Antisemitismus liefert falsche Antworten in Krisenzeiten

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung.
© Wolfgang Kumm/dpa
Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, stellte die "Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben" vor. Als Beispiel nennt das Papier die "Judensau", die seit Längerem für kontroverse Debatten sorgt.
Gegen Judenhass im Netz
Antisemitismus liefert falsche Antworten in Krisenzeiten
Judenfeindliche Klischees, Verschwörungstheorien, Hass auf Israel: Antisemitismus zeigt sich in vielen Facetten und längst nicht nur in extremistischen Kreisen. Die Bundesregierung hat nun eine nationale Strategie beschlossen, um dagegen anzugehen.

Die Bundesregierung hat sich ein stärkeres Vorgehen gegen Antisemitismus vorgenommen. Am Mittwoch verabschiedete das Bundeskabinett eine "Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben". Für den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, kommt sie nach eigenen Worten zur richtigen Zeit. Durch Pandemie, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit verbundenen Preissteigerungen neigten Menschen zu vermeintlich einfachen Antworten, sagte Klein und ergänzte: "Antisemitismus ist eine dieser vermeintlich einfachen Antworten."

Judenhass sei "eine Wahrnehmungsstruktur, die auf komplexe soziale und politische Phänomene falsche und gefährliche Antworten liefert, vor allem natürlich in Krisenzeiten", sagte Klein. Als Beleg führte er den Anstieg antisemitischer Straftaten in den vergangenen Jahren an. 2021 registrierte die Polizei bundesweit 3.027 antisemitische Straftaten, fast 700 mehr als im Jahr zuvor. Weit überwiegend waren sie rechtsextrem motiviert.

Die von Klein in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelte nationale Strategie will in fünf Handlungsfeldern ansetzen, um Antisemitismus in Politik, Institutionen und Zivilgesellschaft entgegenzuwirken, unter anderem bei der Bildung, der Aufklärung und Verfolgung judenfeindlicher Straftaten sowie bei der Erhebung von Daten und zur Forschung über Erscheinungsformen von Antisemitismus. Ziel der Strategie sei es zudem, das Leben von Jüdinnen und Juden in all seinen Facetten sichtbar zu machen.

Jüdinnen und Juden sollen sichtbarer werden

Ein weiteres Handlungsfeld widmet sich der Erinnerungskultur. Gefordert seien neue Formen, um den Nationalsozialismus zu vermitteln, weil immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von ihren Erfahrungen berichten können. "Die Verantwortung für die Schoah begründet das deutsche Verhältnis zum Judentum und zu Israel als Zufluchtsort für jüdische Menschen aus aller Welt", heißt es in dem rund 50-seitigen Papier.

Es definiert zudem drei sogenannte Querschnittsdimensionen, die beim Kampf gegen Antisemitismus mitbedacht werden sollen: die Perspektive Betroffener, die Bildung nachhaltiger Strukturen sowie die Digitalisierung beispielsweise bei der Vermittlung der Geschichte. Dabei verweist die Strategie aber auch auf den Kampf gegen Hass und antisemitische Desinformation im Netz.

Internet ist das Einfallstor für Antisemitismus

Das Internet sei das Einfallstor Nummer eins für Antisemitismus, sagte die Koordinatorin der EU-Kommission für Antisemitismusbekämpfung, Katharina von Schnurbein, die die Strategie gemeinsam mit Klein vorstellte. "Der antisemitische Verschwörungswahn hat während der Corona-Pandemie neuen Zulauf bekommen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie betonte, Antisemitismus gebe es "nicht nur an den Rändern, sondern auch mitten in unserer Gesellschaft".

Die Strategie formuliert Ziele der Bundesregierung, richtet sich aber auch an Institutionen und Vereine. Sie fordert, Antisemitismus auch dann zu ächten, wenn er nicht in strafbewehrten Handlungen geäußert wird. Als Beispiel nennt das Papier die "Judensau", eine mittelalterliche Schmähplastik an der Stadtkirche in Wittenberg. Sie sorgt seit Längerem für kontroverse Debatten. Nach einem Beschluss des Gemeindekirchenrats soll sie an der Fassade bleiben, was vonseiten des Zentralrats der Juden, aber auch Vertretern der evangelischen Kirche für Kritik sorgt.