Bilderverbot als Befreiung!

Bilderverbot als Befreiung!
Gemälde von einem nackten Frauenoberkörper mit Zigarette in der Hand.
Tash Hilterscheid
Das zweite Gebot handelt von dem sogenannten Bilderverbot. Demnach ist es verboten, sich ein Bild von G*tt zu machen. Doch dieses Gebot bezieht sich nicht allein auf G*tt, sondern auch auf den Menschen.

"Du sollst dir kein Bildnis machen!" So steht es im 2. Buch Mose im 20. Kapitel. Wörtlich lesen wir da: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist."

 

Doch wie soll das funktionieren? Wir machen uns doch ständig Bilder von dem, was wir erleben und was uns begegnet. Hin und wieder sogar von Dingen und Personen, die wir selbst nie erlebt haben. Und natürlich auch von G*tt. Selbst die biblischen Überlieferungen sind voll von Bildern, die G*tt beschreiben wollen.

Und dennoch hat die Warnung vor dem Bild einen guten und richtigen Kern! Denn hinter dem Bilderverbot steht die Einsicht, das G*tt etwas Unverfügbares an sich hat. Etwas, dass sich unserem Verstand und unserer unmittelbaren Erfahrung entzieht, und das wir deshalb auch nicht mit einem einzigen Bild erfassen können. Denn es wird nie reichen, nie treffend, nie genau und richtig sein, sondern immer nur ein Versuch und ein Aspekt von unzähligen.

Es geht also nicht darum, dass wir uns kein Bild von G*tt machen dürfen, sondern darum, dass wir kein G*ttesbild absolut setzen sollten. "Du sollst dir nicht ein Bildnis machen" heißt letztlich "Du sollst dir viele Bilder machen!" Wir sind eingeladen, uns bewegte und bewegende Bilder von G*tt zu machen. Aus Liebe und Respekt!

Der Mensch soll gefälligst unserer Vorstellung entsprechen

Nun gilt das sogenannte Bilderverbot ebenso für Menschen. Das heißt, wir sind auch angehalten, uns nicht vorschnell Bilder von uns oder anderen zu machen. Und meines Erachtens gelingt uns mindestens genauso schlecht, wie in unserer Beziehung zu G*tt. Dabei sind auch hier die Bilder bzw. Vorstellungen an sich nicht das Problem, sondern die Starrheit dieser Bilder und das Festhalten daran. Oft sind diese Bilder scheinbar wichtiger, als die Personen selber. Sie sind gespeist aus gesellschaftlichen Normen und Erwartungen und fungieren als eine Art Ordnungssystem. Und, wer da nicht rein passt, muss sich anpassen. Nicht die Bilder müssen weichen, sondern der Mensch. Schließlich soll er unseren Vorstellungen entsprechen.

Gesellschaftliche Normen besitzen eine erstaunliche Trägheit. Denn obwohl wir wissen, dass bestimmte Kategorien unzulänglich sind, nutzen wir sie weiter. So gibt es beispielsweise immer noch die Vorstellung, dass Frauen von Natur aus fürsorglich und Männer besonders praktisch veranlagt sind. Und jede Erfahrung, die dieser Vorstellung widerspricht, wird als Abweichung verbucht. Die Geschlechterstereotypen bleiben bestehen und alles, was sich dazwischen bewegt, ist seltsam anders. Und selbst wenn wir mal gehört haben, dass es auch im Tierreich mehr als nur zwei Geschlechter gibt, ändern wir unsere Vorstellung von der Binarität der Geschlechter nicht. Auf diese Weise begegnen wir Menschen oft mit Zuschreibungen, die wir machen, ohne sie zu überprüfen.

Wenn die Bilder wichtiger als die Menschen selbst sind

Aber was passiert, wenn wir einem Menschen begegnen, der unserem Bild nicht entspricht? Wir lesen beispielsweise einen Menschen als weiblich, aber die Person selbst beschreibt sich als männlich oder nichtbinär. Lassen wir uns kränken von der Erfahrung, es nicht gewusst zu haben? Erwarten wir von der Person, dass sie sich an unser Bild anpasst? Oder lassen wir uns auf die Erfahrung ein, dass unser Bild unzulänglich, ja sogar falsch war? Und öffnen wir uns für Perspektiven, die uns vorher wohlmöglich nicht vertraut waren. Ich glaube, genau an der Stelle entscheidet sich, wie wir grundsätzlich miteinander leben wollen. 

