Chorexpertin Ewald fordert im Lockdown mehr Mitsprache für Musiker

Kirchlichen Chöre und Bläserchöre ruhen wegen Corona Verordnungen
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"Manche kirchlichen Chöre und Bläserchöre ruhen jetzt ein ganzes Jahr, andere haben Zuflucht im Freien oder bei Zoom gesucht", sagt die EKBO-Landessingwartin und Kirchenmusikerin Cornelia Ewald.
Chorexpertin Ewald fordert im Lockdown mehr Mitsprache für Musiker
Konsequenzen der Corona-Beschränkungen "noch unübersehbar"
Die Berliner Musikerin und Chorleiterin Cornelia Ewald hofft auf einen Neuanfang für Musikensembles nach der Pandemie. Von Politik und Kirchen erwartet die Landessingwartin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bei den Corona-Schutzmaßnahmen mehr Mitsprache für Musiker, wie sie dem Evangelischen Pressedienst sagte.

Welchen Schaden hat die Kirchenmusik, haben vor allem die Chöre, durch die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen bislang erlitten?

Cornelia Ewald: Für die meisten Chorsängerinnen und Chorsänger sowie Ensemblemusikerinnen und Ensemblemusiker im Amateurbereich ist eine der wichtigsten und seelisch aufbauendsten Freizeitaktivitäten ganz entfallen oder wurde auf ein kaum erträgliches Maß reduziert, das selbst den findigsten Kirchenmusiker an seine Grenzen bringen musste. Manche kirchlichen Chöre und Bläserchöre ruhen jetzt ein ganzes Jahr, andere haben Zuflucht im Freien oder bei Zoom gesucht. Den Kinderchören fehlt ein ganzer Jahrgang. Die Konsequenzen sind noch unübersehbar und werden sich wohl erst nach und nach offenbaren.

Lässt sich das wieder aufholen?

Cornelia Ewald: Die Energie, der Enthusiasmus und die Professionalität, die es braucht, einen guten Chor oder Bläserchor aufzubauen, lassen sich leider nicht in einer abrechenbaren Einheit angeben. Das jetzt Künstler und alle kreativen Berufe im Prinzip nicht angemessen entschädigt werden können, liegt unter anderem auch daran, dass keine Norm für die Maßeinheit zur Bestimmung von Kreativität existiert. Meine Hoffnung ist, dass wir trotzdem aus Kunst und Musik die Kraft zum Wiederaufbauen finden.

"Unsere Arbeit wurde systematisch demontiert"

Fühlen Sie sich von der Politik alleingelassen?

Cornelia Ewald: Wir haben - wie viele Berufszweige - zusehen müssen, wie unsere Arbeit systematisch demontiert wurde. Das kam einem Berufsverbot gleich, und die wenigen Hilfsangebote kamen spät oder griffen nicht oder nur bedingt. Während Industriezweige großzügig entschädigt werden, empfinden Künstler, Schauspieler und Kreative einen mehr als bitteren Beigeschmack, wenn ihre Lebensrealität keine Berücksichtigung in Ausgleichs- und Entschädigungsangeboten findet. Einer so elementare Lebensäußerung wie der Musik beraubt zu sein, wird weitreichende seelische und auch wirtschaftliche Konsequenzen im Leben jedes einzelnen Musizierenden haben.

Was empfehlen Sie den Ensembles, die nicht aufgegeben haben, sobald Proben in größerer Gemeinschaft wieder möglich sind?

Cornelia Ewald: Es gibt das Netzwerk "Neustart Amateurmusik". Unter dem Dach des Bundesmusikverbandes Chor und Orchester wird bereits seit Oktober 2020 intensiv daran gearbeitet, den Chören und Instrumentalensembles Unterstützung für den Neustart zu organisieren. Fast alle größeren Musik-Verbände sind dabei. Haupt- und ehrenamtlich Beschäftigte arbeiten in vier Clustern an Lösungen, wie Chöre und Instrumentalensembles für die Zeit nach Corona wieder zu ihren Kompetenzen zurückfinden können. Ich empfehle, sich jede nur mögliche Unterstützung zu sichern, Workshops und Seminare zu besuchen und mit Gleichgesinnten und Betroffenen zu kommunizieren, um sich auszutauschen und zu lernen.

