In Johann Sebastian Bachs Augen schauen

Der Avatar des Komponisten als virtueller Bach mit AR-Brille
Bach-Archiv Leipzig/OVRLAB
Der Avatar des Komponisten als virtueller Bach mit AR-Brille.
Avatar im Bach-Museum in Leipzig
In Johann Sebastian Bachs Augen schauen
Johann Sebastian Bach einmal persönlich begegnen - das wünschen sich vermutlich viele Fans barocker Musik. In Leipzig ist dies jetzt mittels digitaler Technik möglich. Der Avatar des Komponisten soll sogar auf Tournee gehen.

Es knistert und blitzt im beschaulichen Sommersaal des historischen Bosehauses in Leipzig. Aus dem virtuellen Gemälde steigt Johann Sebastian Bach (1685-1750) heraus. Er trägt Perücke und Kleidung wie auf dem bekannten Bach-Porträt von Elias Gottlob Haussmann (1695-1774). Mitten im tatsächlich leeren Raum nimmt der Avatar am virtuellen Cembalo Platz und fängt an zu spielen. Drumherum sitzen 25 Gäste mit Augmented-Reality-Brillen.

Die etwa 700 Gramm schwere Technik sitzt wie eine Mütze auf dem Kopf, der Ton erreicht die Ohren direkt. Tom Micklich vom Leipziger Softwareentwickler OVRLAB sagt, die Ausstattung der AR-Brille kommt der eines modernen Smartphones gleich. "Wir wollten nicht einfach nur ein digitales Abbild schaffen, sondern eine Begegnung mit Bach", sagt er. Das Mixed-Reality-Erlebnis hat am 13. Juni im Rahmen des Leipziger Bachfestes Premiere.

Micklich ist für die technische Umsetzung des Projektes "J.S. Bach live im Konzert - die Wiedergeburt eines Genies in Augmented Reality" verantwortlich. Mit Hilfe von speziellen Handschuhen, Sensoranzügen und Gesichtskameras seien Bewegungen, Mimik und das Cembalospiel in aufwendigen Motion-Capture-Sessions aufgezeichnet worden, sagt der Spezialist. Das Ergebnis sei "ein Moment, in dem sich Geschichte und Gegenwart berühren". Augmented Reality ist ein interaktives Erlebnis, das die reale Welt mit computergenerierten Wahrnehmungsinformationen erweitert. Dabei werden digitale Inhalte in reale Umgebungen und Objekte - in Leipzig in den Sommersaal, wo Bach tatsächlich musiziert haben soll - integriert.

Der Avatar des Komponisten als virtueller Bach am virtuellen Cembalo Platz.

Nutzer und Nutzerinnen tauchen ein in eine unwirkliche Wirklichkeit. Bei dem digitalen Auftritt erzählt der in Eisenach geborene Bach aus seinem Leben in Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Köthen und Leipzig. Dazwischen spielt er Werke seines reichen Schaffens. Der virtuelle Bach spricht thüringischen Dialekt mit ein wenig sächsischer Färbung - so soll es auch in der realen Welt gewesen sein. Die Idee für den musikalischen Avatar hatte Bachfest-Intendant Michael Maul. Er schrieb auch das Drehbuch zum etwa einstündigen Gesprächskonzert, bei dem Bach nicht nur redet, sondern den Gästen auch in die Augen schaut - zumindest scheint es so. Die Fakten und Zitate der Texte seien historisch belegt, sagt Maul.

Entwicklung des Avatars in neuen Monaten

Rund neun Monate hat ein Team verschiedener Professionen an dem modernen Produkt für das Leipziger Bach-Museum gearbeitet. Die Stimme lieh der in Jena geborene Schauspieler Martin Seifert dem Bach-Avatar, körperliche Bewegungen stellte der Experte für barocke Gestik, Nils Niemann, nach und am Cembalo saß schließlich Alexander von Heißen. Er ist Professor für Cembalo an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Eine große Herausforderung sei es gewesen, die verschiedenen Aufnahmen zusammenzubringen, sagt Micklich. Das Ergebnis sei eine Mischung aus Filmproduktion und Computerspiel.

Inhaltliche Grundlage für dieses besondere Konzerterlebnis sind Maul zufolge rund 1.000 Originaldokumente, darunter Briefe und zeitgenössische Berichte. Das Publikum erhalte einen Einblick in Bachs Leben und Werk. Der Komponist war von 1723 bis 1750 Thomaskantor in Leipzig. Künftig soll das einstündige computergenerierte Gesprächskonzert regulärer Bestandteil des Angebotes im Bach-Museum Leipzig sein. Laut Maul verbindet das Projekt Wissenschaft und Unterhaltung. Es spreche sowohl das Fachpublikum als auch Laien an. Einer der Besucher sagt nach dem AR-Konzerterlebnis: "Es ist schön, mit Bach in einem Raum zu sein."

Der Avatar wird auch auf Reisen gehen. "Bach soll die Welt sehen", sagt Maul. Dies sei ihm zu Lebzeiten verwehrt geblieben. "Gastspiele" des Augmented-Reality-Musikers seien unter anderem im südamerikanischen Paraguay, in Kuala Lumpur (Malaysia), Utrecht (Niederlande), Barcelona (Spanien), Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) und New York (USA) geplant. Dafür wurde eine englische Version entwickelt. Das neue Angebot feiert am Freitag, 13. Juni, 10.30 Uhr, im Sommersaal des Bach-Museums Premiere.