Alles unterm Regenbogen

Alles unterm Regenbogen
Foto: Katharina Payk
Dass es nach wie vor wichtig ist, schwule, lesbische und bisexuelle Identitäten zu unterstützen, zeigt nicht nur die anhaltende Diskriminierung und Gewalt gegen homo- und bisexuellen Menschen. Warum aber könnte es auch wichtig sein, andere queere Lebens- und Liebensweisen sichtbar zu machen?

Die Regenbogenfahne, die in vielen Kulturen und Bewegungen als Symbol von Akzeptanz, Vielfalt und Frieden gilt, stand auch schon in der Geschichte der evangelischen Theologie für Befreiung aus ökonomischer und sozialer Unterdrückung und Ungerechtigkeit. So wählte der protestantische Theologe Thomas Müntzer, der zur Zeit der Bauernaufstände im 16. Jahrhundert für eine gerechtere Gesellschaftsordnung kämpfte, den Regenbogen als Zeichen der Verbindung zwischen den Menschen und Gott.

Den Regenbogen besang auch einst die Schwulenikone Judy Garland in ihrem Hit "Over the Rainbow", wo sie ein Land phantasiert, das einem schönen Traum gleicht und in dem Freiheit und Gerechtigkeit herrschen. Vielleicht war das Lied, das die erfolgreiche Schauspielerin Garland auch im Filmklassiker "Der Zauberer von Oz" sang, eine Inspiration dafür, die Regenbogenfahne seit den Stonewall-Aufständen[1] mit der Lesben- und Schwulenbewegung zu assoziieren, mit dem Kampf für die Befreiung aus Unterdrückung und Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, ebenso wie Transgender und anderen Menschen, die sich als queer bezeichnen.

Queer ist mehr als nur LGB/LSB[2]. Unter dem Regenbogen versammeln sich alle Menschen, deren Sexualität und Liebe und/oder Geschlecht(-sidentität) marginalisiert sind. Wer queer ist, bestimmt allerdings jede_r für sich selbst. Queer beinhaltet neben schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen auch Transmenschen – etwa Transgender oder Transsexuelle – und intersexuelle Menschen sowie asexuell Fühlende. Auch Menschen aller sexuellen Orientierungen, die ungewöhnlichere Beziehungsmodelle oder Sexualpraktiken leben, können dazu zählen. Das sind beispielsweise Menschen in offenen Beziehungen sowie polyamore Menschen – Menschen, die mehrere Menschen lieben und mit mehreren Menschen Beziehungen leben – oder Menschen, die BDSM praktizieren und leben. BDSM ist eine Erweiterung des Akronyms SM ("Sado/Maso") und steht für "Bondage & Disziplinierung, Dominanz & Submission, Sadismus & Masochismus". Polyamore Menschen oder BDSMler_innen erleben oft ähnliche Ausgrenzungen wie LGBTs: Sie verheimlichen ihre Lebensweise oder Sexualität, fühlen sich oftmals gezwungen, ihre Partner_innen zu verstecken und können in "Normalo-Kreisen" nicht über ihre Beziehungen und erotischen Begegnungen sprechen. Viele kommen erst spät in ihrem Leben "raus aus dem Schrank"[3].

Dabei haben diese von der Norm abweichenden Liebes- und Sexualitätskonzepte genau wie homosexuelle Identitäten ein großes gesellschaftspolitisches Potenzial. Sie zeigen mutig und widerstreitend, dass das Beziehungsideal einer romantischen Mann-Frau-Zweierbeziehung, die auf ewig halten soll, mächtig in die Jahre gekommen ist. Sicher – viele Menschen sind glücklich in diesem Modell, das ihnen Sicherheit und Halt gibt. Viele andere aber nicht. Sie wünschen sich andere oder weitere (Sexual-)Partner_innen oder neue erotische Herausforderungen. In vielen "stinknormalen" Zweierbeziehungen werden BDSM-Anteile gelebt oder zumindest phantasiert: Das kann vom kleinen Fesselspiel bis hin zur unterschiedlichen Verteilung von z.B. dominanteren/devoteren Anteilen der (Sexual-)Partner_innen gehen. Trotzdem wird BDSM-Sexualität noch immer vielfach geächtet und als pervers verurteilt.

Ähnlich schief angeschaut werden auch Menschen in Poly-Beziehungen. Obwohl polyamore Menschen einfach nur ihre Liebe zu mehreren Menschen leben und dabei unkonventionellerweise auch oft mehrere Beziehungen eingehen – übrigens immer im Konsens aller Beteiligten – verurteilen viele, diese Art zu l(i)eben. Dabei ist es selbst monogam lebenden Menschen oft gar nicht unbekannt, in mehrere Menschen gleichzeitig verliebt zu sein. Auch was die Sexualität betrifft, so sind viele monogam konzipierte Beziehungen oft viel offener als sie auf den ersten Blick scheinen – sowohl von innen als auch von außen betrachtet. Wo beginnt ein "Seitensprung", was genau wird als "Treue" definiert, wie viel Abenteuer darf oder soll eine Beziehung beinhalten?

Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung sei Dank, dass wir unsere Bilder und Vorstellungen davon, was Beziehung, was Liebe und Begehren alles sein kann, erweitert haben. Der Regenbogen lädt auf jeden Fall alle diejenige ein, sich unter ihm zu versammeln, die dem heteronormativen Mainstream in die Quere kommen. Queere Lebensweisen zeigen die Vielfalt und die Möglichkeiten, die Lieben und Begehren bereithält. Gleichwohl halten sie den Finger in die Wunde: Das besonders von Kirchen und (christlichen) Religionsgemeinschaften immer noch verfochtene Modell der "Liebe auf ewig und zu zweit" beraubt viele Menschen der Freiheit, Beziehung, Liebe und Sexualität so zu leben, wie es für sie persönlich – und alle anderen Beteiligten – gesund ist.

Der historisch gewachsene politische Impact, den Labels wie schwul, lesbisch oder trans* haben, darf freilich nicht durch eine Vereinfachung und Zusammenwürfelung durch Queer unsichtbar gemacht werden. Ganz im Gegenteil braucht Queer genauso die alten Labels, um die aktivistische Kraft nicht zu verlieren, sowie Schwulen- und Lesbenbewegungen durch Queer ihre manchmal allzu scharfkantigen Abgrenzungen aufweichen konnten.

 

[1] Das Stonewall-Inn war eine Bar in New York, wo sich Homosexuelle und Trans*menschen getroffen haben. Regelmäßig gab es dort gewalttätige Razzien, Festnahmen durch die Polizei und Anklagen aufgrund der sexuellen Orientierung (= Zwangs-Outings). In der Nacht zum 28. Juni 1969 wehrten sich die Bargäste das erste Mal – es kam zu den sog. Stonewall-Aufständen auf den Straßen New Yorks, besonders der Christopher Street (daran wird jedes Jahr am Christopher Street Day, kurz: CSD, erinnert).

[2] Lesbian, Gay, Bisexual / Lesbisch, Schwul, Bisexuell

[3] Engl. coming out of the closet = sich als homo-/bisexuell outen

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