"Antijudaismus ist Teil christlicher Ideengeschichte"

Symbole für Christentum und Judentum
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Debatte zu Israel-Hass
"Antijudaismus ist Teil christlicher Ideengeschichte"
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) hat auf ihrer Jahrestagung eine Resolution zum Thema Antisemitismus und Israel-Hass mit Blick auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel veröffentlicht. Henning Flad, Projektleiter der BAG K+R, wird im evangelisch.de-Gespräch konkret zu den Themen christlicher Antijudaismus, AfD und Abwehr der Erinnerung an den Nationalsozialismus.

Die BAG K+R hat am 21. Oktober die Resolution mit dem Titel "Solidarität mit Israel – gegen Israelhass und Antisemitismus" verabschiedet. Zum Abschluss der zweitägigen Jahrestagung 2023, die unter dem Motto "Nächstenliebe unter Druck – Kirche im Einsatz für Demokratie" in Dresden stattfand, erklärten die Teilnehmenden ihre Erschütterung über die Welle der terroristischen Gewalt in Israel. In der Veröffentlichung heißt es: "Die Terrorangriffe zielten auf Jüdinnen und Juden, den Staat Israel und die Werte der demokratischen Welt. Viele Freund:innen und Partner:innen in Israel sind von der terroristischen Gewalt betroffen, sie haben Angehörige verloren oder bangen um die, die entführt wurden."  

In den Tagen nach dem 7. Oktober 2023 kurz vor der Jahresversammlung, beschlossen die Veranstalter:innen kurzfristig, das Programm der Tagung zu ändern. Zu Beginn gab es ein Statement und eine Schweigeminute. In kurzer Zeit wurde die Resolution "Solidarität mit Israel – gegen Israelhass und Antisemitismus" verfasst, überarbeitet, diskutiert und letztendlich beschlossen. "Der Textentwurf wurde in den letzten Tagen vor der Veranstaltung geschrieben und dann dort noch einmal in einer AG überarbeitet", erklärt Henning Flad, Projektleiter in der BAG K+R. 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft spricht von den schlimmsten Angriffen auf jüdisches Leben seit 1945. In diesem Kontext schaut die Resolution auch auf Deutschland und sieht eine erneute Welle von Antisemitismus: "Jüdisches Leben wird gezielt angegriffen. In Berlin wurden Häuser mit Davidsternen markiert, und es gab Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Jüdische Eltern schicken aus Angst um die Sicherheit ihre Kinder nicht in gewohnter Form in Schulen und Kindergärten, jüdische Sportvereine schränken den Betrieb ein. Antisemitismus zeigt sich auch in der Weigerung, Empathie gegenüber bedrohten Jüdinnen und Juden zu zeigen und den Terror klar zu verurteilen."

Henning Flad ist Projektleiter der Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R).

Daraus und in Hinblick auf die zahlreichen Demonstrationen, die auch von Israel-Hass und Antisemitismus durchzogen sind, entsteht die Forderung der BAG K+R, an Politiker:innen und Sicherheitsbehörden, sich eindeutig gegen Antisemitismus zu positionieren, Straftaten zu verfolgen und jüdisches Leben langfristig zu schützen.

Henning Flad macht im Gespräch zudem deutlich, dass die Debatte nicht von rechtspopulistischen und rechtsextremen Akteur:innen vereinnahmt werden darf: "Es gibt bei jeder Auseinandersetzung Leute, die dann ihr Süppchen darauf kochen wollen. Es ist in der Tat so, dass aus dem AfD-Umfeld versucht wird, das politisch zu nutzen, um Rassismus zu schüren und die Erzählung zu stärken, dass Migration an sich problematisch sei." Jüdisches Leiden werde aus diesem Umfeld zum eigenen Vorteil instrumentalisiert. Gleichzeitig sei aber eine "erstaunliche Kälte" eben diesem Leiden gegenüber wahrzunehmen.

Auch weiter rechts sieht Flad keine Solidarität mit jüdischem Leben: "Wenn man jetzt noch weiter rechts guckt, also in die deutsche Neonazi-Szene, dann sieht man, dass dort das Massaker der Hamas ausdrücklich befürwortet wird. Die rechtsextreme Partei 'die Heimat', früher bekannter unter dem Namen NPD, hat zudem in den letzten Jahren damit geprahlt, was für tolle Kontakte sie zur Hisbollah hätte, und dass sie sich mit deren Vertretern getroffen haben, um den gemeinsamen Kampf gegen den 'Zionismus' zu koordinieren." Je schärfer es nach rechts gehe, desto genozidaler und klarer formuliert sei der Antisemitismus und auch die offen Sympathie mit den Hamas-Mördern und der Hisbollah zu finden. "Man darf zudem der AfD nicht eine Sekunde lang abnehmen, dass sie Antisemitismus genuin ablehnt. Das ist eine Partei, in der immer wieder von 'Schuldkult' schwadroniert wird, ein rechtsextremer Kampfbegriff, mit dem die Erinnerung an die Shoa und die Verbrechen des Nationalsozialismus abgewehrt werden. Viele lehnen dort im Grunde jegliche Form von Aufarbeitung des Nationalsozialismus ab mit der Begründung, dass das den Nationalstolz zerstöre."

