TV-Tipp: "Lüge und Wahrheit"

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4. Mai, ZDFinfo, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Lüge und Wahrheit"
Am Anfang mag das Wort gewesen sein, aber bald darauf ist auch die Lüge in die Welt gekommen; und darum geht es in dieser ebenso interessanten wie facettenreichen Doku-Reihe.

Impuls für "Lüge und Wahrheit" war die Frage, ob "alternative Fakten", "Fake News" und Desinformation ein Phänomen der Neuzeit seien. Die Antwort ist verblüffend: Bereits vor über 3.000 Jahren hat Pharao Ramses II. mit Propaganda gearbeitet, als er eine knappe Niederlage gegen die Hethiter kurzerhand in einen Sieg umdeutete.

Da die Reihe vor dem russischen Angriff auf die Ukraine entstanden ist, beginnt die erste Folge mit einem Coup des "Islamischen Staats", der früh über eine "Social-Media-Armee" verfügte, wie ein amerikanischer Politikwissenschaftler erklärt. Auf diese Weise konnte dem Feind eine militärische Übermacht vorgegaukelt werden, die in keiner Weise der Realität entsprach.

Die sechs Folgen über die "Macht der Information" sind den Themen Krieg, Religion, Geld, Skandale, Verschwörungstheorien und Meinungsmacher gewidmet. Jede Episode beginnt mit einem Beispiel aus der Neuzeit und führt dann zurück in die unterschiedlichsten Epochen. Das klingt nach einer Fleißarbeit für ein akademisches Publikum, aber die deutsch-kanadische Koproduktion ist auch optisch interessant.

Manche Ideen sind ganz einfach: Die Expertinnen und Experten sitzen nicht an ihren Schreibtischen oder vor Bücherregalen, sondern an der frischen Luft sitzen. Dass das Team rund um die beiden Chefautoren Lewis Cohen und Thomas Langelage den reichhaltigen "Terra X"-Fundus geplündert hat, ist zwar naheliegend, sorgt aber für viel Abwechslung. Am eindrucksvollsten sind allerdings die animierten Zwischenspiele: Immer wieder gibt es Passagen in einem kraftvollen Comic-Stil.

Der eigentliche Wert von "Lüge und Wahrheit" liegt jedoch in der inhaltlichen Komplexität jeder einzelnen Folge sowie der klugen Einbettung der verschiedenen Phänomene in einen größeren Zusammenhang. "Terror ist Theater", kommentiert ein Historiker das tödliche Wirken des "IS": Anschläge sollen Angst und Schrecken verbreiten, und das geht am einfachsten über das Internet. Deshalb war Qualitätsjournalismus noch nie so wichtig wie heute: weil seriöse Informationsquellen oftmals das letzte Bollwerk gegen Desinformation sind.

In den einzelnen Folgen geht es daher auch immer wieder um die Rolle der Medien: In autokratischen Staaten werden sie missbraucht, um gezielte Lügen unters Volk zu streuen, wie sich anhand der russischen Berichterstattung über den Angriff auf die Ukraine beobachten lässt, aber der Vietnamkrieg ist nicht zuletzt dank der TV-Berichte über die Gräueltaten amerikanischer Soldaten beendet worden.

Wie so viele kriegerische Auseinandersetzungen begann auch der Vietnam-Krieg mit einer Lüge: Dreist begründete Präsident Lyndon B. Johnson 1964 den Kriegseintritt der USA mit einem Paradebeispiel für "Fake News" ("wiederholte unprovozierte Gewaltakte"). Auf ähnlich tönernen Füßen basierte knapp vierzig Jahre später der dritte Golfkrieg, als die USA einen "Präventivkrieg" gegen den Irak führten, um einem angeblich bevorstehenden Angriff mit (nicht existenten) Massenvernichtungsmitteln zuvorzukommen.

Eine besondere Rolle spielen Lüge und Wahrheit auch im Zusammenhang mit der Religion. Folge zwei beginnt mit "9/11", den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington durch die islamistische Terrororganisation Al-Qaida, schlägt den Bogen aber alsbald in die Epoche der Frühen Neuzeit. Infolge der "Kleinen Eiszeit" gab es jahrzehntelange Missernten und Hungersnöte, außerdem grassierte die Pest. Das Volk brauchte Sündenböcke, also kam es, vereinfacht gesagt, zur Hexenverfolgung; die Inquisition hatte sich da längst als Instrument zur kirchlichen Machterhaltung bewährt.

Wie gut sich Religion auch heute noch eignet, um Interessen durchzusetzen, zeigt die evangelikale Bewegung der "Megakirchen" in den USA; Donald Trump hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr ihn deren Lehre vom "Reichtum als Zeichen göttlicher Gnade" beeinflusst hat. Ein höchst skurriles Beispiel für Desinformation im Namen Gottes ist der Kreationismus, eine gleichfalls in den USA verbreitete religiöse Bewegung, deren Anhänger die Bibel beim Wort nehmen. Sie sind überzeugt, das Universum existiere erst seit ein paar tausend Jahren. Dinosaurierskelette sind ihrer Ansicht nach von Gott versteckt worden, um den Glauben zu prüfen; es könne aber auch sein, dass die Saurier schlicht die Arche Noah verpasst hätten. ZDFinfo zeigt alle Folgen am Stück.