Das Problem sind doch auch die Sängerinnen und Sänger, die seit Monaten nicht mehr im Ensemble proben konnten und keine Stimmbildung hatten.

Cornelia Ewald: Ja, es wird schwierig, die Menschen zum Singen und Musizieren wieder auf den gleichen Stand zusammenzuführen. Nicht alle mochten über Zoom singen, manche Ensemblemitglieder haben vielleicht den Anschluss verloren, trauen sich nicht mehr und brauchen Ermutigung und eine sichere Umgebung.

"Das hohe Gut der Gemeinschaft wieder beleben"

Vertrauen wieder aufzubauen, den Sängerinnen und Sängern die Sicherheit und Beherztheit in die eigene Stimme und die eigene Ausdrucksfähigkeit zurückzugeben, das wird ein langer Weg. Das hohe Gut der Gemeinschaft wieder zu beleben, kann sehr hilfreich sein und zu unserer kollektiven seelischen Gesundung beitragen.

Haben Sie Tipps für Chorleiterinnen und -leiter, um sich auf künftige Lockdowns vorzubereiten?

Cornelia Ewald: Es ist sicher sinnvoll, sich mit allen digitalen Möglichkeiten vertraut zu machen. Die meisten Chorleiter waren sehr erfinderisch und haben ihre Chöre im Rahmen der Möglichkeiten weiter betreut. Die Proben über Zoom waren und sind eine Variante. Im Januar konnte ich ein Webinar zum Thema "Zoomproben im Kinderchor" mit einer sehr ideenreichen und kreativen Referentin anbieten. 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dabei. Neu auf dem Markt ist mit "Jamulus" ein Programm, das fast verzögerungsfreie Proben ermöglicht. Es muss allerdings ein wenig technisches Equipment bereitgestellt werden, was sicher nicht allen Chorsängerinnen und Chorsängern ohne weiteres gelingt.

"Digital Stage" - eine Audio-Video-Konferenzschaltung für Ensembles - befindet sich noch in der Entwicklung, hier darf man gespannt sein. Außerdem ist der Austausch mit Kunst- und Kulturschaffenden von hohem Wert. Diskussionen mit Gleichgesinnten, Runde Tische, Online-Konferenzen, Workshops etc. helfen bei der Suche nach Lösungen: Gemeinschaft gibt Kraft.

Waren die von der Politik vorgegebenen Einschränkungen für die Kirchenmusik gerechtfertigt?

Cornelia Ewald: Mich hat vor allem geschmerzt, dass die guten Konzepte mit Hygiene- und Abstandsregelungen, die nachweislich funktionieren und auf wissenschaftlicher Basis stehen, in den Entscheidungen von Politik und Kirche nicht genügend Berücksichtigung gefunden haben. Es gab aber an manchen Stellen auch sehr gute Erfahrungen und offene Ohren - beispielsweise im Juli 2020 mit der Berliner Politik oder in den Online-Konferenzen des Landesmusikrates mit Verantwortlichen der Berliner Senatsverwaltung.

Sind Sie zuwenig gehört worden?

"Die Angst hat in vielen Entscheidungen die Feder geführt, die Verunsicherung der Menschen ist leider tiefgreifend"

Cornelia Ewald: Die Angst hat in vielen Entscheidungen die Feder geführt, die Verunsicherung der Menschen ist leider tiefgreifend und ich fürchte, auch tief verinnerlicht. Es hätte gut getan - wenn schon nicht von Anfang an, aber spätestens im Herbst 2020 - den Umgang mit dem Virus zu üben, anstatt zu verbieten, zu vertrösten und letztlich all die guten und willigen Kräfte zu brüskieren. Ich hätte mir gewünscht und wünsche mir noch immer, dass Kompetenzen abgefragt und genutzt werden, um daraus zu lernen, wie mit Krisen aktiv umgegangen werden kann.