "gregorianisch". Zwar beteiligten sich auch protestantische Gelehrte an den europaweiten Diskussionen. Am Ende aber galt die Reform wegen ihrer Verkündung durch den Papst als "papistisch".

"Die protestantischen Staaten übernahmen den gregorianischen Kalender weitgehend erst 1700, England im Jahr 1752"

Daher lehnten die protestantischen Staaten sie zunächst ab und übernahmen den gregorianischen Kalender weitgehend erst 1700, England im Jahr 1752. Ziel war es, die wachsende Differenz zwischen Kalender und astronomischen Ereignissen dauerhaft zu beseitigen.

Warum dauerte das so lange?

Rüpke: Katholischerseits wurde ja nicht nur ein neuer Kalender verabschiedet, sondern auch die katholische Liturgie reformiert. Warum sollen die Protestanten einen Teil dieser Reform anerkennen, wo sie sicherlich den anderen Part aus jeder Faser ihres Herzens ablehnen? Es ist im Grunde ein Gesetzespaket, das da verabschiedet worden ist. Es wäre sehr verwunderlich gewesen, wenn die protestantischen Staaten dem zugestimmt hätten.

Was war der zentrale Punkt der gregorianischen Kalenderreform von 1582?

Rüpke: Der zentrale Punkt war, den Rückstand des julianischen Kalenders gegenüber dem tatsächlichen Sonnenjahr zu beheben. Dazu wurden zehn Kalendertage übersprungen: Auf den 4. Oktober 1582 folgte direkt der 15. Oktober. So wurde der Kalender an die ursprünglichen Regeln und den Beginn des Frühjahrs, von dem das Osterdatum abhängt, wieder angepasst.

Spielte die Art des Kalenders für die Menschen der Reformationszeit überhaupt eine Rolle?

Rüpke: Nur gering. Die Mehrheit war zwar unzufrieden mit dem Kalender, nutzte ihn aber einfach weiter und arrangierte sich damit. Zwei weitere Fragen waren viel präsenter: Erstens, wann das neue Jahr beginnen sollte. Im 16. Jahrhundert hatten sich die meisten deutschen Staaten bereits auf den 1. Januar als Jahresanfang geeinigt, aber nicht alle katholischen Bistümer taten das.

"Historikerinnen und Historiker, die in Deutschland über die Zeit zwischen 1582 und 1700 arbeiten, nehmen die Daten des dann dort gültigen Kalenders"

Einige hielten weiterhin am 25. Dezember oder am 25. März fest. Über dieses Durcheinander machten sich die Zeitgenossen tatsächlich Sorgen und mussten im Alltag klarkommen. Zweitens richtete sich die Datierung oft nach Heiligentagen. Das führte zu weiteren Unsicherheiten, weil verschiedene Regionen den Gedenktag ein und desselben Heiligen unterschiedlich festlegten.

Müssen wir die Daten aus der Reformationszeit umrechnen? Bleibt der Reformationstag nach julianischem Kalender am 31. Oktober bestehen, obwohl er nach heutiger Zeitrechnung wohl der 13. November wäre?

Rüpke: Nein, es ist ja auch in den letzten Jahrhunderten nie umgerechnet worden. Da ist niemand hingegangen und hat die Staats- oder fürstlichen Archive neu datiert. Historikerinnen und Historiker, die in Deutschland über die Zeit zwischen 1582 und 1700 arbeiten, nehmen die Daten des dann dort gültigen Kalenders. Wenn Sie aber jetzt einen Briefwechsel aus zwei unterschiedlichen Zeitregionen haben, dann würden Sie beide Daten angeben und im Zweifelsfall würden Sie dann eher dazu neigen, die gregorianische Datierung anzugeben.

Warum sind die protestantischen Länder schließlich doch dem katholischen Regelwerk gefolgt?

Rüpke: Es waren vor allem pragmatische Gründe. Der papistische Charakter des gregorianischen Kalenders rückte für die Evangelischen in den Hintergrund. Die wachsende wirtschaftliche und politische Verflechtung nahm zu.

Welche Probleme kann es durch unterschiedliche Kalendersysteme noch geben?

Rüpke: Wenn man zum Beispiel wissen möchte, wann eine Sonnenfinsternis war. Dafür fand man schon kurz nach der Kalenderreform am Ende des 16. Jahrhunderts eine Lösung. Der französische Gelehrte Joseph Justus Scaliger (1540-1609) entwickelte zur Vereinfachung der Zeitrechnung das Konzept eines absoluten kalendarischen Nullpunkts: den 1. Januar des Jahres 4.713 v. Chr., mittags um 12 Uhr. Ab diesem Zeitpunkt wird jeder folgende Tag fortlaufend nummeriert - die Basis für das sogenannte Julianische Datum. Fragen wie "Wann fängt das Jahr an? Ist es ein Schaltjahr oder nicht?" erübrigen sich damit. Diese fortlaufende Tageszählung wird bis heute in der Astronomie und anderen Wissenschaften verwendet, um Datumsberechnungen eindeutig durchzuführen.