"Es darf kein zweites Lichtenhagen geben"

Blick auf den Rostocker Stadtteil Lichtenhagen und das sogenannte Sonnenblumenhaus.
Foto: imago/BildFunkMV
Im August 1992 fanden im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen ausländerfeindliche Krawalle statt. Im Mittelpunkt stand dabei das sogenannte Sonnenblumenhaus.
"Es darf kein zweites Lichtenhagen geben"
Gut 20 Jahre ist es her, dass es rechtsradikale Anschläge in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen gab. Menschen starben. Aktuell brennen wieder Gebäude. "Die Situation ist weder gleich noch ganz anders als damals", sagt Experte David Begrich.

"Ich war damals in Lichtenhagen und auch aktuell in Heidenau dabei. Einen Kristallisationspunkt, an dem die Gewalt durchbricht, hat es damals wie heute gegeben", sagt David Begrich. Neo-Nazis hätten in Heidenau gespürt, dass ihnen keine Grenzen gesetzt werden, berichtet der Referent für Rechtsextremismus bei "Miteinander e.V." in Magdeburg. Begrich habe gesehen, wie Polizisten in panischer Angst vor Neo-Nazis geflüchtet sind.

Solche Bilder hätten eine Langzeitwirkung. "Die Reaktionen in der Neo-Nazi-Szene sind seit ein paar Tagen geprägt von unverhohlener Gewaltbereitschaft und Euphorie." Das Selbstbewusstsein der Neo-Nazis wachse. Die Stimmung sei: "Jetzt geht es los."

Da lasse sich schon eine Parallele zu den Ereignissen im August 1992 ziehen, so Begrich. Vier Tage lang zogen sich damals die Übergriffe auf die Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für Vietnamesen im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen hin, welche bis heute zu den schlimmsten fremdenfeindlichen Übergriffen in Deutschland nach dem Krieg gezählt wird.

Rechtsradikale Vorfälle mehrten sich in dieser Zeit. Auch in Mölln in Schleswig-Holstein, so wurde dort als direkte Reaktion auf die Brandanschläge vor Ort der Verein "Miteinander Leben" gegründet. Mark Sauer sagt: "Da bin ich wach geworden." Heute ist er Vorsitzender des Vereins, engagiert sich für das Zusammenleben von deutschen und ausländischen Mitbürgern in seiner Region.

In der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 wurden zwei von türkischen Mitbürgern bewohnte Häuser von jugendlichen Rechtsextremisten angezündet. Bei dieser Tat kamen zwei türkische Mädchen, Yeliz Arslan und Ayse Yilmaz, und eine türkische Frau, Bahide Arslan, ums Leben und viele weitere Menschen wurden verletzt.

Aktuell brennen bundesweit wieder Gebäude, die Flüchtlingen Obdach geben sollen. Dennoch: "Die Qualitätsunterschiede sind sehr deutlich im Vergleich zu vor gut 20 Jahren", sagt Sauer. Der Leitspruch "Das Boot ist voll" sei früher ein gängiger Spruch in der Kommunalpolitik gewesen. Heute sei dies "völlig anders". Dieses Denken sei in der breiten Mitte der Gesellschaft verankert gewesen. Heute gebe es zwar extremistische Gruppen - "doch Heidenau ist eher die Ausnahme".

Berichterstattung ist heute anders

Die Asylgesetzgebung habe sich seit 1992 stark verändert. "Auch wenn es immer noch viel zu kritisieren gibt, die Kommunen bemühen sich schon sehr." Michael Sauer beobachte beispielsweise, dass die Städte versuchten die Flüchtlinge möglichst dezental unterzubringen: "So weit es eben geht, keine Zeltstädte zu errichten."

Auch die mediale Berichterstattung sei heute ganz anders als noch vor 20 Jahren: Heute würde es sofort bundesweit bekannt sein, wenn es zu einem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft komme. Früher hätten maximal die regionalen Medien berichtet. Bevor es vor gut 20 Jahren zu den Anschlägen von Möll, Solingen und Rostock-Lichtenhagen gekommen sei, hätte es im Vorfeld über 500 kleinere Vorfälle gegeben, die aber auch politisch interessierten Menschen wie Sauer damals nicht bekannt gewesen seien.

Und sicher, Sauer befürchtet auch, dass es aktuell nach den Vorfällen in Heidenau zu weiteren gewalttätigen Ausschreitungen kommen und Menschen zu schaden kommen könnten. "Die mediale Besorgnis darüber ist sicherlich berechtigt." Rechtsradikale Bewegungen neigten zu Gewalt. "Das könnte sich noch weiter hochschaukeln."

Mehr ziviles Engagement

Doch mit Freude berichtet Sauer eben auch von zivilgesellschaftlichem Engagement, welches es früher so nicht gegeben habe. Da wäre der 80-Jährige Ladenbesitzer, der sich im Rentenalter dazu berufen fühlt, Flüchtlingen die deutsche Sprache beizubringen. Es gebe Menschen, die ihre Fahrräder spenden oder auf andere Weise aktiv helfen wollen.

"Die Kommunen sagen heute, es fordert uns heraus, aber es überfordert uns nicht", so schätzt der 46-Jährige die Lage ein. Sicher gebe es natürlich auch andere Stimmen, beispielsweise von Bürgermeistern - und je nach Region sähe es in Deutschland natürlich auch sehr unterschiedlich aus. "Es gibt ja Landstriche in Sachsen, in denen die NPD mehr Zulauf hat als anderwo - da ist das zivilgesellschaftliche Engagement, um Flüchtlinge zu unterstützen, natürlich nicht so gegeben wie in Mölln und Umgebung."

Begrich fordert insbesondere für den Raum Sachsen-Anhalt: "Die Zivilgesellschaft muss ein Gegenfeuer zur rassistischen Mobilisierung entfachen." Jetzt sei die Zeit dafür. Willkommens-Initiativen dürften nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Politiker sollten das Engagement von Flüchtlingshelfern mehr würdigen. Kirchenvertreter sollten noch stärker ihre Kompetenz im Umgang mit Flüchtlingen zeigen: "Nächstenliebe leben und so auch handeln."