Jetzt liegt was dazwischen

Bettina Schlauraff
Weihnachts-Krippe mit Mauer - und Stern.
Geistvoll in die Woche
Jetzt liegt was dazwischen
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.

Irgendwas liegt zwischen Dir und Weihnachten. Eigentlich immer. Unverhohlen zu jubeln erscheint beinahe ein weltvergessener, selbstvergessener Akt zu sein. Denn offensichtlich liegt so manches zwischen Dir und einem fröhlichen Fest.

Die ganz kleinen Mäuerchen, die zwischen Dir und dem Weihnachtsfest liegen, kannst Du meisten ohne Mühe übersteigen: Die Reden am Tisch, der drohende Streit, gefürchtete Geschenke, die Essorgien. Darüber kannst Du. Weihnachten macht das wett.

Anders ist es, wenn eine Krankheit, eine Trennung, eine Trauer zwischen Dir und diesem Fest liegen - fest wie eine Mauer. Oder ein schweres Ereignis, das Deine Gefühle gerade ganz woanders gefangen hält. Darüber kannst Du vielleicht nicht.

Vor einigen Jahren habe ich mir eine kleine geschnitzte Weihnachtskrippe aus Olivenholz gekauft. Sie ist im materialen Sinne sehr schön, aber im Motiv empörend. Noch am Morgen des 20. Dezember zeige ich sie meinem kleinen Enkelsohn, der zu Gast ist. „Was siehst du?“, frage ich. „Na hier ist Jesus“, seine kleinen Finger berühren jede Figur, „und Maria. Und hier ist Josef“. "Tiere sind da auch“, sage ich und er zählt auf: „Ja, ein großes Tier und ein Esel und was ist das?“ „Vielleicht ein kleines Schaf?“ „Ja genau, ein Schaf!“ Damit ist aber nur die Hälfte der Krippe beschrieben. „Was ist das denn?“, fragt er. „Das ist ja komisch, oder?“, antworte ich. „Ja! Wieso ist hier ein Leuchtturm?“, fragt er. „Was siehst Du denn noch?“, frage ich. „Na, die Könige", sagt er. "Mit den Kamelen. Aber“, sagt er recht verzweifelt, „die kommen ja gar nicht zum Jesus!“ „Warum nicht?“ „Irgendjemand hat hier eine Mauer gebaut.“ „Ja, das stimmt“, sage ich. „Das hier ist ein Wachturm und hier geht eine große Mauer lang.“   

Die kleine Holzkrippe entstand zur Zeit, als die Mauer in Jerusalem ausgebaut wurde. Der Künstler hat einen Wachturm und eine hohe Mauer mitten in diese Krippenszene geschnitzt. Die Heilige Familie auf der einen und die drei Weisen auf der anderen Seite. „Und nun?“, frage ich. „Ja, das ist doch blöd“, sagt er, „das muss wieder weg“. 

Viele Jahre schon steht diese Krippe in meiner Wohnung. In diesem Jahr halte ich sie kaum aus. Weil die Weihnachtsszene darauf so zerfällt. Gleichzeitig weiß ich: Menschen geht es genau so - aus ganz verschiedenen Gründen. Da ist eine Mauer zwischen dem, was Weihnachten sagen will, zwischen dem Licht, das die Welt ergreifen soll und denen, die es sehen sollen. 

Als ich es gestern nicht mehr aushielt, klebte ich einen kleinen Papierstern direkt darüber. Einfach oben an die Tapete. Weit über der Mauer. Gut zu sehen. Auch von weitem. Auch von hinter der Mauer. Damit kann ich es jetzt besser aushalten. Die Mauer bleibt erstmal. Manche kommen nicht ran. Aber das Licht. Das kommt ran. 

Da wo uns innere, äußere Mauern, Krieg und Not, Anschläge und Krankheiten, Verzweiflung und Trauer aufhalten und abhalten, Weihnachten feiern zu können und wieder hoffen zu können oder zu wollen, wird es Lichtspuren geben. Irgendwo. Ganz weit oben oder unten. Oder innen. Vermutlich sehr winzig. Aber Lichtspuren. Denn das Licht der Welt ist nicht mehr wegzunehmen aus dieser Welt. 

#challenge: Klebe Sterne wohin Du willst. Für Dich und andere. 

Weitere Blogeinträge

weitere Blogs

Gemälde von traurigem Gesicht mit Heiligenschein
"Weihnachten, das Fest der Liebe? Nicht für alle. Für queere Menschen wird es oft zum Balanceakt zwischen Verstellung und Sehnsucht: Lächeln, obwohl die Familie das Outing ignoriert. Schweigen, um den Frieden nicht zu sprengen. Oder ganz allein feiern. Doch was, wenn wir die Traurigkeit einfach zulassen?
Seit mehr als einem Jahr wird in Kampen ununterbrochen Gottesdienst gefeiert – um eine Familie zu beschützen.
Regenbogen Gemälde
Ein kleiner Text aus queerer Perspektive zum Jahrestag der Menschenrechte