"Fußballfans und Kirchgänger haben dieselbe Sehnsucht"

David Kadel und Jürgen Klopp
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David Kadel und Jürgen Klopp
"Fußballfans und Kirchgänger haben dieselbe Sehnsucht"
Interview mit David Kadel über Fußball, Religion, Jürgen Klopp und Hymnen
Die Fußball-Europameisterschaft in Frankeich steht vor der Tür: Zeit, mal über Fußball und den christlichen Glauben zu reden...! So oder so ähnlich dachte sich das der Autor, Coach und Filmemacher David Kadel und bannte seine Gespräche mit sieben Fußballern über ihren Sport und ihren Glauben auf Film. Das Resultat heißt: "Und vorne hilft der liebe Gott".

Wie sind Sie auf die Idee für diesen Film gekommen? 

David Kadel
David Kadel

David Kadel ist Inspirations-Trainer für Fußball-Profis und die Deutsche Leichtathletik-Nationalmannschaft. Außerhalb des Sports hält er Manager-Seminare ab und macht "H.E.R.Z.E.N.S.-Coaching" für Firmen. Er arbeitet vor allem mit Menschen, die unter hohem Druck stehen. In seiner "Fußball-Bibel" hat er gläubige Fußballer aus nächster Nähe porträtiert. Sein neuestes Werk: Der Film "Und vorne hilft der liebe Gott", in dem er mit Fußballstars über ihren christlichen Glauben spricht.

David Kadel: Man braucht ja eine Menge Motive, um so ein verrücktes Projekt, so einen Film zu machen. Ich habe drei: Erstens: Ich arbeite seit 20 Jahren in der Bundesliga im Coaching- und Mentorenbereich sehr viel mit Fußballprofis, aber auch mit Leichtathleten und Tennisspielern zusammen. Und wenn ich den Sportlern dann empfehle, ein bestimmtes Buch durchzulesen, zum Beispiel die Biografie von Dirk Nowitzki - dann tun sich diese jungen Leute heute leider alle sehr schwer mit dem Lesen. Die sind alle viel mehr auf Bildmedien fixiert. Deswegen habe ich mir gedacht: Da muss mal ein Motivations-Film her. Zweitens: Ich bin jetzt 48 Jahre alt und wenn ich hier in Aachen sonntags in die evangelische Kirche gehe, dann bin ich da manchmal der Jüngste. Dann frage ich mich immer, ob die Jüngeren nicht glauben. Deswegen dachte ich mir, dass sich vielleicht außer Pfarrern und Bischöfen nochmal ein paar andere Leute zum Glauben äußern sollten. Wenn zum Beispiel ein Jürgen Klopp etwas sagt, dann hören da viele Leute doch ganz anders hin. Ich habe nämlich den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft der Glaube immer weniger vorkommt, im Spitzensport aber kurioserweise immer mehr. Und drittens: Ich wollte einfach mal einen Film machen, der positiv ist, der sich nicht um die vielen "Ks" dreht, die wir täglich in den Nachrichten serviert bekommen, wie Krisen, Kriege, Katastrophen, Korruption und was uns sonst noch so an Negativem umgibt. 

Wie sind Sie denn auf die Protagonisten, also die gläubigen Fußballstars in ihrem Film gekommen? Die tragen das ja nicht immer alle ständig vor sich her... 

Kadel: Durch das Coaching bin ich in einem Netzwerk mit vielen Spielern und Trainern verbunden. Ich habe früher zum Beispiel Bibelkreise mit den Spielern von Mainz 05 unter Jürgen Klopp gemacht, weil die mir immer wieder erzählt haben, dass sie wegen des Trainings oft sonntags nicht in die Kirche gehen konnten. Auch mit Spielern von Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart hatte ich solche Bibelkreise. Heute noch gibt es zum Beispiel einen NRW-Bibelkreis bei Gerald Asamoah, wo dann einmal im Monat sechs bis acht Profis aus allen NRW-Bundesligavereinen zusammenkommen, also von Düsseldorf, Bochum, Dortmund, Schalke, Leverkusen, Köln undsoweiter. Ich kannte also eigentlich alle Fußballer aus dem Film schon seit vielen Jahren persönlich. 

"Das Wort 'Demut' kennt doch heute ein 17-jähriger gar nicht mehr"

Und waren die alle sofort bereit, so offen vor der Kamera über ihren Glauben zu sprechen? 

Kadel: Ja. Die waren nicht nur bereit - wir teilen sogar so etwas wie eine gemeinsame Sehnsucht danach, für Kinder und Jugendliche positive Vorbilder darzustellen und nach außen zu tragen. Das heißt, diesen Sieben in dem Film geht es nicht nur darum, andere durch tolle Freistöße zu beeindrucken, sondern sie wollen auch kommunizieren und Werte vermitteln. Werte wie zum Beispiel Dankbarkeit oder Demut. Das Wort "Demut" kennt doch heute ein 17-jähriger gar nicht mehr. Das heißt: Diese Jungs in meinem Film, die wollten auch etwas erzählen. Bei denen ist schon auch etwas "dahinter", das mehr ist als bloße Rituale oder Lippenbekenntnisse. 

