Wachsen wie ein Senfkorn

Heinrich Bedford-Strohm
© epd-bild/Heike Lyding
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beim Ratsbericht auf der Synode der EKD in Dresden.
Wachsen wie ein Senfkorn
Ratsbericht von Heinrich Bedford-Strohm vor der EKD-Synode
Zu Beginn der EKD-Synode in Dresden zieht der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm vor den 120 Synodalen eine Zwischenbilanz der Arbeit des Rates der EKD und tritt deutlich gegen Rassismus und Antisemitismus und für Menschenwürde ein. Glaube müsse gelebt, Liebe geübt werden.

Mit scharfen Worten wendet sich Heinrich Bedford-Strohm in seinem Ratsbericht an die Menschen, die Hass in die Welt setzen. Und er spricht zugunsten der Menschen, die in Deutschland Schutz bedürfen. Dabei nimmt der Ratsvorsitzende der EKD konkreten Bezug auf die Schuss-Attacke mit zwei Toten in Halle. "Wir werden die zur Rede stellen, die Rechtsradikalen Deckung geben, auch dann, wenn sie selbst nicht so denken. Wenn im Bundestag und im Landtag vertretene Parteien rechtsradikale Ideen in ihren Reihen dulden, dann disqualifizieren sie sich im demokratischen Diskurs. Wir werden nie zuschauen, wenn solche Einstellungen in unserem Land salonfähig werden. Juden, Christen, Muslime, Humanisten und Menschen anderer Überzeugungen - wir werden alle gemeinsam aktiv eintreten für unsere Demokratie und die Menschenwürde, der die Demokratie verpflichtet ist!" Applaus brandet durch den Synodensaal an der Elbe in Dresden.

Bedford-Strohm ist davon überzeugt, dass vor allem eine geistliche Herausforderung vor der Kirche liege. "Gerade wer den Hinweis auf das Wirken Gottes und die Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten nicht als Beruhigung gegenüber den Indikatoren einer kleiner werdenen Kirche sieht, wird den Zusammenhang zwischen Gottes Wirken und menschlichem Wirken neu zu verstehen suchen." Er stimmt die Synode auf die Reformbemühungen innerhalb der Kirche ein, indem er auf biblische Wachstumsgleichnisse blickt. Er sagt: "Ihr tiefster Sinn ist die Vermittlung von Gottvertrauen angesichts der Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten. Die Natur wird zum Bild dafür, dass der Mensch zwar etwas tun kann, der Erfolg aber letztlich Gottes Werk bleibt." Manchmal könne aus etwas Kleinem etwas ganz Großes entstehen.

Der Ratsvorsitzende nimmt das Senfkorn aus dem Markusevangelium 4,30-32 als Beispiel. "Das Senfkorn ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen." Eigentlich sei es gegen jede Vernunft, zu erwarten, was da passiere. Er appelliert an alle: Wir sollten viel selbstbewusster darstellen und erzählen, wieviel Segensreiches tagtäglich nur dadurch möglich werde, dass es die Kirchen gibt. Dabei nennt er zahlreiche Beispiele aus dem Alltag von kirchlich Engagierten, die helfen würden und Gutes tun, ohne auf ihre Arbeitsstunden zu schauen.

Und dennoch brauche es Veränderung. Bedford-Strohm spricht vom sogenannten Kairos-Moment. Es gebe bestimmte Momente in der Zeit, in denen etwas gelinge, ohne dass wir es erwarten. In denen viel Arbeit und Mühe plötzlich Früchte trügen, in denen sich etwas Neues entwickele, das nicht einfach aus dem Alten abgeleitet werden könne. Konkret heißt das: "Warten lernen auf Gottes Zeit."

Ein wichtiges Thema der Synode wird der Stand der Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche und Wege zu einer besseren Prävention sein. Bei der vergangenen Tagung der EKD-Synode wurde ein 11-Punkte-Plan verabschiedet, der nun abgearbeitet werden würde. Auf der Synode sollen Betroffene sexualisierter Gewalt zu Wort kommen. Bedford-Strohm sagt: "Jeder Fall sexualisierter Gewalt ist eine offene Wunde in der Gemeinschaft der Kirche." Dass Leben zerstört werde, wo es doch geschützt und bewahrt werden sollte, sei der tiefste Widerspruch, den man sich vorstellen könne.

