"Ökumene-Gipfel ist kirchenhistorisches Ereignis"

Heinrich Bedford-Strohm
© epd-bild/Christian Ditsch
Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm betont die historische Bedeutung der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe.
Bedford-Strohm im Interview
"Ökumene-Gipfel ist kirchenhistorisches Ereignis"
Die Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe kann nach Ansicht des Ökumene-Experten und bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm ein Zeichen der Hoffnung in einer von Krisen zerrissenen Welt setzen.

Es sei zudem "ein großes und historisches Ereignis für die deutschen Kirchen, eigentlich für Deutschland insgesamt", sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) vom 31. August bis 8. September werden rund 4.000 Teilnehmende aus mehr als 120 Ländern erwartet.

epd: Welche Bedeutung hat die 11. ÖRK-Vollversammlung?

Heinrich Bedford-Strohm: Es ist ein großes und historisches Ereignis für die deutschen Kirchen, eigentlich für Deutschland insgesamt. Zum ersten Mal in der Geschichte tagt die Vollversammlung des Weltkirchenrats in Deutschland, zum ersten Mal seit 50 Jahren in Europa. Da sie nur etwa alle acht Jahre stattfindet, ist das wirklich ein kirchengeschichtliches Ereignis, vor allem in dieser besonders angespannten und aufgeladenen Zeit. Deswegen ist es notwendig, dass die Kirchen ein Zeichen in der Welt setzen. Gerade in dieser Situation, wo so viel Spaltung, Unsicherheit und Müdigkeit sind, wollen wir eine Botschaft der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit aussenden.

Warum wurde nach Brasilien (2006) und Südkorea (2013) jetzt Deutschland als Tagungsort gewählt?

Bedford-Strohm: Dass Deutschland gewählt wurde, hat auch damit zu tun, dass es im Dreiländer-Eck liegt, insbesondere auch in der Nähe zu Frankreich. Es hat zu tun mit der Geschichte Europas und der Versöhnung nach zwei Weltkriegen. Ich freue mich auf die Vollversammlung, darauf, dass so viele Menschen aus aller Welt bei uns zu Besuch sind.

Was können die deutschen Kirchen zur Vollversammlung beitragen?

Bedford-Strohm: Die ökumenische Bewegung hat in Deutschland eine lange Tradition. Viele Partnerkirchen sind dankbar für die deutsche Rolle weltweit im Hinblick auf Entwicklungszusammenarbeit, für die Unterstützung auf materieller Ebene, aber eben auch im geistlichen und spirituellen Austausch. Insofern ist das sicher auch ein Grund dafür gewesen, dass Deutschland als ein Versammlungsort gewählt worden ist.

Gleichzeitig haben wir als Deutsche auch eine ganz besondere Geschichte, in der wir viel Schuld auf uns geladen haben und in der wir versucht haben, aus dieser Schuld zu lernen. Dies könnte vielleicht auch ein Beitrag sein, den Deutschland leisten kann, dass wir dafür wirken, dass Frieden und Gerechtigkeit eine Chance bekommen und dass alle Menschen in Würde leben können.

Erwarten Sie Konflikte auf der Vollversammlung?

Bedford-Strohm: Es wird gewiss schwierige Diskussionen geben, die wir aber alle gemeinsam auf der Basis unseres gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus führen werden. In Karlsruhe kann ein Zeichen in der Welt gesetzt werden, dass nicht Spaltung das letzte Wort ist, sondern Tore der Versöhnung geöffnet werden.

Der Weltkirchenrat hat sich wiederholt gegen Antisemitismus-Vorwürfe verteidigen müssen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, die Schuld am Nahost-Konflikt einseitig den Israelis zuzuweisen. Wie wird man in Karlsruhe mit diesem Thema umgehen?

Bedford-Strohm: Der Weltkirchenrat hat hier eine klare Position. Antisemitismus steht im tiefen Widerspruch zum Christentum. Dies muss man wissen, wenn es um die Diskussion um die politische Situation im Nahen Osten geht. Natürlich gibt es eine Solidarität mit den palästinensischen Christen, die ja auch Mitgliedskirchen des ÖRK sind. Gleichzeitig gibt es eine klare Solidarität mit Menschen jüdischen Hintergrunds. Das führt dazu, dass das Existenzrecht Israels eine klare Grundlage für unser Reden ist. Die Vollversammlung wird das nicht infrage stellen.

"Der Weltkirchenrat hat hier eine klare Position. Antisemitismus steht im tiefen Widerspruch zum Christentum."

Was sagen Sie zu Boykott-Aufrufen von Waren aus israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten?

Bedford-Strohm: Pauschale Boykott-Aufrufe gegen Israel hat der ÖRK nie unterstützt. Bei den möglichen Diskussionen in Karlsruhe wird die Kontextualisierung unseres Redens eine besondere Rolle spielen müssen. Wir tagen in Deutschland, also in einem Land, das in ganz besonderer Weise in der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielt. Es ist die Nation, aus der heraus der Völkermord an den europäischen Juden organisiert worden ist. Diese Geschichte ist in die Identität Deutschlands eingegangen, mit guten Gründen.