Viele Aussagen der Spieler im Film gehen in die Richtung "Glaube als Motivationskraft". Sehen Sie das ähnlich?   

Kadel: Nein, nicht bloß Motivation - das wäre schon wieder etwas zu egoistisch. Die sehen den Glauben - Gott - vielmehr als Begleiter. Jürgen Klopp formuliert das sehr schön, wenn er Gott als Vertrauten darstellt, auf den er sich immer verlassen kann - auch wenn das im umgekehrten Fall nicht jederzeit so ist. Und auch David Alaba oder Sven Schipplock beispielsweise machen deutlich, dass ihnen dieser Partner, dieser Begleiter auch einen Teil des Drucks, der Last abnimmt. Bei ihm können sie das alles abladen. 

Einige sagen auch, der Glaube hat ihnen Durchhaltevermögen gegeben, zum Beispiel in Verletzungsphasen. Kann das nicht auch Enttäuschungen hervorrufen, wenn es dann ein weiteres Mal bergab geht? 

Kadel: Ehrlich gesagt, nein, nicht bei den Fußballern, die in dem Film vorkommen. Mir würden auf Anhieb zehn weitere einfallen, bei denen das bestimmt so wäre, die missbrauchen Gott eher als ihren Glücksbringer. Aber bei Kachunga, Roger, Didavi, Ujah und Co. geht das definitiv tiefer, die sind wirklich glaubwürdig. 

Was immer wieder zum Vorschein kommt, ist eine große Dankbarkeit bei all diesen Spielern - für das Erreichte, aber auch für ihre Familien und kleine Dinge. Ist das vielleicht das, was besonders vorbildhaft wirkt, was am ehesten übertragbar ist?  

Kadel: Ja, genau. Das ist einfach etwas Greifbares, etwas, das ganz praktisch für das Christ-sein stehen kann. Kachunga zum Beispiel, wie der trotz seiner nicht gerade rosigen Situation bei Ingolstadt sich dankbar zeigt, für seine Familie, für seine Gesundheit, ganz entspannt ist - das hat mich schwer beeindruckt. Ich kenne genügend Fußballer, die ständig jammern, obwohl sie schon so viel erreicht haben. Das ist tatsächlich etwas, das könnte am Ende auch bei denen ankommen, für die alles andere im Film vielleicht zu philosophisch war. Wenn die sagen: "Das stimmt schon, dankbar sein macht stark, das verändert das ganze Leben" - dann wäre ich schon sehr zufrieden. 

Jürgen Klopp macht im Film den Eindruck, als habe er den abgeklärtesten - aber auch den reflektiertesten Glauben. Liegt das vielleicht daran, dass er als einziger über sein Gottesbild spricht? Und dass das ein sehr menschliches, fröhlich-nachsichtiges ist? 

Kadel: Absolut. Jürgen Klopp ist ja auch Jahrgang '67, sein Glaube ist auf jeden Fall über die Zeit gereift. Aber ich bin auch schwer beeindruckt von jemandem wie Tony Ujah von Werder Bremen - von dem Gottvertrauen, das der mit 26 Jahren bereits formulieren kann. Wenn ich daran denke, was ich in diesem Alter so gedacht und gesagt habe, dann ist das eine geradezu unverschämte Tiefe, die dieser junge Mann da transportiert. Bei Jürgen Klopp gilt außerdem, dass er auch vom "Gescheiterten" zum "Gescheiten" geworden ist. Gescheitert ist er ja auch häufig genug in seiner Laufbahn. Übrigens hat sich Klopp in Liverpool inzwischen sogar eine deutsche Gemeinde gesucht, die er sonntags - wenn mal gerade kein Training oder Spiel ist - mit seiner Frau Ulla besucht.

Sie sprechen im Film von Ihren Protagonisten als Ihrem Dreamteam. Wäre der Fußball hierzulande ein anderer, wenn es mehr offen christliche Spieler gäbe? Oder anders gefragt: Wieviel Glaube verträgt der deutsche Fußball? 

Kadel: Eigentlich finde ich das Verhalten der Spieler untereinander schon ganz okay zurzeit, meist auch sehr fair und respektvoll. Ganz anders ist das aber bei den Fans. Die gehen teilweise wirklich schrecklich miteinander um. Denen würde ich am liebsten sagen: Geht mal ein paar Wochen nach Indien und macht dort Aufbauhilfe, dann wisst ihr wieder, worauf es ankommt im Leben. Was soll der ganze Hass, diese Aggression? Dass bei einigen von denen der Film etwas bewirkt, das würde ich mir am meisten wünschen. 

David Kadel und Jürgen Klopp

Im Film geht es ja um Glaube und Fußball. Hat nicht der Fußball selbst auch manchmal quasi-religiöse Züge? 