Der Ratsvorsitzende spricht auch von der Projektion 2060, die prognostiziert, dass die Kirche bis zum Jahr 2060 rund die Hälfte weniger Mitglieder und finanzielle Ressourcen haben soll. Die große Frage nun sei: "Wie können wir eine Kirche mit leichtem Gepäck werden?". Die Kunst sei nun, kirchliche Strukturen zu verändern, dass sie bestmöglich den Menschen dienten. Bedford-Strohm ruft auf zur geistlichen Erneuerung der Basis. Dass Kirchenleitende wie alle Glieder der Kirche die im Glauben gegründete Liebe und Hoffnung selbst weiterverbreiten sollen. "Denn die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an ihren Mitgliedschaftszahlen, sondern an ihrer im Evangelium gegründeten Ausstrahlungskraft." Konkret nennt er die Arbeit des Z-Teams, der von der Synode eingesetzten Arbeitsgruppe zur "Zukunft auf gutem Grund", die sich aus den Erfahrungen des Reformationsjubiläums mit Zukunftsprozessen befasst und eine wichtige Rolle spielen werde. Grundsätzlich trage einen eine Haltung von Vertrauen, Zuversicht und Unverzagtheit durch die Stillung des Sturmes (Markusevangelium 4, 35-41).

Lernen von den ostdeutschen Kirchen

Von den ostdeutschen Kirchen könne man einiges lernen. Dort sei die Zahl der Christ*innen klein. "Was mich bei meinen Begegnungen in den ostdeutschen Gemeinden oft inspiriert, ist eine glaubensgewisse Selbstverständlichkeit beim Umgang mit Situationen, die aus dem Umfeld, das mir eher vertraut ist, als eigentlich nicht mehr handhabbar gelten würden." Und trotzdem erlebe er dort Menschen, die fröhlich und selbstbewusst ihren Glauben lebten. Beispielhaft erzählt er über das engagierte Gemeindeleben in Laucha, über das in chrismon eine Reportage zu lesen ist. Trotz schwindender Mitgliederzahlen seien ausstrahlungsstarke Kirchen wichtig, die öffentlich als Institution wahrgenommen würden, die Hoffnung ausstrahlten, da sie sich nicht nur um sich selbst drehten, sondern für das Gemeinwesen engagierten, trotz aller Sorge auf die gemeinsame Zukunft und der manchmal fast nicht lösbar scheinenden Probleme.

Immer wieder ist von der Kraft des richtigen Moments die Rede. Ein solcher Kairos-Moment sei vor 30 Jahren die friedliche Revolution in der DDR gewesen. Gebete und brennende Kerzen hätten das Unmögliche möglich gemacht: "eine friedliche Revolution in einem bis an die Zähne bewaffneten und von einer perfektionierten Geheimpolizei gesicherten Staat, die noch wenige Jahre vorher kaum jemand für möglich gehalten hätte."

Das Schwerpunktthema der Synode lautet in diesem Jahr "Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens". Zur Lage in Syrien sagt Bedford-Strohm: "Gegenwärtig erleben wir, dass ein Mitglied des Nato-Bündnisses, dem unser eigenes Land angehört, in ein Nachbarland einmarschiert und damit grundlegende Normen des Völkerrechts verletzt." Dass die Kurden im Norden Syriens, die maßgeblich zur wirksamen Bekämpfung der IS-Terrormilizen beigetragen hätten, von ihrem Partner USA fallengelassen würden, sei "eine Niederlage einer an Recht und an der Ethik orientierten internationalen Politik". Nordsyrien werde Russland, der Türkei und dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad überlassen.

Viele verspürten eine Ohnmacht und suchten eine Orientierung für konkretes friedliches Handeln. Bedford-Strohms Wahrnehmung nach sei der Grundkonsens in Fragen der Friedensethik innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch in der Ökumene weltweit in den letzten Jahrzehnten gewachsen. "Der Konsens ist groß, dass die Anwendung militärischer Gewalt nie eine zu erstrebende Option ist, sondern immer eine Niederlage. Eine Niederlage nämlich für das Bemühen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, eine Option, die immer den Vorrang haben muss." Er kritisiert Waffenexporte und das weltweite Rüstungsbudget von über 1,8 Billionen Dollar. "Das Töten von Menschen, auch das ist eine breit getragene ethische Einsicht, bedeutet auch dann Schuld, wenn es zum Schutz vieler anderer Menschenleben als nicht vermeidbar erscheint."

