Fehler im Umgang mit Missbrauch in Siegen

Ein Holzkreuz in einem Duden
epd-bild/Heike Lyding
Die Untersuchung entlastet zwar Annette Kurschus persönlich, doch der Fall führte dennoch zu ihrem Rücktritt als EKD-Ratsvorsitzende.
Neue Studie erscheint
Fehler im Umgang mit Missbrauch in Siegen
Eine unabhängige Studie zum Umgang mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall im Kirchenkreis Siegen wirft der Evangelischen Kirche von Westfalen schwere Versäumnisse vor. Dienstvorgesetzte sollen bereits in den 1990er Jahren von den Vorwürfen gewusst, aber nicht gehandelt haben.

Im Umgang mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall im evangelischen Kirchenkreis Siegen sind einer Studie zufolge auf mehreren Ebenen Fehler gemacht worden. Der Fall hatte im November 2023 zum Rücktritt von Annette Kurschus als westfälische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geführt. Der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, räumte bei der Veröffentlichung der unabhängigen Untersuchung am Dienstag ein, dass die Verfahren nicht "verlässlich und klar genug" und die Kommunikationsprozesse nicht "transparent und gut genug" gewesen seien.

Bereits in den 1990er Jahren hätten die Dienstvorgesetzten des Beschuldigten Kenntnis von Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen den damaligen Mitarbeiter einer Siegener Gemeinde gehabt, erklärte die von der westfälischen Kirche beauftragte Unternehmensberatung Deloitte. Es hätte die Verpflichtung gegeben, diese Fälle zu untersuchen, sagte Christian Knake von Deloitte. "Das ist aber nicht passiert." Belege für ein Fehlverhalten von Kurschus in ihrer Siegener Zeit als Pfarrerin und Superintendentin gebe es nicht, kritikwürdig sei aber ihr Kommunikationsverhalten.

Kurschus wurde den Angaben zufolge von einer Pfarrerin erst im Oktober 2022 über die Vorwürfe gegen den früheren Kirchenmitarbeiter informiert. Im März 2023 wurde die Meldestelle der Landeskirche offiziell informiert, einen Monat später die Kirchenleitung.

"Sehr passive Kommunikationsstrategie"

Die Studie bemängelt eine "sehr passive Kommunikationsstrategie" des Landeskirchenamtes. Diese Strategie sei ein wesentlicher Faktor dafür gewesen, dass Dinge in der Öffentlichkeit nicht so dargestellt worden seien, wie sie zu dem Zeitpunkt waren. Diese Aufarbeitung führte laut Studie im Mai 2023 zu einem Konflikt auf oberster Führungsebene der viertgrößten deutschen Landeskirche und zu einem gegenseitigen Vertrauensverlust. Entgegen der geltenden Prozesse sei zusätzlich ein externes Beraterteam einbezogen worden.

Verdächtigt wurde der Untersuchung zufolge ein Kirchenmusiker. Er soll seit den 1980er Jahren im Kirchenkreis Siegen junge Orgelschüler sexuell bedrängt haben. Sieben Betroffene erhoben Missbrauchsvorwürfe gegen den Mann. Die Staatsanwaltschaft Siegen stellte strafrechtliche Ermittlungen Ende April 2024 ein, da die mutmaßlichen Missbrauchsfälle entweder verjährt oder die Betroffenen damals nicht mehr minderjährig gewesen seien.

Kurschus war in den 90er Jahren Pfarrerin in einer Nachbargemeinde und laut der Untersuchung "eine enge Freundin der Ehefrau des Beschuldigten". Sie sei aber nicht die Dienstvorgesetzte des Mannes gewesen, betonten die Studienautoren. Kurschus hatte nach Bekanntwerden des Missbrauchsverdachts stets beteuert, dass sie in ihrer Siegener Zeit lediglich Hinweise auf die Homosexualität des Beschuldigten gehabt habe, nicht aber auf sexuellen Missbrauch.

"Dass der Beschuldigte im Kontext seines Dienstes in der evangelischen Kirche über Jahrzehnte hinweg Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung ihm anvertrauter Schüler verletzen konnte, stellt ein Versagen der evangelischen Kirche dar", erklärte Ulf Schlüter, der kommissarisch als leitender Theologe an der Spitze der westfälischen Kirche steht. Die Betroffenen hätten nicht wiedergutzumachendes Leid erfahren. Sie hätten die Möglichkeit, Anerkennungsleistungen zu beantragen und gegebenenfalls ergänzende Hilfeleistungen in Anspruch zu nehmen.

Die Landeskirche werde den vorgelegten Bericht umfassend prüfen und Konsequenzen daraus ziehen, mögliche Pflichtverstöße Beteiligter prüfen und ihre Verfahren zur Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt weiter verändern und verbessern, sagte Schlüter.