"Auch über bisher Unvorstellbares offen nachdenken"

Regionalbischöfin Gisela Bornowski
© epd-bild/Daniel Peter
In den Landeskirchen gibt es bereits verschiedene Reformprozesse wie PuK,- und MuT-Projekte, aber es müsse auch viel mehr Kooperationsprojekte geben"mit den Katholiken, mit den Kommunen, der Diakonie", sagt die Regionalbischöfin Bornowski über die Perspektiven der Kirche.
Regionalbischöfin Bornowski
"Auch über bisher Unvorstellbares offen nachdenken"
Die bayerische evangelische Landeskirche steht vor großen Herausforderungen. Bei ihrer Frühjahrstagung will die Landessynode über die "Kirche der Zukunft" diskutieren. Die Ansbach-Würzburger Regionalbischöfin Gisela Bornowski weiß, dass die Rahmenbedingungen für Kirche nicht einfacher werden - angesichts sinkender Mitgliederzahlen und Nachwuchsmangel im Pfarrhaus. Man werde nicht mehr alle Angebote aufrechterhalten können, sagt sie. Kirche müsse mehr zur Projektkirche werden und weiterhin nah bei den Menschen sein.

Die Frühjahrstagung der Synode der bayerischen evangelischen Landeskirche ELKB findet vom 27. bis 31. März 2022 statt.

Frau Bornowski, die neusten Zahlen haben es wieder gezeigt, die Kirche schrumpft. Wie kann eine kleiner werdende Kirche weiter vor Ort präsent bleiben?

Bornowski: Das ist natürlich die zentrale Herausforderung, vor der wir stehen - denn nicht nur die Mitgliederzahlen sinken, sondern wir haben auch weniger Personal. Kirche wird künftig nicht mehr überall alles anbieten können, sondern wir müssen kooperieren, wo es nur geht. Nicht nur innerhalb der evangelischen Landeskirche, sondern auch mit den Katholiken, mit den Kommunen, der Diakonie und allen anderen, die in einem Sozialraum irgendwie präsent sind.

Fakt ist, dass viele Gemeinden - anders als vor 20 Jahren - keine eigenen Pfarrstellen mehr haben. Was macht das mit den Gemeinden vor Ort?

Bornowski: Ganz bestimmt wird unsere Kirche auch "ehrenamtlicher": Ehrenamtliche werden viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Denn das, was wir aktuell erleben, dass einzelne Pfarrstellen teils jahrelang nicht besetzt sind, wird an vielen Orten die Regel werden, wenn wir die Strukturen nicht anpassen. In einigen Jahren beginnt eine große Ruhestandswelle - am Ende haben wir nur noch 50 bis 60 Prozent des theologischen Personals von heute zur Verfügung. Für viele ist das unvorstellbar!

…oder kommuniziert die Kirchenleitung diese bevorstehende dramatische Entwicklung einfach nicht ehrlich und deutlich genug?

"Wir reden Klartext, ganz egal wo wir sind."

Bornowski: Ich denke, da spreche ich jetzt für viele in der Kirchenleitung: Wir reden Klartext, ganz egal wo wir sind - ob mit Kirchenvorstehern, bei Ausschusssitzungen oder auf Dekanatssynoden. Es ist aber ja auch ganz menschlich, wenn man diese bevorstehende Realität ein bisschen von sich weg schiebt, denn aktuell funktioniert es in den meisten Regionen ja auch noch relativ gut. Aber es gibt auch Ecken in Bayern, da sind viele Hauptamtlichen kräftemäßig wegen der Personalnot am Ende.

Das heißt: Mancherorts wird der Kopf in den Sand gesteckt, während anderswo bereits die Hütte brennt?

Bornowski: Zumindest wird der Spruch "Es wird schon nicht so schlimm kommen!" immer noch regelmäßig geäußert. Ich würde mir wünschen, dass Regionen, in denen es aktuell noch gut aussieht mit der Personalversorgung, beispielsweise ins Dekanat Bad Neustadt an der Saale schauen, ganz im Norden Bayerns. Dort ist die Unterversorgung schon jetzt Realität, die sind der gesamtbayerischen Wirklichkeit beim Personalschlüssel ein paar Jahre voraus. Mein Wunsch wäre, dass alle Dekanate jetzt ihre Strukturen schon so planen, als hätten sie ähnliche Zustände wie in Bad Neustadt!

In der Landeskirche gibt es verschiedene Reformprozesse: PuK, MuT, und so weiter. Letztlich: Geht es bei alledem nicht vor allem um eine kreative Mangelverwaltung?

"Die Reformprozesse sind genau das: Ein Versuch, zu gestalten und nicht nur zu reagieren."

Bornowski: Man kann den Mangel verwalten, oder aber man versucht wenigstens, ihn zu gestalten. Ich denke, die Reformprozesse sind genau das: Ein Versuch, zu gestalten und nicht nur zu reagieren. Unsere Kirche wird nicht jedes Angebot überall aufrechterhalten können, nicht überall diese große Kontinuität der Angebote sicherstellen können. Es wird viel stärker darauf hinauslaufen, dass wir Neues ermöglichen und erproben, dass wir viel stärker eine projektorientierte Kirche werden. Die Dauerversorgung mit Angeboten, Gruppen und Kreisen wird in ihrer heutigen Form abbrechen.