Gleichzeitig hätten sich neue Fragen ergeben, die zeigten, wie wenig eindeutig aus christlicher Perspektive die Anwendung militärischer Gewalt einfach kategorisch ausgeschlossen werden könne. Dabei blickt Bedford-Strohm auf den Völkermord 1994 in Ruanda, dem fast eine Million Menschen zum Opfer fielen und die Weigerung der UNO-Verantwortlichen, den anwesenden UNO-Soldaten zum wirksamen Schutz der Menschen auch den Einsatz von Waffengewalt zu erlauben, was ein klares moralisches Versagen darstellte. Die Kirche müsse auch den Politikern, die nach kirchlichem Rat fragten, Antwort geben können, was auf der Grundlage friedensethischer Einsichten konkret getan werden könne. "Wir sind als Land bisher sehr gut damit gefahren, dass bei allen Diskussionen um die Legitimität militärischer Gewaltanwendung nicht Wirtschafts- und Handelsinteressen im Zentrum standen, sondern die Menschenrechte."

Menschen nicht ertrinken lassen

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) startet im Advent eine Spendensammlung für das geplante Seenotrettungsschiff. Am 3. Dezember 2019 soll ein Aufruf veröffentlicht werden, der zu dem gesellschaftlichen Bündnis "United 4 Rescue" ("gemeinsam retten") einlädt. Unter dem Hashtag #WirschickeneinSchiff solle es eine Online-Spendenkampagne geben, teilt er mit. Im September hatte die EKD bekanntgegeben, dass sie zusammen mit einem Verein die Seenotrettungsorganisation "Sea-Watch" beauftragen möchte, ein Schiff ins Mittelmeer zu schicken. Der Beschluss geht auf eine Initiative des evangelischen Kirchentags im Juni zurück. Bedford-Strohm äußert sich überzeugt davon, dass man mit dem Schiff ein wichtiges Zeichen setze. "Seit Jahren warten wir auf überzeugende Lösungen der europäischen Regierungen. Auch die EKD-Synode hat wiederholt gefordert, legale und sichere Zugangswege für Schutzsuchende zu eröffnen, ein solidarisches Verteilsystem in Europa zu schaffen, faire Asylverfahren zu gewährleisten", sagt der bayerische Landesbischof. Zudem würden in dem Programm "Symbols of Hope" des Lutherischen Weltbundes die Menschen in Nigeria durch Video-Zeugnisse von Rückkehrern vor dem lebensgefährlichen Weg durch die Wüste gewarnt. Und es würden Perspektiven im eigenen Land aufgezeigt, die Menschen zum Bleiben bringen können.

Heinrich Bedford-Strohm unterstützt die Aktionen fürein kirchliches Klimaengagement. Zum Klimawandel sagt er: "Wer das ignoriert, leidet unter Realitätsverlust." Junge Leute forderten Glaubwürdigkeit. "Und offensichtlich sehen sie solche Glaubwürdigkeit der Kirche gerade auch da, wo sie sich einmischt." Der Schülerin Greta Thunberg sei es mit "Fridays for Future" gelungen, die Öffentlichkeit wachzurütteln. Die Kirchen hätten es nicht geschafft, ihre Klimaforderungen ins Zentrum der globalen politischen Debatte zu rücken. Es müsse wohl erst der rechte Augenblick kommen, damit sich ein lange gereifter Gedanke Gehör verschaffen kann. "Für mich ist das Anlass, dafür zu werben, dass wir als Kirche auch dann deutlich und klar unseren Öffentlichkeitsauftrag wahrnehmen, wenn wir nicht gleich gehört werden." Vielleicht stecke darin mehr Potential für eine neue Relevanz der Kirche für junge Menschen als in allen möglichen Programmen, die wir zur Bindung der Jugend an die Kirche bisher entwickelt haben, sagt er weiter. Von der Bundesregierung verlangt der EKD-Ratsvorsitzende mehr Konsequenz beim Klimaschutz. Die Pläne zur CO2-Bepreisung reichten nicht aus. Es wäre aus seiner Sicht ein "Zeichen von Größe", wenn die Regierung die gesellschaftliche Dynamik wahrnehmen und ihr Klimapaket deutlich nachbessern würde.

Seinen Bericht schließt er mit den Worten: "Wir werden weiter nach Wegen suchen, um das Unsrige zu tun auf dem Weg zu einer mutigen und ausstrahlungsstarken Kirche der Zukunft. Aber wir werden es tun im vollen Bewusstsein, dass wir weder Zeit noch Stunde wissen, sondern allein Gott."