Queeres Miteinander nach Corona

MLC/Wolfgang Schürger
Blog kreuz & queer
Queeres Miteinander nach Corona
Wie hat die Pandemie das soziale Miteinander in der queeren Community verändert? Gedanken von Wolfgang Schürger.

„Endlich mal wieder Bauch, Beine, Po!“, das war die Reaktion einer Kollegin auf die Perspektive, die nächste Sitzung wieder in Präsenz durchzuführen. Wir sind, selbst im professionellen Umfeld, „kachelmüde“ geworden in der Pandemie. Und nicht nur das: auch Sozialkontakte haben gelitten – gerade auch in der queeren Community, in der enge Beziehungen nun einmal oft nicht in einer häuslichen Gemeinschaft leben oder durch Generationenfolge bestimmt sind.

In Bayern durften am letzten Wochenende erstmals wieder Clubs, Discos und Bordelle ihre Türen öffnen – mit einem verschärften 3G (Getestete nur mit PCR Test). Viele Betreiber:innen waren von dem Beschluss zur Öffnung überrascht, die geöffneten Clubs etc. aber erlebten einen Ansturm von Feierwilligen. „Bauch, Beine, Po“ also auch wieder auf der Tanzfläche oder im Sling.

In anderen Bundesländern sind Clubs und Discos schon länger wieder geöffnet, Queergottesdienste konnten auch in Bayern unter den üblichen Corona-Beschränkungen stattfinden. Doch auch hier war das vertraute Socializing nach dem Gottesdienst natürlich auf ein Minimum begrenzt.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, in der Pandemie haben wir erfahren, dass dieses Wort aus Gen 2,18 eine Wahrheit ausdrückt, die weit über das Miteinander einer Lebenspartnerschaft hinausgeht. Single-Freunde von mir haben extrem unter den Monaten der Pandemie und des Lockdowns gelitten, manche von ihnen haben sich regelmäßig zu einem „Kleinfamilientreffen“ zusammengefunden (was in manchen Phasen des Lockdowns natürlich nicht ganz konform mit der Coronaverordnung war).

In München waren es Institutionen wie der Fetischclub MLC (Münchner Löwen Club), der zu seinen Mitgliedern über die Monate hinweg engen Kontakt gehalten hat. In dem Club hat die „Sozialbetreuung“ der Mitglieder eine lange Tradition – entstanden ist sie in der Zeit der HIV-Krise Anfang der 1980er Jahre, als infizierte Menschen zwar nicht in den Lockdown geschickt, aber doch sehr häufig sozial isoliert wurden (und oft wirtschaftlich kaum abgesichert waren, wenn sie aufgrund des Virus arbeitsunfähig wurden). Video-Stammtische und (nach den Lockdowns) ein breites Ausflugsprogramm trugen dazu bei, die Gemeinschaft der Fetisch-Community zu erhalten, auch wenn Fetisch-Parties nicht möglich waren. Aber auch resident DJs fanden Formen, um mit ihrer „Gemeinde“ weiterhin in Kontakt zu bleiben, und boten zum Beispiel regelmäßige Streams auf den verschiedenen Videokanälen an. So mancher Smalltalk, der sonst auf der Tanzfläche geschieht, konnte auch über die Kommentar- und Chatfunktion der Plattformen stattfinden.

Viele Institutionen der queeren Community hatten schon vor der Pandemie mit dem wirtschaftlichen Überleben zu kämpfen: Dates finden viele heute über Kacheln (bzw. die entsprechenden Dating-Plattformen) und nicht im Gewusel auf der Tanzfläche, Essen gehen kann man auch mit Partner:in desselben Geschlechts in fast jedem Lokal, ohne Diskriminierung befürchten zu müssen. Mir hat die Pandemie aber deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, einen Sozialraum zu haben, in dem die Belange und ja, auch die besonderen Nöte und Sensibilitäten queerer Lebensformen wahrgenommen werden. Dazu gehören Vereine wie der MLC, aber eben auch Kneipen und andere Orte der Begegnung. Gut, dass sie jetzt wieder öffnen können! Und gut, wenn wir sie jetzt auch wieder als Orte queerer Begegnung nutzen!

„Bauch, Beine, Po“ können wieder ausgeführt und in Bewegung gebracht werden – ist damit alles gut? Es bleibt abzuwarten: Auch in der queeren Community gibt es Menschen, die Impfungen skeptisch gegenüberstehen oder aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Was passiert mit ihnen, wenn das verschärfte 3G an all diesen Orten der Begegnung zum Tragen kommt? Auch für Gottesdienste ist das „normale“ 3G in vielen Kirchen übrigens in der Diskussion. Ein PCR-Test ist teuer, nicht jede:r wird ihn sich leisten können. Ich gebe zu, dass manche Diskussion mit Impfskeptiker:innen schwierig ist – aber grenzen wir sie aus, belassen sie in der Querdenken-Blase? Und wenn bei jemandem eben tatsächlich gesundheitliche Gründe gegen eine Impfung sprechen…? „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, das gilt auch für diese Menschen, die nun vielleicht von Neuem in die Isolation geraten könnten. Lasst uns achtsam bleiben im Umgang miteinander!

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