Fasten? Wie lange denn noch?

Fasten? Wie lange denn noch?
Foto zeigt Eisschollen, die auf Fluss treiben, im Wasser spiegelt sich Tageslicht.
Foto: Rainer Hörmann
Noch nicht ganz befreit vom Eis sind Strom und Bäche
Aschermittwoch. Schluss mit lustig ist schon lange. Nun noch sieben weitere Wochen? Eine Anregung, den Verzicht nicht zu vergessen, wenn dann mal alles vorbei ist.

Es ist schon seltsam, dass man beim Wort "Fastenzeit" plötzlich gar nicht mehr so genau weiß, ob es die blumige Umschreibung der nächsten Shutdown-Verlängerung ist oder eine Einladung zum Verzicht, um dadurch sich selbst bewusster zu werden, bewusster zu leben, eventuell sogar bewusster zu glauben.

In gewisser Weise hatten wir dazu die letzten Monate Zeit genug, allein es fehlte das religiöse Setting, das Ritualhafte, das Moment einer Schwellenzeit, die zu Ostern führt, mit der dem Fest eigenen Bedeutung und Metaphorik. Wobei auch diese auf eigenartige Weise von Politik und Pandemiebekämpfung vereinnahmt wurde. Wie schon zu Ende des letzten Jahres Weihnachten als Zäsur und Zielbestimmung herhalten musste, ist Ostern zum neuerlichen Fixpunkt der Polarisierung geworden: Lockerung vs. Reisen-geht-gar-nicht. Aber noch ist es nicht soweit. Heute ist Aschermittwoch und die vierzig Tage stehen erst noch an.

Fürs klassische Fasten spricht wahrscheinlich bei nicht wenigen Menschen der Blick in den Spiegel. Vom Blick auf die Waage gar nicht zu reden. Es gab einfach zu viel Bedarf an Seelentröstung und nicht alle von uns wollten sich da ausschließlich auf die Bibel, sondern sicherheitshalber auch auf den Becher Peanutbutter-Eis oder andere klitzekleine Süßigkeiten verlassen.

Sehr viele Menschen werden den Gedanken an Verzicht möglicherweise in diesem Jahr zynisch finden. Wer seiner Arbeitsmöglichkeiten beraubt ist, wer steigende Kosten mit geringem Gehalt bestreiten muss, wird Fasten als Luxusproblem wohlhabender Schichten wahrnehmen. Wer - und sei es in der stets perfekten Regenbogenfamilie - mit Home Office und nörgelnden Kindern zugleich zurechtkommen muss, fällt abends wahrscheinlich erschöpft ins Bett und verzichtet großzügig auf fünf Minuten spiritueller Andacht über das Thema Verzicht.

Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche schlägt "Spielraum – Sieben Wochen ohne Blockaden" als Motto vor. Es ist ein Versuch, den Fokus auf Handlungsmöglichkeiten trotz aller widrigen Umstände zu lenken. "Es bedeutet vor allem, kleine Fluchten und große Freiheiten für sich zu entdecken. Wo und wie kann ich mich neu und anders als bisher entfalten?", formuliert es Susanne Breit-Keßler, Kuratoriumsvorsitzende der Aktion, im Interview.

"Spielraum" könnte bedeuten, sich zumindest gedanklich Anderes zu erlauben. Für queere / trans Menschen ist die Schließung vieler Begegnungsmöglichkeiten der LGBTIQ-Community eine große Herausforderung. Wer in beengten Verhältnissen und unter diskriminierenden Bedingungen leben muss, braucht sie als Flucht, braucht "sichere" Räume, in denen wir so sein können, wie wir sind – ohne Angst, ohne Scham. (Dazu können und sollten auch Kirchenräume zählen!) Der Zugang zu medizinischer, psychologischer Beratung ist erschwert, die Gemeinsamkeit in etwas so Alltäglichem wie dem queeren Sportverein über vereinzelte Online-Angebote hinaus nicht möglich. Vielleicht sind die nächsten Wochen eine gute Zeit, sich das erzwungene Fasten nochmals bewusst zu machen, auch all die damit verbundenen Gefühle zuzulassen, nicht zu verdrängen. Schauen was geht. Und wenn auf Distanz / räumlich gerade nichts geht, dann geht vielleicht gedanklich eine Bewegung. Was wäre wenn? Was könnte sein? Welche Personen, welche Aktivitäten helfen mir heute schon, durch diese Zeit zu kommen? Welche Bar war mir wichtig, weil ich vom Personal freundlich begrüßt wurde, und welche anonym ablaufende Veranstaltung kann ich mir getrost künftig schenken? Was macht mir Mut? Welche Hilfsangebote gibt es? Welche guten, positiven Erfahrungen habe ich in den letzten Wochen gemacht, die ich auch nach Ende der Pandemie weiterführen möchte, weil sie mir gut getan haben? Vielleicht bin ich in der Online-Welt, in digitalen Medien Menschen begegnet, die ich unbedingt real und in echt treffen möchte, wenn all die jetzigen Beschränkungen vorüber sind. Vielleicht hat ja manche, mancher auch Sehnsucht nach Spiritualität gespürt und möchte ihr weiter nachspüren. Welche christlichen LGBTIQ-Gruppen gibt es? Möchte ich mich stärker einbringen?

Es wäre eine Bereicherung, wenn all das, was wir jetzt schmerzlich als Verzicht erfahren, in einigen Monaten nicht wieder als Selbstverständlichkeit allzu achtlos konsumiert wird. Als wichtige Erfahrung – als Erkundung von "Spielraum" innerhalb von Begrenzungen, als Neu-Bewertung – könnte "was uns wirklich gefehlt hat" einfließen in die Diskussion, in welchen Räumen wir uns künftig, nach der Pandemie, gemeinsam bewusster bewegen wollen.

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