evangelisch.de: Die Weltkonferenz tagt anlässlich des 1700. Jubiläums des Konzils von Nizäa in Ägypten. Welchen Stellenwert hat dieses Treffen für die Ökumene?
Dagmar Heller: In dieser Konferenz sind praktisch zwei ökumenische Anliegen kombiniert worden, weil sich das inhaltlich nahelegt: Zum einen dachte die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung bereits seit ein paar Jahren daran, wieder einmal eine Weltkonferenz zu organisieren, denn die letzte fand 1993 in Santiago de Compostela statt. Es geht bei einer solchen Konferenz immer darum, in gewisser Weise eine Bilanz der bisherigen Arbeit zu ziehen und deren Ergebnisse mit einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren, also gewissermaßen die Früchte der bisherigen Arbeit zu "ernten". Gleichzeitig geht es darum, sich gemeinsam mit einer Öffentlichkeit, die über die Mitglieder der Kommission hinausgeht, auf die Zukunft und zukünftig anstehende Themen auszurichten.
Nun hat man zum anderen das 1700-jährige Jubiläum des ersten Konzils von Nizäa zum Anlass genommen, die Weltkonferenz eben in diesem Jahr auszurichten. Das passt inhaltlich insofern, als ein wichtiges Anliegen des damaligen Konzils die Einheit der Kirche war, ein Ziel, das Nizäa und die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung miteinander verbindet. Durch die Weltkonferenz werden weltweit die Kirchen an dieses Anliegen erinnern und sich darauf besinnen.
Damit zusammenhängt auch die Erinnerung daran, dass das "Alleinstellungsmerkmal" – wie man heute sagt – unseres christlichen Glaubens, das alle Kirchen miteinander verbindet, der Glaube an den dreieinigen Gott ist. Denn dieser Glaube wurde zum ersten Mal in Nizäa 325 gemeinsam von allen anwesenden kirchlichen Repräsentanten in einer Form formuliert, die als verbindlich für die gesamte Kirche der damaligen Oikoumene, das heißt der damaligen bekannten Welt, verstanden wurde.
Insofern bedeutet diese Weltkonferenz für die Ökumene eine Rückbesinnung auf die theologischen Wurzeln unseres Glaubens und gleichzeitig ein Vorausdenken hin zu der Frage, welche Rolle dieser Glaube in der modernen Welt spielen kann.
Welche Themen werden auf der Weltkonferenz diskutiert? Welche konkreten Ergebnisse sind zu erwarten?
Dagmar Heller: Ein Teil der Konferenz ist thematisch auf das Konzil von Nizäa bezogen. Ein anderer Teil befasst sich mit den Themen, die sich die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung für die nächsten Jahre vorgenommen hat. Dazu gehört die Frage nach der Rolle und Aufgabe der Kirche in der Welt und – damit zusammenhängend – wie der Glaube in der Welt gemeinsam bezeugt werden kann. Schließlich wird die grundlegende Frage nach der sichtbaren Einheit aufgenommen. Ein Rahmenthema ist die Frage nach der Zukunft der Ökumenischen Bewegung. Diese genannten Themen werden in Plenumssitzungen behandelt und dann in Sektionen weiterdiskutiert. Hinzu kommen Workshops, die Detailfragen aus der Studienarbeit von Glauben und Kirchenverfassung in Kleingruppen bearbeiten.
Zu erwarten sind sowohl Impulse nach innen als auch nach außen. Damit meine ich: Nach innen wird es Impulse für die weitere Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung geben, vor allem im Hinblick auf die Ekklesiologie. Dabei spielt die ökumenische Situation eine große Rolle, die sich seit der letzten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1993 stark verändert hat. Die Stimmen aus dem globalen Süden, und damit auch die Stimmen aus charismatisch und pfingstlerisch geprägten Kirchen, sind stärker geworden. Die Herausforderungen, die diese Kirchen an die klassische europäische und nordamerikanische Theologie stellen, werden sicher stärker zutage treten und die klassische Diskussion an vielen Stellen verändern. Zwei Themen, die nach außen eine wichtige Rolle spielen werden, sind die Frage nach der Dekolonisierung der Theologie und die Frage nach dem Mensch-Sein des Menschen. Die Beschäftigung mit ersterem Thema wird Impulse für die politische und kirchenpolitische Debatte geben, das zweitgenannte ist eine Frage, die die Grundlage bildet für sozialethische Fragen, die derzeit zwischenkirchlich und innerkirchlich für heftige Konflikte sorgen, aber auch in gesellschaftliche Diskurse eingreifen.