Kadel: Ja, definitiv. Da gibt es viele Sachen, die der Fußball auch aus dem Christentum fast schon "geklaut" hat. Alleine solche Begrifflichkeiten wie "Sündenbock" oder "Messias" für den neuen Trainer, das "erlösende" Tor und ähnliches. Dann die ganzen "Choräle", also Fangesänge, die "Liturgie" - das ist schon fast alles wie ein moderner Gottesdienst. Und viele Fans sehen das ja sowieso so, wenn man zum Beispiel die Aufnäher auf Schalke nimmt: "Schalke 04 ist meine Religion!" Oder den Ruf: "Miro Klose Fußballgott!" Was mich aber noch mehr interessiert, ist, dass ich glaube, dass Kirchgänger und Fußballfans dieselbe Sehnsucht haben. Nämlich die, dass wir etwas erleben, was uns berührt. Wir wollen Inspiration. Viele entscheiden sich aber statt der Kirche für das Stadion, weil sie dort zum Beispiel ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl bekommen. Allerdings bist du beim Erlebnis im Stadion auch extrem abhängig vom Ergebnis des Ganzen. Überhaupt ist das Erlebnis des "Wertvoll-seins", ihr "Markt-Wert", für Fußballer ja immer abhängig von der Leistung und vom Erfolg. Nur wenn du erfolgreich bist, bekommst du Liebe. Das ist schon extrem oberflächlich. Im Gegensatz dazu kann ich als Christ sagen: Ich bin wertvoll, weil ich von Gott geliebt bin. Und zwar "for nothing" - ohne Leistungsnachweis und ohne Kleingedrucktes. Man muss Fußballern auch sagen: "Wenn du mal auf dem Sterbebett liegst, dann wird sicher nicht Karl-Heinz Rummenigge an deinem Bett stehen, sondern ein Pfarrer, der dir hilft." Der Fußball dagegen ist schon so eine Traumwelt, die nicht wirklich satt macht. Und obwohl ich großer Fußballfan bin, ist auch mir klar, dass es hier in erster Linie um Geld geht und nicht um Liebe. 

Allerdings ist der Fußball trotzdem sehr erfolgreich und extrem populär hierzulande. Was könnten Kirchen und Gemeinden vielleicht vom Fußball lernen? 

Kadel: Schon eine ganze Menge. Zum Beispiel die Begeisterung. Etwas, das über die bloße Liturgie und die Wiederkehr des Gleichen hinausgeht. Und man könnte auch von der Entwicklung lernen, die der Fußball genommen hat. Der ist ja viel schneller, athletischer, attraktiver geworden. Da ist auch ganz viel Show, Musik und Unterhaltung im Stadion. Vielleicht könnten wir so etwas entwerfen wie einen "Glauben 3.0". Das Evangelium sollten wir dabei nicht verändern, das bleibt unser Kerngeschäft. Aber die Präsentation des Ganzen, die könnte schon manchmal etwas peppiger und frecher sein. 

"Vielleicht könnten wir so etwas entwerfen wie einen 'Glauben 3.0'"

Im Film spielt auch Musik immer wieder eine große Rolle. Welches ist denn Ihre Lieblingsfußballhymne? 

Kadel: "Wir alle leben im Schatten des Doms", die Hymne aus Mainz, das ist schon ein tolles Lied, auch mit einem tiefgründigen Text. Aber "You'll Never Walk Alone" ist einfach einzigartig! 

Und welches christliche Lied könnte am ehesten auch als Fußball-Song taugen? 

Kadel: Vielleicht der Klassiker: "Danke" - das passt schon manchmal ganz gut. Ich bin wirklich auch dankbar, dass ich den Fußball jedes Wochenende genießen kann, in Freiheit. Auf dem Soundtrack zum Film ist noch ein weiteres Lied: "Fußballgebet" von Beatbetrieb. Das hat einen tollen Text, so ein bisschen wie das Vaterunser, aber auf Fußball gemünzt. 

David Kadel und Sven Schipplock

Welches ist denn eigentlich ihre Mannschaft in der Bundesliga? 

Kadel: Das kommt im Film vielleicht ein bisschen durch, als ich mit Kloppo "Im Schatten des Doms" singe - ich bin Anhänger von Mainz 05!

Wie zufrieden sind Sie denn dann mit der zu Ende gegangenen Saison? 

Kadel: Die war für uns absolut sensationell - das erste Mal, dass wir in die Euro-League gekommen sind! Auch wenn es zur Champions-League nicht ganz gereicht hat... 

Und Ihre Prognose für die EM: Wer wird Europameister? Und wie weit kommt Deutschland? 

Kadel: Ich glaube, ein Großer kommt durch - und zwar nicht Spanien, sondern vielleicht Deutschland. Und ein Kleiner wird's schaffen - und das wird Österreich sein. Das Finale wird also Deutschland - Österreich sein, das ist mein Tipp. Und ich glaube, dass Deutschland im Elfmeterschießen 5:4 gewinnt!

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