Auch in ihrem Kirchenkreis hat sich viel getan - es gab auch Experimentelles, wie die selbst finanzierte Pfarrstelle in Geilsheim. Sie fanden das damals nicht so optimal…

Bornowski: Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass Geilsheim kein Modell für unsere Landeskirche sein kann. Denn die Gemeinde war sehr klein - und mit dieser Fremdfinanzierung wurde ja gerade an jenen Strukturen festgehalten, die in der Fläche nicht mehr haltbar sind. In Geilsheim hat sich das inzwischen auch gut gelöst, weil nun verschiedene Nachbargemeinden zusammenarbeiten und gemeinsam eine Pfarrstelle haben - Stichwort: mehr Kooperation.

Wenn sich finanzstarke Gemeinden ihre Pfarrer selbst bezahlen, dann bliebe für "ärmere" Gemeinden doch mehr vom Kuchen?

Bornowski: Das könnte eine Lösung sein, wenn man genug theologisches Personal hätte - haben wir aber nicht. Man muss auch aufpassen, dass man bei dieser Herangehensweise keine Verhältnisse wie in den Vereinigten Staaten bekommt, wo sich die reichen Gemeinden tolle Pfarrer leisten können und die ärmeren dann entweder gar keinen - oder nur diejenigen, die sonst keiner will. Ich bin überzeugt, dass unsere zentral gesteuerte Verteilung des Personals schon einigermaßen gerecht und der richtige Weg ist. Kirchengemeinden haben ja trotzdem die Möglichkeit, zum Beispiel theologisch-pädagogische Kräfte einzustellen, um ihre Jugend- oder Seniorenarbeit zu stärken.

In Heidenheim am Hahnenkamm wird ein kleines Landdekanat demnächst wohl ganz von der kirchlichen Landkarte verschwinden. Das erste, aber wohl nicht das letzte, oder?

Bornowski: In Heidenheim sieht es momentan so aus, dass eine Pfarrei wohl in den Kirchenkreis Nürnberg wechseln wird - und sich der Rest in Richtung Gunzenhausen orientiert. Heidenheim hat aktuell noch sieben Pfarrstellen, drei Stelleninhaber werden in den kommenden Jahren in Pension gehen und ob die jungen Kolleginnen und Kollegen nach ihrer Probezeit dortbleiben wollen, kann im Moment noch keine sagen. Wenn sich also ein Dekanat personell "entleert", dann fällt damit ja auch die pastorale Versorgung weg, dann brauchen wir größere Verbünde, um das aufzufangen.

Wenn Heidenheim mit Gunzenhausen fusionierte - das Dekanat wäre dennoch nicht mal halb so groß wie beispielsweise Würzburg mit 56.000 Evangelischen…

Bornowski: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Viele in der Kirchenleitung werben seit Jahren für mehr Kooperation und Zusammenarbeit - und aktuell müssen wir uns natürlich auch die Frage stellen, ob diese Bemühungen, diese Pläne überhaupt noch ausreichen. Meine Erfahrung ist, dass Kooperationen und Zusammenlegungen auf Gemeindeebene vergleichsweise unkompliziert sind, aber mit Dekanaten verbinden viele Mitglieder auch die Selbstständigkeit ihrer Kirche vor Ort, die sie natürlich nicht so leichtfertig aufgeben wollen. Letztlich geht es dabei auch um das eigene Image.

Der Kirchenkreis Ansbach-Würzburg ist mit am kleinteiligsten strukturiert - werden die Reformen die Region Westmittelfranken besonders betreffen?

Bornowski: Die sechs bayerischen Kirchenkreise sind durch ihre unterschiedliche Geschichte und Struktur schwer miteinander vergleichbar. Richtig ist: Wir in Ansbach-Würzburg haben vor allem im westmittelfränkischen Teil sehr viele sehr kleine Dekanate. Und von denen wird nicht jedes auf Dauer Bestand haben können. Lassen Sie es mich mal so formulieren: Neue Strukturen auf Dekanatsebene zu erproben oder umzusetzen, das läuft sehr viel schwerfälliger, als ich mir das vorgestellt habe.

In der katholischen Kirche gibt es die Forderung, die Zahl der Bistümer drastisch zu reduzieren. Analog dazu: Braucht es weiterhin sechs Kirchenkreise in Bayern?

Bornowski: Natürlich muss auch auf der Leitungsebene etwas passieren, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter zurückgeht. Auf der anderen Seite ist es selten so, dass immer größere Verwaltungseinheiten die beste Lösung sind. Denn jemand, der im Großraum München lebt und arbeitet, kennt und versteht die Wünsche und Nöte der Menschen in Westmittelfranken nur bedingt. Ob die sechs Kirchenkreise dauerhaft Bestand haben werden - man wird sehen.