Käßmann: Menschen wegen Corona "nicht einfach wegsperren"

Alten- und Pflegeheime in  Corona-Pandemie sozial isoliert.
© Marcel Kusch/dpa
Patientenschützer warnen davor, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen noch einmal wie zum Beginn der Corona-Pandemie sozial zu isolieren.
Käßmann: Menschen wegen Corona "nicht einfach wegsperren"
Patientenschützer warnen vor erneuter Isolation von Pflegebedürftigen
Die evangelische Theologin Margot Käßmann spricht sich für eine "Balance zwischen Panik und Sorglosigkeit" in der Corona-Krise aus. Über das Ausmaß der Beschränkungen müsse noch einmal geredet werden, sagte die frühere hannoversche Bischöfin im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg (Ausgabe 23.8.).

Sie finde es nicht haltbar, dass Heimbesuche verboten waren: "Man darf Menschen nicht einfach wegsperren", sagte Käßmann. Wenig Verständnis zeigt Käßmann für die Ablehnung von Gesichtsmasken. "Freiheit ist auch eine Verantwortung für die Gemeinschaft. Das müssen wir Menschen sagen, wenn sie mit ihrer Maskenverweigerung die Freiheit aller gefährden," betonte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Im Umgang mit der Krise brauche es Gottvertrauen, sagte Käßmann. "Ich hatte manchmal den Eindruck, die Menschen sind völlig darüber erschrocken, dass das Leben endlich ist." Dabei werde es auch im laufenden Jahr alleine 520.000 neue Krebsdiagnosen in Deutschland geben. Christen sollten mit Corona und Krebs umgehen können, weil sie sich von Gott gehalten wüssten, so die Theologin.

Beschwerden gegen reduzierte Besuchsmöglichkeiten

Patientenschützer warnen davor, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen noch einmal wie zum Beginn der Corona-Pandemie sozial zu isolieren. "Die Verweildauer in den Heimen beträgt nur rund anderthalb Jahre", sagte der Bremer Patientenschützer Reinhard Leopold am Dienstag dem epd. "Das ist die allerletzte Lebensphase. Da sind soziale Kontakte unentbehrlich." Ähnlich äußerte sich David Kröll, Sprecher des Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) mit Sitz in Bonn.

Die Corona-Pandemie bedeute für viele Pflegebedürftige eine Verschlechterung ihrer Versorgung und eine drastische Einbuße ihrer Lebensqualität, sagte Kröll. Folgen der Besuchseinschränkungen seien Depressionen bis hin zu Suizidgedanken, dementielle Veränderungen sowie der Verlust motorischer Fähigkeiten aufgrund mangelnder Mobilisierung.

Leopold, der die Selbsthilfe-Initiative "Heim-Mitwirkung" gegründet hat und als Bremer Regionalbeauftragter für die BIVA tätig ist, berichtete zudem, dass Bewohner von Heimen unter Quarantäne gestellt worden seien, nachdem sie von einem Familienbesuch oder einem Spaziergang zurück in die Einrichtung kehrten. Der BIVA-Vorsitzende Manfred Stegger sagte dazu: "Es kommt sogar vor, dass Bewohnern vorab damit gedroht wird. Dieses Vorgehen halten wir eindeutig für gesetzeswidrig."

Die BIVA, die seit 1974 bundesweit die Interessen von Pflegebedürftigen vertritt, hat nach eigenen Angaben im Vergleich zum Vorjahr rund doppelt so viele Anfragen zu bearbeiten. "Statt etwa 300 sind es nun im Monatsdurchschnitt 600", sagte Kröll. "Die Krise wirkt wie ein Brennglas auf bereits bestehende Probleme."

Fast alle Beschwerden zielten auf die reduzierten Besuchsmöglichkeiten. Auswirkungen gebe es dabei nicht nur in sozialer Hinsicht. "Viele Menschen verkennen, wie viel Angehörige in den Einrichtungen leisten", sagte Kröll. Es gehe nicht nur um den Sonntagsbesuch bei der Oma, sondern um Unterstützung der ohnehin überlasteten Pflegekräfte: "Angehörige helfen tagtäglich mit, etwa bei der Nahrungsaufnahme oder beim ausreichenden Trinken, was viel Zeit in Anspruch nimmt."

Kritik übten Leopold und Kröll auch daran, dass die regelmäßigen Qualitätsprüfungen der Heime weiter ausgesetzt sind. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat seine Überprüfungen bis September eingestellt. "Durch die Abschottung der Heime fehlt es an sozialer Kontrolle", sagte Kröll.