Deswegen haben bestimmte Worte wie etwa das Wort "Boykott" hier in Deutschland eine ganz andere Bedeutung als in anderen Teilen der Welt. Mit Boykott assoziiert man in Deutschland den Auftakt des Mordes an sechs Millionen Menschen. Das muss man in dieser Klarheit sagen.

Im Ausland versuche ich das sehr deutlich zu machen, dass in Deutschland das Wort Boykott eine ganz andere Bedeutung hat als etwa in Südafrika. Dort steht das Wort Boykott für den Anfang der Befreiung der Nation vom jahrzehntelangen rassistischen Apartheid-Regime. Diese beiden Welten kommen in Karlsruhe natürlich zusammen.

Werden die ökumenischen Gäste Rücksicht auf diesen deutschen Hintergrund nehmen?

Bedford-Strohm: Wir müssen uns klarmachen, dass sich in Karlsruhe die Welt trifft. Die Diskussionen, die weltweit geführt werden, werden natürlich auch bei dieser Vollversammlung geführt. Keine Kirche aus anderen Teilen der Welt wird sich den Mund verbieten lassen. Das müssen wir in Deutschland sehr genau wissen, wenn wir bewerten, was in Karlsruhe diskutiert wird. Aber ich sage noch einmal: Antisemitismus ist ein absolutes Tabu, natürlich auch auf dieser Vollversammlung, denn es würde allem widersprechen, wofür das Christentum steht und wofür auch der ÖRK steht. Diese klare Positionierung des ÖRK muss man in Erinnerung rufen, damit keine falschen Vorstellungen oder irgendwelche Mythen entstehen oder eine Karikatur des Weltkirchenrates verbreitet wird.

"Keine Kirche aus anderen Teilen der Welt wird sich den Mund verbieten lassen."

Wird das Thema Postkolonialismus eine Rolle in Karlsruhe spielen?

Bedford-Strohm: Postkolonialismus ist natürlich ein ganz wichtiges Thema. Das muss auch so sein. Denn es gibt ja tatsächlich klare Folgen des Kolonialismus, die sich bis heute auswirken. Es gibt ein internationales Gerechtigkeitsproblem, etwa bei der Verteilung von Nahrung oder Medizin. Wenn hier in Deutschland die Kirchen der Welt zusammenkommen, dann ist es auch für die wohlhabenden Länder wichtig, diese Stimmen deutlich und klar zu hören.

Viele Kirchen in der Welt haben unterschiedliche ethische Positionen, etwa im Umgang mit Homosexualität oder der Ordination von Frauen ins geistliche Amt. Ist Streit hier programmiert?

Bedford-Strohm: Natürlich wird Karlsruhe nicht der Ort sein, an dem zum Teil jahrhundertelang gewachsene Positionen zu diesen Fragen sich plötzlich ändern. Doch der internationale Austausch, der Blick auf andere Welten, gerade auch, wenn es um die Frauenordination geht, ist vielleicht der beste Weg, um Nachdenklichkeit zu erzeugen. So ist es für uns ja auch gewesen. Man darf nicht arrogant auf andere herunterschauen. Wir haben selbst ja auch lange gebraucht, um die Frauenordination einzuführen. Beim Thema Homosexualität ist es ähnlich. Gerade junge Leute können heute kaum noch verstehen, wie wir früher eine andere Position vertreten konnten.

In Karlsruhe wird eine Delegation der russischen-orthodoxen Kirche erwartet. Ist dies das richtige Zeichen mit Blick auf den Ukraine-Krieg?

Bedford-Strohm: Ich hätte es für absolut falsch gehalten, die russische Delegation auszuladen. Ich halte es für falsch, die Brücken in die Zivilgesellschaft Russlands insgesamt abzubrechen. Falscher könnte man gar nicht agieren. Wie soll denn der Krieg je enden, wenn nicht in Russland selbst die Kräfte gestärkt werden, die der Putin-Propaganda etwas entgegensetzen. Natürlich sind da kirchliche Kontakte dringend notwendig.

In Karlsruhe darf kein Platz für die zynische Legitimierung des Angriffskriegs gegen die Ukraine sein, erst recht nicht für die Verharmlosung von Kriegsverbrechen. Das muss klar sein. Aber die Frage, wie dieser Konflikt zu lösen ist, die kann nur dann geklärt werden, wenn wir auch wirklich aufeinander hören. Die russisch-orthodoxe Delegation hat auf der Zentralausschuss-Sitzung des Weltkirchenrates im Juni in Genf eine Erklärung mitgetragen, die den Krieg klar verurteilt. Das hat mich ermutigt.