Schlagzeilen – und Lappalien

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Spiritus Blog mit Beatrice von Weizsäcker
Geistvoll in die Woche
Schlagzeilen – und Lappalien
Ob Kirche, ob Politik, ob Weltgeschehen: Gott ist in den kleinen Dingen. In meinem Esel Gaudi zum Beispiel

Große Dinge prägen die Schlagzeilen. Der Kirchentag: in kirchlichen Kreisen, bei uns. Die Politik: in unserem Land, vor allem. Der Vatikan: in der ganzen Welt. Kleine Dinge prägen das Herz. Gegenstände. Gesten. Augenblicke und Augen-Blicke. 

Große Dinge können schnell verblassen. Geschwindigkeiten interessieren sie nicht. Alles passiert, wenn es passiert. Ohne Rücksicht darauf, was eben war und nicht vergessen werden sollte und doch vergessen wird, weil gleich das nächste Großereignis folgt. Die fast gescheiterte Kanzlerwahl, zwei Tage später der achtzigste Jahrestag der Befreiung, die Papstwahl am selben Abend, der Tod von Margot Friedländer anderntags. Wer weiß da noch, was gestern war? Schnell verblasst ...

Kleine Dinge, die das Herz prägen, verblassen nicht. Sie bleiben. Für immer.

Ich denke an den Esel, den ich beim Kirchentag fand. Er gehört zum Kinderspiel "Ostern am Kühlschrank". Seither begleitet er mich mit seinem neugierigen, freundlichen Gesicht und den sehr langen Ohren. Ich habe ihn "Gaudi" genannt. Weil er mein Herz berührt und freut.

Ich denke an Schwester Geneviève Jeanningros, die nach dem Tod von Papst Franziskus allein abseits des Sarges stand. Minutenlang. Mit ihrem Rucksack auf dem Rücken. Und mit den Tränen ringend. Während die Würdenträger an ihr vorbeizogen, als sei sie gar nicht da. – Die 81-Jährige war eine Vertraute von Franziskus. Sie kümmert sich um Zirkusleute, Obdachlose und Transgender-Menschen, begleitet sie zu den Generalaudienzen. Sie sagt: Viele haben mir gesagt: Wenn du zum Papst gehst, dann nimm uns mit. So habe ich ihm alle anvertraut. Und man glaubt es ihr sofort.

Ich denke an die abgewetzten Schuhe von Franziskus, die von seinen Wegen zeugen. Durch die Straßen. Und den Schmutz. Zu den Menschen, die ihm wichtig waren.

Und an Papst Leo XIV.. Der scheue Blick nach seiner Wahl, die kleinen Freudentränen, die er immer wieder wegwischte. Die leuchtenden Augen der Menschen aus aller Welt, bis in die Nacht. Auch meine.

Im Vergleich zu den großen Dingen sind das Kleinigkeiten. Aber sie bleiben, weil sich Gott in ihnen offenbart. 

Die indische Autorin Arundhati Roy nannte ihren ersten Roman The God of small things ("Der Gott der kleinen Dinge"). Es ist die Geschichte einer Familie, in der Ammu, eine der Protagonistinnen, Velutha den "Gott der kleinen Dinge" nennt. Wegen der kleinen Geschenke, die er ihr machte. 

Ich glaube nicht, dass es einen Gott der kleinen Dinge gibt, zumal Velutha ein Mensch und kein Gott ist. Ich glaube, dass Gott sich in kleinen Dingen zeigt. In meinem Esel. In den Tränen der Nonne. Im Blick von Papst Leo XIV.. Im Leuchten unserer Augen. Selbst in den löchrigen Schuhen von Franziskus.

Gott ist kein Gott des Esels, der Trauer oder der päpstlichen Schuhe. Gott ist auch nicht scheu. Er ist im Esel, in den Tränen, im Leuchten, in der Scheu. Weil er alles kennt. Er, der als Mensch zu uns kam. Er, der mit uns geht, wohin der Weg auch führt. In die Freude. In den Dreck. Darum ist er sogar in den abgewetzten Schuhen. Die Spuren im Schuhwerk sind auch seine Spuren. 

Gott ist in den kleinen Dinge. Schlagzeilen? Braucht er nicht. Geschwindigkeiten? Irritieren ihn nicht. 

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