TV-Tipp: "Tatort: Heile Welt"

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TV-Tipp: "Tatort: Heile Welt"
21. Februar, ARD, 20.15 Uhr
Der Titel "Heile Welt" ist blanker Zynismus, und das nicht nur, weil eine heile Welt eine Welt ohne Verbrechen wäre; Der Film beginnt mit Szenen, die aus einem Bürgerkrieg stammen könnten. Autor Jürgen Werner, der auch Drehbücher für die ZDF-Reihe "Traumschiff" schreibt, gestaltet in seiner elften Episode für den von ihm selbst entworfenen "Tatort" aus Dortmund ein düsteres politisches Szenario.

"Heile Welt" ist das höhnische Gegenstück zur einstigen Johannes-Rau-Devise "Versöhnen statt spalten" wirkt; aber das zeigt sich erst später. Zunächst muss sich das Revierquartett in der Hochhaussiedlung Gerberzentrum mit dem Mord an einer jungen Frau befassen. Der erste Eindruck lässt auf eine vertuschte Vergewaltigung schließen: Das Opfer ist erschlagen worden, anschließend wurde ein Feuer gelegt.

Rasch gerät ein junger Mann mit irakischen Wurzeln ins Visier der Ermittler: Hakim Khaled (Shadi Eck), Sohn eines Imams, ist schon einmal wegen eines Drogendelikts aufgefallen. Offenbar hat die Frau zufällig sein Kokainversteck gefunden; der Fall scheint gelöst.

Abgesehen vom Prolog wäre "Heile Welt" bis hierhin ein ganz normaler Sonntagskrimi, aber davon kann keine Rede sein, denn rund um die Ermittlungen braut sich was zusammen: Weil sich Martina Bönisch (Anna Schudt) von Khalid senior (Ferhat Keskin) nicht ernst genommen fühlt, lässt sie ihren Unmut am Junior aus, den sie kurzerhand rüde verhaftet, obwohl sie nicht viel gegen ihn in der Hand hat. Eine Zeugin filmt den Vorfall und stellt das Video ins Netz, wo es alsbald Kreise zieht. Umgehend findet sich Bönisch im Zentrum eines Shitstorms, der sie als rechte Repräsentantin eines Polizeistaats brandmarkt.

Dann taucht auch noch ein Video auf, in dem sie beim offenbar freundlichen Austausch mit einem ehrgeizigen Rechtspopulisten zu sehen ist. Nils Jacob (Franz Pätzold) stachelt die Dortmunder mit seinen Parolen ziemlich unverblümt zu Fremdenhass an. Nun hat die linke Szene den sichtbaren Beweis für ihre schon lang gehegte Vermutung, dass die Dortmunder Polizei enge Kontakte zu Rechtsextremisten pflegt; Bönisch wird beurlaubt.

Als Jacob zwei Tage nach dem Mord zu einer Kundgebung am Ort des Verbrechens lädt und die Antifaschisten prompt zur Gegendemo aufrufen, kommt es zur Eskalation. Nun kehrt der Film zu den Anfangsbildern zurück: Die Aufnahmen (Kamera: Philipp Kirsamer) verbreiten eine düstere Endzeitstimmung, Bengalos sorgen für ein unwirkliches Licht, zumal alles voller Qualm ist. Es kommt zu Gewaltszenen, die mit dem Nachrichtenbegriff "Ausschreitungen" nur unzureichend beschrieben sind; und mittendrin Bönisch, die in Superzeitlupe wie in Trance zwischen den Fronten wandelt und die Welt nicht mehr versteht.

Regisseur Sebastian Ko hat für den WDR mit "Kartenhaus" (2016), "Wacht am Rhein" (2017) und "Mitgehangen" (2018) drei sehenswerte "Tatort"-Krimis aus Köln sowie fürs ZDF zwei fesselnde Episoden für die Reihe "Helen Dorn" gedreht, darunter zuletzt den herausragenden Thriller "Atemlos" (2020).

Dass "Heile Welt" nicht ganz so packend ist, hat auch mit der Geschichte zu tun, schließlich muss Werner gleich vier Hauptfiguren gerecht werden: Bönisch muss hilflos mit ansehen, wie sie von den Rechten erst gefeiert und nach ihrer Beurlaubung zur Märtyrerin erklärt wird. Dadurch wird sie prompt zum Feindbild für linke Schläger, die sie vor der eigenen Haustür überfallen.

Derweil leidet Faber unter Liebeskummer, weshalb sein musikalisches Leitmotiv, der 80er-Jahre-Hit "Sunshine Reggae", fast schon spöttisch wirkt: Die vom Liebesglück bislang sehr verlassene Bönisch verbringt die Nächte neuerdings mit einem Kriminaltechniker, was Faber näher geht, als er wohl vermutet hätte. Er ertränkt seinen Weltschmerz mit einem obdachlos gewordenen Ladenbesitzer (Jürg Plüss), der den Hauptkommissar später rettet, als ihm während des Krawalls hinterrücks eine Flasche auf den Kopf geschlagen wird.

Außerdem ist der 18. Fall aus Dortmund (wenn man den Jubiläums-Zweiteiler "In der Familie" als einen Film zählt) der erste für die Rosa Herzog. Die Nachfolgerin von Nora Dalay verscherzt es sich gleich mal gründlich mit den Kollegen, weil sie den Anschuldigungen im Netz glaubt. Die Österreicherin Stefanie Reinsperger ist in vielerlei Hinsicht eine völlig andere Schauspielerin als Vorgängerin Aylin Tezel; Figur und Darstellerin müssen noch zu ihren Rollen finden.

Ausgesprochen gelungen ist dagegen Kos Umgang mit den Kommentaren in den digitalen Netzwerken, die zum Glück niemand vorlesen muss. Mitlesen ist allerdings auch schwierig, weil die Nachrichten regelrecht auf Bönisch einprasseln. Die Dortmunder werden sich im Übrigen zu Recht fragen, wo sich denn wohl die Hochhaussiedlung befindet; im Ortsteil Scharnhorst, wie es im Film heißt, jedenfalls nicht. Tatsächlich sind die entsprechenden Szenen in Leverkusen gedreht worden.