TV-Tipp: "Hass gegen queer"

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Mittwoch, 19. Juli, ARD, 22.50 Uhr
TV-Tipp: "Hass gegen queer"
"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" - der gleichnamige Film von Rosa von Praunheim ist bereits über 50 Jahre alt, doch der Titel hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Tatsächlich hat sich die Situation aus Sicht der Betroffenen sogar deutlich verschlechtert.

Früher fanden die reaktionären Stimmen nur im kleinen Kreis Gehör, heute haben die Stammtische Hunderttausende Mitglieder. Aus Worten werden irgendwann Taten, und die treffen all’ jene, die sich nicht länger verstecken wollen. In "Hass gegen Queer" beschreiben sie, wie sich das anfühlt, wenn man immer wieder Beleidigungen, Demütigungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt ist. 

Mutig konzentriert sich Tristan Ferland Milewski nahezu ausschließlich auf Menschen, die schwul, lesbisch oder "trans" sind. Das unterscheidet seinen 80 Minuten langen Film von herkömmlichen TV-Dokumentationen, in denen stets Fachleute die Welt erklären. Hier sprechen nur die Leidtragenden. Ihre Geschichten sind erschütternd und beschämend: weil sie offenbaren, dass sich selbst im Westen der Republik trotz fast 75 Jahren Freiheit und Demokratie offenbar nicht viel geändert hat.

Mehrfach schildern Milewskis Gäste, wie sie in aller Öffentlichkeit und am helllichten Tag drangsaliert oder überfallen wurden, ohne dass die Umstehenden auch nur die Polizei alarmiert hätten. Wenn die dann schließlich eintraf, wollte niemand was gesehen haben. Solche Vorfälle sind jedoch nur die gut sichtbare Spitze des Eisbergs. Nicht minder folgenreich sind die kleinen und oft unbewussten Diskriminierungen im Alltag, wie sie auch jene erfahren, die eine andere Hautfarbe haben. Selbst beiläufige Bemerkungen, die von Verständnis zeugen sollen, haben oft eine ganz andere Botschaft: "Eigentlich gehörst du nicht dazu." 

Filmisch ist "Hass gegen Queer" extrem reduziert. Milewski streut zwar immer wieder Ausschnitte aus Nachrichtensendungen ein, in denen es um Übergriffe oder gar Morde geht, aber ansonsten gehört die Bühne jenen, die regelmäßig zum Ziel von Hass und Hetze werden, allen voran die grüne Abgeordnete Tessa Ganderer, die sogar im Bundestag angefeindet wird. Sie ist so etwas wie eine Galionsfigur, weil sie sich nicht in die Opferschublade stecken lassen will, sondern ihrerseits die Initiative ergreift. Die Erzählungen der anderen sind dagegen größtenteils bedrückend, denn die Diskriminierungen beginnen oft schon in der eigenen Familie; bei einigen ist der Kontakt zu den Eltern komplett abgebrochen.

Die nächste Institution auf dem Lebensweg ist die Schule. Hier machen die meisten ihre ersten prägenden Erfahrungen. Exemplarisch sind in dieser Hinsicht die Erlebnisse von Max; der schwule junge Mann wurde auf perfide Weise von einem Stalker an den digitalen Pranger gestellt. Sehr viel Zeit widmet der Film auch einem deutsch-französischen lesbischen Paar, das vor den Augen der kleinen Tochter angegriffen wurde. Die meisten Unterhaltungen finden in einer Art Studiosituation statt; Charlotte, Linda und Max hat Milewski auch daheim besuchen dürfen. Ein Gespräch des jungen Mannes mit seiner Mutter wirkt allerdings etwas inszeniert, zumal es quasi zwischen Tür und Angel stattfindet. Gewissermaßen die Stars des Films sind die Aktivistin Barbie Breakout und ihre Kollegin Miss Ivanka T. Die beiden Dragqueens sind echte Hingucker, aber auch sie erleben Anfeindungen. 

Bei allem Respekt für die Entscheidung, den Film einzig und allein den Leidtragenden zu widmen: Durch den konsequenten Verzicht auf Stimmen, die den Erzählungen einen Rahmen geben, bleiben viele Fragen offen. Es wird zwar deutlich, dass Lehrkräfte größtenteils überfordert sind, aber es wird nicht erwähnt, was Gesellschaft und Politik tun können und sollten, um zumindest für mehr Toleranz zu werben. Dass es nicht genügt, zu bestimmten Anlässen eine Regenbogenfahne zu hissen, liegt auf der Hand.

Die Beschränkung auf die Opfer hat zudem zur Folge, dass die Täter komplett außen vor bleiben: Wes Geistes Kind sind diese Leute, was treibt sie um und an, woher rührt ihr Hass? Ganserer spricht von "ideologisch motivierter Menschenfeindlichkeit"; sie glaubt, Transpersonen müssten als Sündenbock herhalten, so wie einst die Homosexuellen oder später Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete. Sind also all’ diese Formen des Hasses miteinander verbunden? Tatsache ist jedenfalls, dass niemandem geholfen ist, wenn auch eine Partei der bürgerlichen Mitte rechtspopulistische "Fake News"-Legenden verbreitet.