epd: Frau Wolf, wie häufig treten Altersdepressionen auf und warum werden sie, wie im Fall von Wolfgang Grupp beschrieben, oft übersehen oder zu spät erkannt?
Wolf: Laut AOK haben 7 Prozent der über 65-Jährigen eine Depression und 17 Prozent haben die leichtere Form einer depressiven Verstimmung. Man sieht das den Menschen oft gar nicht an. Die können auch über eine längere Zeit sehr leistungsfähig sein. Und oft ist es ja mit Scham behaftet - von daher versuchen das die Menschen lange zu verbergen, auch den nächsten Angehörigen gegenüber.
Laut Studien werden 40 Prozent der Suizide von Menschen über 60 Jahre begangen. Das ist ein alarmierender Wert.
Wolf: Ja, und da sind vor allem Männer, insbesondere Alleinlebende, betroffen. Menschen, die isoliert sind und sich nicht mehr auf den Weg machen, nach draußen gehen oder die alle Freunde verloren haben - die sind besonders gefährdet.
Wolfgang Grupp beschreibt Gefühle des "Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens". Dabei sahen ihn alle als erfolgreichen Kämpfer für Unternehmens- und Lebensziele. Wie kommt das?
Wolf: Zu seiner Person kann ich natürlich nichts sagen. Aber wir beobachten oft, wie Menschen versuchen, nach außen Stärke zu bewahren, und sich dabei nicht eingestehen, dass sie aufgrund ihres hohen Alters zunehmend mit Einschränkungen leben müssen. Sie werden weniger leistungsfähig, haben Konzentrationsverluste und verlieren - wie Wolfgang Grupp nach der Betriebsübergabe an seine Kinder - an Bedeutung. Das ist für Menschen, die lange im Vordergrund standen und öffentlichkeitswirksam waren, oft sehr schwer zu akzeptieren.
Wie wichtig ist es, dass prominente Persönlichkeiten wie jetzt Wolfgang Grupp über ihre psychische Erkrankung sprechen? Das scheint ja immer noch ein Tabu zu sein.
Wolf: Einerseits finde ich das sehr wichtig zu sehen, dass auch Menschen, die immer nur bewundert und idealisiert werden, an Depressionen leiden können. Ja, das Tabu sollte gebrochen werden, es ist sehr mit Scham besetzt. Es könnte Menschen helfen zu sagen: "Vielleicht habe ich das auch, und ich suche mir Hilfe." Problematisch daran ist, dass diese Form der Öffentlichkeit leider immer wieder zu Nachahmungstaten führt.
Was sind denn Frühwarnzeichen für eine Altersdepression?
Wolf: Wenn ich wahrnehme, mein Partner, meine Partnerin zieht sich zurück, geht früheren Interessen nicht mehr nach, hat immer eine gedrückte Stimmung oder klagt über Schmerzen oder will nicht mitgehen zu Einladungen. Manche sind häufig krank oder sie haben Magen-Darm-Probleme oder permanent Rückenschmerzen, Appetitlosigkeit oder Schlafstörungen. Andere sagen einfach nur: "Es geht mir nicht mehr gut." Sie haben an nichts mehr Freude.
Gibt es weitere Anzeichen?
Wolf: Ja. Depression hat viele Gesichter. Es gibt auch Menschen, die noch sehr aktiv sind oder sehr gereizt, und man versteht gar nicht, warum. Dann kommt plötzlich ein Crash und ein tiefes Loch.
Und wie sieht die Hilfe aus, die man einem depressiven Menschen bieten kann?
Wolf: Diagnostizieren sollte das ein Facharzt für Psychiatrie. Der Königsweg bei einer Depression ist die Kombination von medikamentöser Therapie und Psychotherapie. Das bringt die besten Ergebnisse.
Das heißt, wenn keine akute Suizidgefährdung vorliegt, dann kann diese Person weiter zu Hause leben?
Wolf: Genau. Sie kann ihren Interessen nachgehen und an das anknüpfen, was ihr vor der Depression viel bedeutet hat.
Muss man gleich zum Facharzt? Man bekommt dort doch so schwer Termine.
Wolf: Für ein Erstgespräch sind die vielen Beratungsstellen im Land als niedrigschwelliges Angebot ein guter Startpunkt. Zu uns kommen ja Menschen manchmal am Anfang einer Depression, da können wir noch präventiv arbeiten. Wenn jemand kommt, der schon in der Depression drinsteckt, den versuchen wir weiterzuverweisen an einen Psychiater oder einen Psychotherapeuten.
Was ist das Beste, was ich als Angehöriger oder Freund für einen betroffenen Menschen tun kann, bei dem ich eine Depression vermute?
Wolf: Vielleicht erstmal das ansprechen und sagen: "Mir fällt auf, dass mit Dir in letzter Zeit etwas nicht stimmt? Wie geht es Dir? Ist etwas passiert?" Also durchaus direkt auf den Punkt kommen. Vielleicht kann man sich auch Unterstützung holen, wie man in dieser Situation reagieren sollte, und dann den betroffenen Menschen motivieren, dass er selbst Hilfe in Anspruch nimmt.
Hilfe für Betroffene:
Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, oder jemanden kennen, der suizidgefährdet ist, suchen Sie Hilfe. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/1110111 und 0800/1110222. Auch ein Kontakt per Chat und E-Mail ist möglich: www.telefonseelsorge.de