Die Resolution der Bundesarbeitsgemeinschaft bezieht sich auch auf das Leid auf Seiten der Palästinenser:innen: "Wir wissen darum und es schmerzt uns, dass auch auf der palästinensischen Seite Menschen in hohem Maße leiden, verletzt und getötet werden. Die Verantwortung für die aktuelle Gewalt und die leider notwendige militärische Selbstverteidigung Israels liegt bei der Hamas. Es ist naiv und zynisch, diesen Terror als Widerstand zu bezeichnen, er richtet sich gegen die Existenz Israels und gleichzeitig gegen die Freiheit und Selbstbestimmung der Palästinenser:innen." Darauf folgt der Appell, dass Bundesregierung und internationale Staatengemeinschaft Bemühungen anstellen sollten, um einen Frieden zu forcieren und Sicherheit in Israel zu gewährleisten, ohne dass die Verteidigung Israels zu einer humanitären Katastrophe bei Palästinenser:innen führen muss.

Auch innerkirchliche Bemühungen werden von der Bundesarbeitsgemeinschaft in den Blick genommen. Es wird die Frage gestellt, ob bereits genug getan wurde, um die Bedrohung für Israel verständlich zu machen. Das Ziel der BAG K+R sei, dass kirchliche Positionen zum Nahostkonflikt im Angesicht der Gewalt kritisch hinterfragt würden, humanitäre Hilfe und entwicklungspolitische Aktivitäten in den palästinensischen Gebieten zwingend möglich gemacht werden und gleichzeitig die Programme darauf geprüft werden, ob "israelfeindliche, gewaltförmige und nicht auf konstruktive Lösungen des Konfliktes ausgerichtete Handlungsformen" dadurch unterstützt würden.

Flad macht dazu deutlich, dass Christ:innen eine besondere Verantwortung hätten, wenn über Israel und Palästina gesprochen werde: "Ich glaube, dass wir verstehen müssen, dass wir auch über uns selbst reden, wenn wir über dieses Thema sprechen. Und gleichzeitig auch, dass unser Blick auf das Thema bewusst oder unbewusst beeinflusst ist von einer langen und blutigen Geschichte von christlichem Antijudaismus. Der Antijudaismus ist ein wesentlicher Teil der christlichen Ideengeschichte und wirkt immer noch nach, vor allem auf einer tiefsitzenden emotionalen Ebene."

Diese Geschichte reiche. zurück bis in die Gründungszeit des Christentum. Die Aufarbeitung danach sei noch nicht tiefgreifend genug gewesen, die vielen guten Erklärungen aus den Kirchen müssten stärker in der Breite des kirchlichen Lebens angenommen werden. Flad: "Wir müssen uns wirklich anerkennen, dass die christliche Verfolgung des Judentums lange vor dem Nationalsozialismus begann und dazu beigetragen hat, den Nationalsozialismus möglich zu machen. Dazu gehört auch, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen und herauszufinden, was die eigenen Großeltern oder Urgroßeltern während des Nationalsozialismus gemacht haben." Er kritisiert, dass es auch im kirchlichen Raum zu oft Diskurse gegeben habe, die offen gewesen seien für einen generellen Israel-Boykott oder eine Zusammenarbeit mit Organisationen, die eng mit einer antiisraelischen Agenda verbunden seien.

Es sei erschütternd, dass gerade in Deutschland der schlimmste Angriff auf jüdisches Leben seit 1945 von manchen Menschen relativiert werde. "Wir sollten stärker verstehen, ist wie sehr das Menschen aus jüdischen Gemeinden verletzt", sagt Flad. Viele Jüdinnen und Juden seien bis ins Mark getroffen, weil die deutsche Mehrheitsgesellschaft ihnen nicht die Solidarität gebe, die sie benötigen. "Um sich jetzt klar positionieren, muss man nicht Expertin oder Experte für die Geschichte des Konfliktes sein. Man muss einfach nur verstehen, dass es keine Rechtfertigung für diese Morde gibt, wirklich keine. Und dass sich in der Brutalität und dem Sadismus der Mörder auch ihre verbrecherischen Ziele offenbaren."