Zeichen setzen für Vielfalt und Gleichberechtigung

Zeichen setzen für Vielfalt und Gleichberechtigung
Wolfgang Schürger
Vielfalt und queere Gleichberechtigung sind in Europa nach wie vor nicht selbstverständlich - und oft sind es auch religiöse Kräfte, die bewusst Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit schüren. Zeit, Zeichen zu setzen und vielfältig Flagge zu zeigen!

Auf die gewohnten, großen und bunten Pride-Paraden wird die queere Community in Deutschland auch in diesem Jahr an den meisten Orten noch einmal verzichten müssen - Veranstaltungen wie in Karsruhe, wovon Matthias Albrecht an dieser Stelle in der letzten Woche berichtete, werden eher die Ausnahmen sein. Doch wir werden sichtbar sein in diesen Pride-Wochen - die Kreativität der Veranstalter*innen und der beteiligten Gruppen ist groß! In München zum Beispiel wird es viele dezentrale Veranstaltungen geben - und bereits heute, fast auf den Tag genau 52 Jahre nach dem Stonewall-Aufstand, ein Regenbogenfahnen-Meer rund um die Fußball-Arena.

Wie selbstverständlich queere Vielfalt in deutschen Städten heute ist, das hat der Münchner Stadtratsbeschluss der letzten Woche deutlich gemacht: Eine breite Mehrheit des Rates hatte den Oberbürgermeister aufgefordert, sich bei der UEFA dafür stark zu machen, die Fußball-Arena anlässlich des Spiels Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben leuchten zu lassen. Als Bekenntnis zu Vielfalt, Weltoffenheit und queeren Menschenrechten - welche durch die ungarische Regierung immer mehr in Frage gestellt werden. Die ablehnende Entscheidung der UEFA wurde nicht nur von einem sichtlich betroffenene Oberbürgermeister verständnislos entgegengenommen, sondern auch von dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der im Tagesschau-Interview betonte, dass Vielfalt und Toleranz zu den Grundwerten der europäischen Union gehörten und die Regenbogen-Illumination also kein parteipolitisches, sondern ein pro-europäisches Statement sei, das der UEFA gut anstünde (hier ein Überblick über die Reaktionen).

Auch in Ungarn wird es in diesen Tagen deutlichen Protest gegen die heteronormativen Pläne der Regierung geben: Nach langem Bangen kann der Budapest-Pride am kommenden Samstag als kraftvolle Parade stattfinden. "Kommt und lasst uns unsere Zukunft zurück fordern!" rufen die Veranstalter*innen in ihrer Einladung. "Mehr denn je zuvor müssen wir zeigen, dass wir keine Angst haben und nicht aufgeben werden!"

Warschauer Bürger*innen haben angeführt von ihrem Oberbürgermeister schon am vergangenen Wochenende zusammen mit der queeren Community ein starkes Zeichen gegen die Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit der rechtskonservativen PIS-Regierung gesetzt. Präsident Andrzej Duda hatte erst im letzten Jahr behauptet, queere Diversität sei eine schlimmere Ideologie als der Kommunismus. Auf Betreiben der PIS sowie großer Teile der römisch-katholischen Kirche haben sich seitdem eine Reihe von polnischen Kommunen zur "queer-freien" Zone erklärt.

Die religiös begründete Hetze gegen Queers in Polen hat dabei vor wenigen Monaten einen deutlichen juristischen Dämpfer erhalten: Vor dem Bezirksgericht Plock waren mehrere Aktivistinnen angeklagt, weil sie vor der katholischen Kirche Bilder der berühmten und in Polen hoch verehrten schwarzen Madonna mit Regenbogen-Nimbus verteilt hatten. Der örtliche Priester hatte Anzeige wegen Verunglimpung der Religion erstattet - nachdem er selbst vorher auf einer Installation in der Kirche vor Queers und Gender-Ideologie als Ausgeburt der Sünde gewarnt hatte. Die Richterin selbst erteilte ihm in ihrer Urteilsbegründung eine Lektion in Bibelkunde und Theologie: ""In keinem diesem Gericht bekannten Bibeleintrag oder Katechismus der katholischen Kirche findet sich ein Hinweis, dass nicht heteronormative Menschen aus der Kirche auszuschließen seien. Im Gegenteil. Die Botschaft des Neuen Testaments ist die von Nächstenliebe, Glaube, Hoffnung und Liebe. Diese positiven, in der europäischen Kultur verankerten Werte sind die Grundlage unserer Moral. Liebe, Verständnis und gegenseitige Achtung sind der richtige Weg." (Quelle: tagesschau.de).

Mich erinnert dieser Urteilsspruch an die schwierige Geschichte der Kirchen und der Menschenrechte: Zwar ist die Bibel voll von Geschichten der Nächstenliebe, Gleichheit und Geschwisterlichkeit, aber es bedurfte der Philosophie der Aufklärung, damit diese Werte in der Unabhängigkeitserklärung der USA (1776) und in der allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung (1789) ihren konkreten Ausdruck fanden - gegen zum Teil erbitterten kirchlichen Widerstand. Gut, dass auch heute säkulare Institutionen wie das Bezirksgericht in Plock Kirchen an dieses grundlegende Gebot der Nächstenliebe erinnern. Und gut, dass wir in Deutschland so viele Ausdrucksformen unserer Vielfalt haben - auch in vielen Kirchen und Kirchengemeinden. Doch nehmen wir es nicht für selbstverständlich, zeigen wir Flagge gegen Diskriminierung und Intoleranz in diesen Tagen!

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