Die Zeitumstellung ist Handarbeit

Turmuhrenmuseum in Bockenem
epd-bild/Jens Schulze
Im Turmuhren-Museum Turmuhren-Museum in Bockenem bei Hildesheim bestimmen Zahnräder und Pendel die Zeit.
Besuch im Turmuhren-Museum
Die Zeitumstellung ist Handarbeit
Wenn die Uhr zur Winterzeit zurückgedreht wird, beginnt für Günther Haars die eigentliche Arbeit. Der Rentner hält im Turmuhren-Museum die Zeit am Laufen - zwischen präziser Mechanik, Geschichte und dem leisen Ticken vergangener Jahrhunderte.

Günther Haars schraubt große Zahnräder ab, eine Glocke scheppert unaufhörlich, und die Zeiger am riesigen Ziffernblatt rasen zurück: Wenn Haars wie am 26. Oktober die Uhr auf Winterzeit umstellen will, ist das ein größeres Projekt. Der 70 Jahre alte, pensionierte Elektrotechniker leitet zusammen mit seiner Frau ehrenamtlich das Turmuhren-Museum in Bockenem bei Hildesheim, in dem sich mehr als 60 mechanische Uhren überwiegend aus der ehemaligen, einst weltbekannten Weule-Fabrik befinden.

Mit routinierten Handgriffen dreht Haars die Räder so, dass die Zeit wieder stimmt. Bei 16 Zahnrädern, die an genauen Punkten ineinanderfassen müssen, ist das schon eine Herausforderung. Schließlich schlägt das Pendel wieder im ruhigen Sekundentakt hin und her. Vor ein paar Jahren fragte Haars, ob er im sogenannten "Museum der Zeit" mithelfen könne. "Seitdem bin ich hier irgendwie hängen geblieben", erzählt er schmunzelnd.

Seine Frau Doris Haars hat für das Museum zur Geschichte der Fabrikanten-Familie Weule geforscht. Ab dem Jahr 1848 lieferte das Unternehmen die in Bockenem gebauten Uhrwerke im Baukasten-System in alle Welt aus. In 110 Jahren Firmengeschichte wurden insgesamt rund 18.000 Turmuhren gefertigt. Firmengründer Johann Friedrich Weule (1811-1897) habe großen Wert auf Qualität gelegt, sagt die 67-Jährige. Die frühere kaufmännische Angestellte erzählt: "Die Weule-Uhr galt als Mercedes unter den Uhren und die Firma gab aus diesen Gründen auch eine Garantie von bis zu 20 Jahren."

Der 70-jährige pensionierte Elektrotechniker Günther Haars leitet zusammen mit seiner Frau Doris ehrenamtlich das Turmuhren-Museum in Bockenem bei Hildesheim

Während Günther Haars in den Räumen eines historischen Fachwerkhauses die unterschiedlichen Uhren aus vier Jahrhunderten zeigt, wird deutlich: die genaue Zeitangabe an Türmen von Kirchen, Schulen oder Rathäusern einzustellen, war aufwendig. Zunächst mussten die Gewichte der Uhrwerke oben im Turm jeden Tag aufgezogen werden. "Das änderte sich, als Weule im Jahr 1858 dann erstmals die Acht-Tage-Uhr baute", sagt Haars und deutet auf ein Uhrwerk, das schulterhoch vor ihm steht: Dieses verfügt sogar über ein Betglockenwerk, das morgens, mittags und abends jeweils neun Mal läutete, um an die neun Fürbitten des Vaterunsers zu erinnern.

"Ob Uhrwerke zum Einsatz kamen, die mehr als nur zur vollen Stunde schlugen, hing oft vom Geldbeutel der jeweiligen Gemeinde ab" 

Den 70-Jährigen lässt die Faszination für die komplizierten Uhrwerke auch im Privatleben nicht zur Ruhe kommen. In der örtlichen Kirchengemeinde hat er den Ehrgeiz, dass die Zeit der Turmuhr nicht mehr als 30 Sekunden abweicht. Dafür steigt er alle zwei Wochen auf den Kirchturm und justiert eine Schraube, die das Pendel länger oder kürzer werden lässt. "Die Pendellänge, nicht das Gewicht, entscheidet über die Zeitangabe", sagt er und deutet dabei auf ein Pendel mit dem Buchstaben W und einer Eule, dem Firmenwappen von Weule.

Für die Zeitumstellung auf die Winterzeit klettert der Rentner jedoch nicht nachts auf den Turm. Morgens um 8.10 Uhr sei ein idealer Zeitpunkt, um die Zeit genau zu stellen, sagt er. Zur vollen Stunde kann das Uhrwerk sich leicht um eine ganze Stunde verschieben. Im Museum ist inzwischen bei einigen Uhren das von Haars hochgezogene Gewicht zum Boden gewandert und die Uhren stoppen. "Da sieht man, wie schnell die Zeit vergeht", sagt er mit einem Augenzwinkern. Im Kirchturm legt das Gewicht üblicherweise eine längere Strecke zurück.

Zur Zeitumstellung Ende Oktober stellt Haars daher auch nur zwei Uhren im Museum um. Eine davon ist die sogenannte Bahnhofsuhr. Über Zahnräder im 90-Grad-Winkel ist die Standuhr aus Holz mit einer Uhr an der Außenwand des Museums verbunden. Neben der Uhr suggeriert eine Figur eines Bahnhofswärters den Eindruck seiner Amtsstube. Insgesamt beherbergt die Einrichtung, die nur am Wochenende geöffnet ist, rund 1.000 Exponate.

Das Ehepaar Haars betreibt das städtische Museum, das durch eine Stiftung eines Ururenkels des Firmengründers unterstützt wird, nur mit einer weiteren Bekannten zusammen. Ehrenamtliche, die Interesse an der Geschichte der Turmuhren haben, seien daher immer willkommen. "Und zuverlässig sollten sie sein, wie die Uhren", beschreibt Haars - wieder mit etwas Humor in der Stimme - die Anforderungen an zukünftige Helfer.