"Die koptische Kirche gehört zu den ältesten Kirchen der Welt"
Die koptische Kirche ist Gastgeberin der Weltkonferenz. Viele kennen die Kopten nur als "Christ:innen aus Ägypten". Was zeichnet die koptisch-orthodoxe Kirche theologisch und kirchlich besonders aus?
Dagmar Heller: Die koptische Kirche gehört zu den ältesten Kirchen der Welt. Konfessionskundlich gesehen gehört sie zur Kirchenfamilie der Orientalisch-Orthodoxen Kirchen. Dazu gehören außer der koptischen Kirche noch die Armenische Apostolische Kirche, die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche, die Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche und die Malankara Orthodoxe Syrische Kirche (auch: Indisch-Orthodoxe Kirche).
Diese Kirchen sind selbständig und haben untereinander historisch keine Kirchengemeinschaft. Allerdings haben sie sich im Zuge der ökumenischen Bewegung einander angenähert, und einige pflegen inzwischen Kirchengemeinschaft miteinander. Jedenfalls aber sind sie von den orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition zu unterscheiden. Die Trennung dieser beiden Kirchenfamilien geschah im 5. Jahrhundert, als das Konzil von Chalzedon versuchte, die Frage zu klären, wie der göttliche und der menschliche Aspekt in Jesus Christus eigentlich zusammen zu denken sind. In der Formulierung, die in Chalzedon gefunden wurde, sahen einige darin zu sehr eine Zweiheit ausgedrückt, als ob es sich hier um zwei Personen handelte. Sie fanden eine andere Formulierung, die wiederum umgekehrt so interpretiert wurde, als hätten sich die menschliche und die göttliche Seite in Jesus Christus zu einer Art Mischwesen vereinigt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Auffassungen entwickelte sich in Ägypten die koptische Kirche, – zunächst als Parallelstruktur zum Patriarchat von Alexandrien, welches die Formel von Chalzedon anerkannte.
Das Wort "Kopten" bedeutet nichts anderes als "Ägypter". Es wurde dann in Abgrenzung gegenüber den byzantinisch und damit vom Konzil von Chalzedon geprägten Christen in Alexandrien verwendet. Außer in der Christologie sind die Kopten theologisch den Orthodoxen sehr nahe. Um einige der für Evangelische auffälligsten Charakteristika zu nennen: Beispielsweise hat die Koptische Kirche ein dreifaches Amt (Diakon, Presbyter, Bischof). Die Eucharistie steht im Mittelpunkt des gottesdienstlichen Lebens. Frauen werden nicht ordiniert. Gemeindepriester sind verheiratet. Für die Frömmigkeit spielt das Mönchtum eine große Rolle, das bezeichnenderweise in Ägypten entstanden ist. Bischöfe müssen Mönche sein. Askese ist dabei wichtig, und auch für die "normalen" Gläubigen spielt deshalb das Fasten eine größere Rolle als in anderen Kirchen.
Zu nennen ist auch noch, dass die koptische Kirche einen eigenen Kalender hat: Die Jahreszählung beginnt mit dem Jahr 284 n.Chr., dem Jahr der Thronbesteigung Kaiser Diokletians. Diokletian war der letzte Kaiser, unter dem Christenverfolgungen stattfanden. Diese Jahreszählung ist eine Erinnerung an die "Ära der Märtyrer". Ansonsten geht der koptische Kalender auf einen alten ägyptischen Kalender zurück und ist de facto dem julianischen Kalender sehr ähnlich.
"Im Alltag gibt es weiterhin an verschiedenen Stellen Diskriminierung von Christen"
Wie gefährlich ist es denn eigentlich in Ägypten heute für die Kopten? Das sind ja immerhin zehn Prozent der Bevölkerung.
