Im Rundbau der Pauluskirche in Basel erklingt das "Te Deum" von Marc-Antoine Charpentier. Die bekannte Eurovisions-Hymne breitet sich in der Kirche von 1901 aus und lässt die Pfeifen der Jugendstil-Orgel mitschwingen. Dann brandet Applaus auf. Die Leinwand vor dem ehemaligen Altar zeigt die große Bühne des 69. Eurovision Song Contest (ESC) in der St. Jakobshalle in Basel. Rund sechs Kilometer davon entfernt findet Basels wohl ungewöhnlichstes Public Viewing statt.
Die Pauluskirche ist seit Sommer 2021 in den Händen eines Vereins, der den Betrieb von der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt übernommen hat. Es ist ein Zentrum für Chöre und Events der Basler Kulturszene. An diesem Abend steigt in der Kulturkirche eine große ESC-Party.
Eine Dreiviertelstunde zuvor betritt der frisch gegründete "Queerchor Schweiz" den Kirchenraum. Die 27 Chormitglieder singen nur Stücke von queeren Komponisten oder Interpreten. Dabei sind auch ein Jodelstück oder ein Lied auf Schweizerdeutsch sowie ein Song von Nemo, dem ESC Gewinner-Act aus dem Vorjahr. Der Chor widmet Nemos Song "This Body" dem internationalen Tag gegen die Diskriminierung queerer Menschen, der dieses Jahr auf das ESC-Finale fällt.
Chorleiter Benjamin Graf kritisiert die Entscheidung der ESC-Verantwortlichen, keine Pride-Flaggen auf der Bühne zu erlauben: "Für unsere Community ist der ESC so wichtig, wir verstehen das nicht." Auch Chorsängerin Katharina Kolatzki stimmt zu. Die 33-Jährige ist aus Norddeutschland nach Zürich gezogen und ist froh, dass sie und andere queere Personen im Chor so akzeptiert werden, wie sie sind.
Diskussion um Teilnahme Israels
"Das bedeutet auch, dass das Geschlecht bei der Zuteilung zu den Stimmen Bass, Tenor, Alt und Sopran keine Rolle spielt", erklärt sie. "Die Stimmhöhe ist ausschlaggebend", ergänzt der Chorleiter. Er hat auch zwei Jahre an der Humboldt-Uni Berlin Theologie und Soziologie studiert und war dort Gründungsmitglied des queeren Gottesdienstkollektivs "queerumvier".
Die Pauluskirche zählt zu den bedeutendsten Baudenkmälern Basels. Der Innenraum ist nicht sehr groß und mit 600 Besuchern komplett gefüllt. Neben der Schweizerin Zoë Më mit ihrem Song "Voyage" drückt man hier vor allem dem Esten Thommy Cash mit "Espresso Macchiato" und der französischen Sängerin Louane mit "Maman" die Daumen. Auch der österreichische Countertenor Johannes Pietsch, alias JJ, mit seinem Song "Wasted Love" kommt hier gut an.
Der Auftritt Israels wird in der Pauluskirche unterschiedlich bewertet. Vor dem ESC hatten einzelne Länder, Sender und Künstler den Ausschluss Israels vom Wettbewerb gefordert. Es kam auch zu Protesten gegen das Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen nach dem Hamas-Überfall auf Jüdinnen und Juden am 7. Oktober 2023. In der St. Jakobshalle können die Sicherheitskräfte eine Attacke mit Farbbeuteln auf Künstlerin Yuval Raphael verhindern, wie die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) bestätigte.
Auch die St. Jakobshalle ist mit rund 7.000 Plätzen eher klein. Daher wird zusätzlich das angrenzende Fußballstadion genutzt. 36.000 Fans schauen sich dort auf einer Großleinwand die Show der 26 ESC-Finalisten an. Über eine halbe Millionen Menschen sollen in Basel laut Veranstalter die Fan-Events in der Stadt besucht haben.
In der Pauluskirche ist die Freude groß, als der Sieg nach Österreich geht. "Liebe ist die größte Kraft in der Welt, lasst sie uns verbreiten", ist die Botschaft des ESC-Gewinners Johannes Pietsch. In der Kulturkirche lebt das ESC-Motto "United by Music" auch nach der Eurovision-Woche weiter - in Events, die Menschen zusammenbringen, egal welcher Herkunft oder Sexualität.