Queere Menschen entsprechen nicht der Heteronorm. Das bedeutet, sie wachsen meist mit Bildern auf, die ihnen nicht entsprechen. Und sie kennen es nur zu gut, das Menschen sich von ihnen ein Bild machen, das nichts mit ihrem Selbstempfinden zu tun hat. Die heteronormativen Bilder werden über die Menschen stellt: 

Intergeschlechtliche Säuglinge werden noch immer ohne medizinische Notwendigkeit an vorhandene binäre Bilder angepasst. Wenn eine männlich gelesene Person in der Öffentlichkeit ein Kleid trägt, besteht die Gefahr, dass sie beschimpft oder sogar geschlagen wird. Einfach, weil sie nicht dem Bild eines Mannes entspricht. Homosexuelle Jugendliche trauen sich nicht, ihren Eltern zu sagen, dass sie sich ein falsches Bild von ihnen gemacht haben. Ich selbst hab mich viel zu lange als Frau lesen und ansprechen lassen, obwohl ich längst wusste, dass das nicht meinem Empfinden entspricht. Ich habe mich einem fremden Bild, einer Zuschreibung, gebeugt.

Befreiung von Schubladen und Zuschreibungen

So gesehen kann das Bilderverbot als eine Befreiung von Schubladen und Bildern verstanden werden, die Lebendigkeit zulässt und würdigt! Erst wenn wir die starren Bilder hinter uns lassen, können wir uns selbst und andere wirklich kennenlernen. Statt Menschen mit Zuschreibungen zu begegnen, sollte uns immer bewusst sein, dass wir zunächst einmal nichts voneinander wissen! Und das ist ja eigentlich das Spannende! Wir sollten erst Fragen stellen, bevor wir sie selbst beantworten und anfangen, uns Bilder voneinander zu machen. Und das betrifft übrigens auch uns selbst. Es lohnt sich, bestimmte Fragen immer mal wieder neu zu stellen. Denn die Antworten und Bilder können sich immer mal wieder verändern. G*tt sei Dank!

Zum Abschluss möchte ich einen Text teilen, den ich mal bei einem "Poetryslam gegen Rechts" gesprochen habe. Es geht um meine Erfahrung damit, dass mir heteronormative Bilder zugewiesen werden, die mir als nichtbinärer trans* Person nicht entsprechen. Von daher geht es auch hier um das Bilderverbot als queere Befreiung. Und zugleich wird deutlich, dass die Befreiung uns allen gilt!

Ihr sperrt mich in eure Bilder ein

Und meistens sind sie mir zu klein

Was nicht passt wird passend gemacht

Und oft hab ich dann den Verdacht
 

Dass ihr das kennt und selbst dran leidet

Nur dass ihr den Widerstand meidet

Weil ihr euch fürchtet aufzufallen

Weil sich sonst die Fäuste ballen

 

Von denen die scheinbar besser passen

Deshalb wollt ihr es lieber lassen

Und lasst euch einsperren in die Bilder

Denn reden ist bekanntlich Silber

 

Und ihr wollt Gold und schweigt dann lieber

Und zeigt auf andere wieder und wieder

Schürt Angst davor ganz selbst zu sein

Und ich möchte aufstehen und laut schreien

 

Wir sind lebendig solang wir leben

Da reicht kein Bild so ist das eben

Es braucht ganz viele Bilder oder keines

Denn Lebendigkeit ist echt was feines

 

Denn wir lernen, wachsen, werden

Und das solange bis wir sterben

bis dahin bin ich nicht festgeschrieben

Sondern befreit mich selbst zu lieben

 

Und nicht die Vorstellungen und Bilder

Wie ich zu sein hab, sondern wilder

Frei so zu lieben und zu leben

Wie’s mir entspricht - was für ein Segen !


 

weitere Blogs

... wie es ist in Kriegszeiten zu leben
Detail des Motorrads für Papst Leo XIV.
Die „Jesus Biker“ bringen eine ganz besondere Maschine nach Rom – für einen guten Zweck.
Viele kleine Kirchenschluessel liegen auf einem Tuch.
Eine Gemeinde in den Niederlanden praktiziert eine besondere vertrauensbildende Maßnahme.