Katja Goetsch ist Improvisieren und Slalomlaufen gewöhnt, wenn sie zu Fuß in Hannovers Innenstadt unterwegs ist. "Es kommt häufig vor, dass ich mich irgendwo durchquetschen oder einen Umweg machen muss", erzählt sie. Dann muss sie sich beeilen, die Straßenbahn kommt. Sie ermahnt ihren achtjährigen Sohn Mikel achtzugeben und bahnt sich ihren Weg mit Kinderwagen durch E-Scooter und Leihräder Richtung Haltestelle.
Paul Simons und Juliane Hummel kennen solche Situationen nur zu gut. Sie engagieren sich in der Ortsgruppe Hannover des Vereins "Fußverkehr Deutschland". "Zu Fuß gehen ist wirklich oft nicht attraktiv", sagt Simons. Regelrecht zugerümpelt und vollgestopft seien Fußwege. "Man hat das Gefühl, hier landet alles, von dem man nicht weiß, wohin damit."
Ein Spaziergang durch Hannovers City und ein benachbartes Wohngebiet bestätigt diesen Eindruck. Mülltonnen, Parkscheinautomaten, Fahrradbügel, E-Scooter, Leihräder, falsch geparkte Autos und Motorräder, Baustellen - der Platz, der Zufußgehenden bleibt, ist mancherorts dürftig, manchmal muss man sogar auf die Straße ausweichen. Wer jung ist, nimmt das alles leicht, für Senioren oder Menschen mit Behinderung aber wird es zum Problem.
E-Bikes und eilige Lieferantenfahrer zischen vorbei
Dazu kommen Radfahrer, die Gehwege auch dort nutzen, wo es für sie verboten ist. Viele fahren rücksichtsvoll, aber längst nicht alle. Auch schnelle E-Bikes und eilige Lieferantenfahrer zischen nah an den Fußgängern vorbei. "Das ist gerade für ältere Menschen gefährlich, auch weil sie schreckhafter sind", sagt Simons.
Dass die Menschen gern und immer häufiger zu Fuß gehen, zeigt ein Blick in die Statistik: 26 Prozent der Wege wurden laut der Erhebung "Mobilität in Deutschland" 2023 in Deutschland zu Fuß zurückgelegt, in großen Städten sind es zwischen 29 und 31 Prozent, in ländlichen Regionen rund 22 Prozent. Der Anteil des Fußverkehrs ist gestiegen: 2017 lag er in urbanen Räumen bei 22 Prozent.
Damit liegen Zufußgehende in der Statistik an zweiter Stelle nach dem motorisierten Individualverkehr, der 2023 auf 40 Prozent kam. Dazu kommen der Erhebung zufolge 13 Prozent Mitfahrer in Autos oder auf Motorrädern. Der Radverkehr lag 2023 bei elf Prozent, ebenso der öffentliche Nahverkehr.
Gehwege seien Schutzräume, Fußverkehr solle Kraftfahrzeugen und Fahrrädern als "gleichberechtige, vollwertige Mobilitätsform" gegenüberstehen, heißt es in der Fußverkehrsstrategie des Bundesverkehrsministeriums vom Mai dieses Jahres. Ziel seien attraktive Fußwege, die "Menschen zum Gehen und Verweilen einladen" und zwischenmenschliche Begegnungen ermöglichten.
Simons nickt. Vereinsamung etwa sei ein großes Problem in der Gesellschaft. "Fußverkehr hält dagegen", sagt er. Denn wer sich zu Fuß auf den Weg mache, begegne anderen Menschen und komme möglicherweise mit ihnen ins Gespräch.
Ideal wären dafür Sitzgelegenheiten unterwegs. Für Bänke aber, die zum Verweilen und Klönen einladen, braucht es Raum. Offiziell gibt es den. Mindestens 2,50 Meter sollen neu gebaute Gehwege der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) Niedersachsen zufolge sein. Die Breite orientiert sich an Menschen, die mehr Platz benötigen, etwa, weil sie einen Rollator haben, einen Kinderwagen schieben oder einen Rollstuhl nutzen. Auch sie sollen bequem aneinander vorbei passen. Dazu kommt der Sicherheitsabstand zur Fahrbahn.
"Fußgänger müssen lauter werden"
Vielerorts gebe es noch alte Fußwege aus den 1960er und 1970er Jahren, die deutlich schmaler seien, sagt Janika Ducks, die bei der LNVG als "Mobillotsin" für Fußverkehr arbeitet. "Da muss man sich mit den Gegebenheiten arrangieren."
Grundsätzlich habe aber ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Früher seien Straßen, Fuß- und Radwege grundsätzlich von der Mitte aus gedacht worden. Im Fokus stand der Autoverkehr, die Räume, die rechts und links übrigblieben, mussten sich Fußgänger und Radfahrer teilen. "Heute wird schon häufiger auch mal von außen nach innen geplant", sagt Ducks.
Hummel vom Verband "Fuß" sieht ebenfalls leichte Verbesserungen für Fußgänger und Fußgängerinnen. Von einer Gleichberechtigung dem Auto- und Radverkehr gegenüber sei man aber noch weit entfernt. "Es ist ein Verteilungskampf", sagt sie. "Die Fußgänger müssen lauter werden." Besonders oft kommt es Hummels zufolge zwischen Zufußgehenden und Radfahrern zu Konflikten. "Sie kommen sich häufiger in die Quere", sagt Hummel.
Entlastung könnte Ducks zufolge die Entwidmung von Parkplätzen bieten. Auf den freigewordenen Multifunktionsflächen könnten Radbügel, Parkscheinautomaten, Stromkästen, Abfallbehälter, E-Ladesäulen und Straßenschilder Platz finden, die sonst Gehwege verstopften.
In der baden-württembergischen Landeshauptstadt heißen diese fußgängerfreundlichen Flächen "Stuttgarter Rechteck". 2021 wurde das erste Multifunktionsrechteck eingerichtet - sehr zur Freude der Fußgänger, die ihren Gehweg nun wieder barrierefrei und sicher für sich haben und ohne Slalomlaufen zügig vorankommen.