Salvador Sobral: "Musik ist Gefühl statt Feuerwerk"

Salvador Sobral
Foto: dpa/Efrem Lukatsky
Salvador Sobral aus Portugal freut sich mit der Siegertrophäe nach dem Finale am 13. Mai 2017 in Kiew (Ukraine). Portugal hat zum ersten Mal den Eurovision Song Contest gewonnen.
Salvador Sobral: "Musik ist Gefühl statt Feuerwerk"
Heute ist der 15. Mai - und der 62. Eurovision Song Contest ist Geschichte. Am 30. April begannen die Proben der Teilnehmer aus insgesamt 42 Ländern von Albanien bis Zypern. Von Anfang an waren akkreditierte Fans und Journalisten vor Ort, um keine der Proben zu verpassen.

Zunächst auf dem Bildschirm, dann in der Halle. Anschließend fanden die kleinen und großen Pressekonferenzen statt und Berichte in unterschiedlichsten Medien darüber. Zwei Wochen später stand der Sieger fest und die Sensation war perfekt. Salvador Sobral holte mit seinem "Amar pelos dois" - zu deutsch: Lieben für beide - den ersten Sieg für Portugal in der Eurovision. 1964 nahm das Land erstmals teil, der Gewinner jetzt war der 49. portugiesische Beitrag. Salvador Sobral bekam 758 Punkte, 382 von den Jurys in 39 der 41 übrigen Teilnehmerländer und 376 vom Televoting in allen Teilnehmerländern. Sowohl bei den fünfköpfigen Experten-Kommissionen als auch bei den Otto-Normal-Verbrauchern siegte der Portugiese. Wobei der 27-jährige Portugiese das Wort "Verbrauch" oder auf Lateinisch "Konsum" in Bezug auf Musik wohl ungern denken möchte, wie seine erste, klar formulierte Reaktion auf den Sieg in der Fernseh-Übertragung zeigte: "I wanna say that we live in a world of disposible music. Fast food music without any content. And I think this could be a victory for music with people that make music that actually means something. Music is not fireworks. Music is feeling. So let‘s try to do change this and bring music back which is really what matters."

Seine deutliche Positionierung gegen inhaltslose Einweg- oder Fast-Food-Musik und für die Musik als Gefühl, nicht als Feuerwerk, führte zu seinem Appell, Dinge zu ändern, die Musik zurückzubringen. Es gab Jubel dafür in der Halle, aber der war sehr viel verhaltener als der Jubel für viele Auftritte - den frenetisch gefeierten portugiesischen Beitrag eingeschlossen - zuvor. Im Gegensatz zu den drei Moderatoren hatten zahlreiche Besucher sofort begriffen, dass der freundliche, immer etwas verschmitzte Salvador Sobral gerade zu nichts anderem als zu einer Revolution aufgerufen hatte.

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In den vergangenen Jahren ist der Eurovision Song Contest von der European Broadcasting Union sehr erfolgreich immer stärker kommerzialisiert worden. Ein Beispiel: Wurde früher die konkrete Startreihenfolge der Lieder ausgelost, so ziehen die Teilnehmer heute nur noch den ungefähren Startplatz in der ersten oder zweiten Hälfte der Sendung. Danach überlegen sich die Macher der Show als übergeordnete und tendenziell unkontrollierte Macht, wie sie die Sendung nach allen Regeln der Dramaturgie perfekt inszenieren. Schön für die Show, aber was macht das mit den Liedern? Werden sie von Hauptdarstellern zu beliebig verschiebbaren Statisten? Dass die Interpreten von der großen Show-Regie eher als Statisten verstanden werden, zeigte sich auch in diesem Jahr wieder am Ende der beiden Halbfinals. Aus jeweils 18 Liedern qualifizierten sich nur zehn fürs Finale, es geht um viel. Und die Kamera hält unerbittlich auf die Hoffenden. Als nur noch ein Startplatz für neun Aspiranten da ist, wird die Spannung unerträglich gesteigert: Beim ersten Semifinale dauert es mehr als eine Minute den Letzten zu finden, beim zweiten immer noch 45 Sekunden. Schön für die Show und den einen Glücklichen, aber die übrigen Acht?

Salvador Sobrals Plädoyer richtete sich genau gegen so etwas und damit auch gegen die EBU und ihren geschäftstüchtigen Gigantismus, mit dem sie inzwischen den ESC so verkauft wie die FIFA  die Fußball-Weltmeisterschaft und das IOC die Olympischen Spiele. Stets besteht die Gefahr, dass dabei so ganz nebenbei auch die Idee des Wettbewerbs verkauft wird. Was nützt es, wenn Australien mitmacht, sich das europäische Bosnien-Herzegowina eine Teilnahme aber nicht leisten kann?

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Außerdem war Salvador Sobrals Frontalangriff natürlich auch einer auf seine Kollegen und deren Arbeit. Nie näher spezifizierte gesundheitliche Probleme ließen den Portugiesen, der mutmaßlich auf ein Spenderherz wartet, erst zum Roten-Teppich-Empfang, eine Woche nachdem die Proben begonnen hatten, anreisen. Die ersten absolvierte deshalb Luísa Sobral für ihren Bruder, sie hatte den wunderbaren Sieger-Song auch komponiert und getextet.

Zur traditionellen Reprise des Gewinner-Liedes am Ende der Show holte sich Salvador Sobral wie schon bei der portugiesischen Vorentscheidung im März seine Schwester als Duett-Partnerin auf die Bühne. Wie gesagt, ein wunderbares Lied zweifelsohne, aber welcher Radiosender wird das zukünftig in welchem musikalischen Umfeld spielen? Auch Jamalas "1944", das Gewinner-Lied von 2016 war grandios, aber wer hätte das irgendwann im Radio gehört? Oder geht es darum gar nicht? Aber wie passt das dann zu dem hoch-kommerzialiserten Veranstaltungskonzept? Fragen über Fragen, um die sich die EBU wohl nicht mehr herumdrücken kann. Und wenn Salvador Sobrals "Amar pelos dois" dann doch mal im Radio gespielt wird, vielleicht kann es ja eine Revolution auslösen. Das wäre dann übrigens anders als der Sieg 2017 keine Premiere für ein portugiesisches Eurovisionslied, wie der Blick in die Geschichte zeigt.