Dagmar Heller: Grundsätzlich sind laut Verfassung in Ägypten alle Bürger gleichberechtigt, und die seit 2013 herrschende Regierung gewährt den Christen mehr Religionsfreiheit, als es unter der Vorgängerregierung der Fall war, deren Präsident zur Muslimbruderschaft gehörte. Damals war es beispielsweise Christen untersagt worden, neue Kirchen zu bauen. Unter der derzeitigen Regierung wurde von vielen Gemeinden neu gebaut. 2015 hat mit Präsident Al-Sisi zum ersten Mal in der Geschichte ein ägyptischer Präsident die koptische Christmette in der Markuskathedrale in Kairo besucht. Allerdings gibt es weiterhin im Alltag an verschiedenen Stellen Diskriminierung von Christen. Sie haben nicht dieselben Berufsaufstiegschancen wie die muslimischen Mitbürger und gelangen seltener in Schlüsselpositionen in der öffentlichen Verwaltung, bei der Polizei oder auch im Bildungswesen. Ab und zu kam es in der Vergangenheit auch zu Anschlägen auf koptische Kirchen, zuletzt Ende 2016 und auch 2017.
Wie ist die koptisch-orthodoxe Kirche in die weltweite Ökumene eingebunden und welche Rolle spielt sie im Ökumenischen Rat der Kirchen?
Dagmar Heller: Die Koptische Kirche ist Gründungsmitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sie war lange Zeit im Zentralausschuss und auch in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung vertreten durch Metropolit Bishoy von Damietta, der eine loyale, aber auch konservative Stimme war. Er hat eine wichtige Rolle gespielt in der "Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK", die von 1998 bis 2002 neue Richtlinien für das gemeinsame Beten und für den Abstimmungsmodus im ÖRK erarbeitet hat. Derzeit sind Metropolit Thomas im Zentralausschuss sowie Bischof Abraham, der in den USA residiert.
Welche Erfahrungen gibt es in Deutschland mit koptisch-evangelischen Begegnungen auf Gemeindeebene? Gibt es Beispiele gelungener Zusammenarbeit oder Dialogformate?
Dagmar Heller: Da es nicht sehr viele Kopten in Deutschland gibt (genaue Zahlen gib es nicht, aber es werden Zahlen von 10.000 bis max. 60.000 genannt), gibt es koptisch-evangelische Begegnungen nur sehr punktuell. Der koptische Bischof für Norddeutschland, der in einem ehemaligen katholischen Kloster in Höxter-Brenkhausen residiert, hat sehr gute ökumenische Kontakte in seiner Umgebung. Es kommen viele – auch evangelische – Gruppen in sein Kloster etc. Das koptische Zentrum in Süddeutschland ist das Kloster Kröffelbach, in der Gegend von Butzbach.
An Dialogformaten hier in Deutschland gibt es nur den Kontaktgesprächskreis der EKD mit den orientalisch-orthodoxen Kirchen, in dem die koptische Kirche durch Bischof Damian aus Höxter-Brenkhausen vertreten ist. Ansonsten arbeiten die Kopten sowohl in der Bundes-ACK als auch in regionalen ACKs mit.
"Die Kopten bewahren alte christliche Traditionen, die in die Ursprünge des Christentums zurückgehen und daher zu unserem gemeinsamen christlichen Erbe gehören"
Was sollten evangelische Christ:innen über die Kopten unbedingt wissen, wenn es um das gemeinsame christliche Zeugnis und die Zukunft der Ökumene geht?
Dagmar Heller: Die Kopten bewahren alte christliche Traditionen, die in die Ursprünge des Christentums zurückgehen und daher zu unserem gemeinsamen christlichen Erbe gehören. Daher sollte man ihnen helfen, diese Traditionen zu bewahren. Das bedeutet natürlich nicht, daraus ein Museum zu gestalten, sondern diese Traditionen für unsere Zeit fruchtbar zu machen. Außerdem sollten die Erfahrungen der Kopten in Zeiten der Verfolgung ernst genommen werden.