Taugenichtse und senile Trottel

Taugenichtse und senile Trottel
An diesem Wochenende standen in den Medien eine Torte und zwei Sätze eines Nachbarschaftsphilosophen im Blickpunkt der Berichterstattung. An beiden Fällen wird deutlich, wie heute politische Kommunikation funktioniert. Was an diesem Montag im Mittelpunkt stehen wird? Wahrscheinlich das Wetter als Unwetter.

Ob Alexander Gauland in Hintergrundgesprächen Kuchen anbietet? Wir wissen es nicht, aber der Vordenker der AfD ist an diesem Sonntag in den Kuchen hineingefallen, den er der Öffentlichkeit zu servieren beabsichtigte. So sieht er an diesem Montag wie ein trauriger Clown nach den legendären Tortenschlachten aus amerikanischen Stummfilmzeiten aus. Nur fehlt die humoristische Komponente. Es geht um folgendes Zitat aus der FAS.

„Der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland hat den deutschen Fußball-Nationalspieler Jerome Boateng beleidigt. So werde der in Berlin geborene und aufgewachsene Fußballspieler, der einen ghanaischen Vater und eine deutsche Mutter hat, zwar als Spieler in der deutschen Nationalmannschaft geschätzt, doch das bedeute nicht, dass er nicht als fremd empfunden werde. Gauland sagte dieser Zeitung: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“

Der Artikel beginnt mit einer Wertung („Beleidigung“) und der DFB-Präsident wird nach seiner Meinung über diese Äußerung seines Stars gefragt. Zudem wurde in München recherchiert, wie die Nachbarn über Jerome Boateng denken. Es ging tatsächlich um die Skandalisierung dieser Aussage aus einem Hintergrundgespräch. Insofern entspricht diese Geschichte der Logik eines Mediensystems, das nach den Grundsätzen der Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert. Entsprechend fallen die Interpretationen dieser zwei Sätze aus, etwa von Sebastian Fischer bei Spiegel online. Es handele sich bei Gaulands Kommunikationsstrategie um die alte Populistenschule.

"Man stellt etwas in den Raum, auf das man im Zweifel nicht festgelegt werden kann; die Anhänger aber verstehen die Botschaft ganz ohne Zweifel. Zugleich kann sich der Rechtspopulist als Opfer angeblicher medialer Kampagnen inszenieren. Jörg Haider war ein Meister dieses Faches."

Der Zeit-Kollege Oliver Fritsch macht dagegen den Interpretationsspielraum deutlich, den diese beiden Sätze hinterlassen.

„Die Aufregung war groß, viele fassten das als Beleidigung auf. Doch so einfach ist es nicht. Der Satz könnte streng genommen auch von einem Grünen-Politiker oder Flüchtlingshelfer stammen, der vor Rassismus warnt. Die Bedeutung kommt auf den Kontext an, den die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung allerdings nicht schildert. Um Gauland zu verstehen, muss man sein Dementi beachten. Er habe lediglich deutlich machen wollen, "dass es viele Menschen gibt, die Fremde in ihrer Nachbarschaft nicht für ideal halten", sagte er in der Tagesschau. Das Phänomen Alltagsrassismus wird man schwer bestreiten können, doch hat er es völlig überzeichnet. Und er scheint sich an dem Problem zu laben. Beides typische Merkmale von ihm und seiner Partei der schlecht gelaunten Besserwisser. Beide wollen, dass Dinge in Deutschland scheitern.“

Sicher könnte dieser Satz auch als Warnung verstanden werden. Oder, wie es Fritsch ausdrückt, als analytische Beschreibung. Aber hier wird deutlich, wie politische Rhetorik heute funktioniert und sie nur mit der Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie ihre Wirkung entfaltet. Gauland ist nämlich kein Wissenschaftler oder Essayist, sondern äußert sich als aktiver Politiker. Eine politische Forderung hätte er etwa so formulieren können, wenn sich Gauland nicht neuerdings dem linken Multikulturalismus verpflichtet fühlen sollte.

Die AfD will keinen Neger in der Innenverteidigung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Außerdem sollen unsere Nachbarn Weiße sein.

Das wären klare politische Botschaften gewesen, die man diskutieren könnte. Gauland hätte damit allerdings ein Problem. Diese Position findet wohl nur Zustimmung bei Neonazis und/oder Mitgliedern des Klu Klux Clans. Nachvollzieherweise möchte Gauland aber nicht als rassistischer Taugenichts oder als seniler Trottel wirken. Aber er will das Ressentiments in der Gesellschaft für die AfD nutzen. Deshalb wechselt er in die Rolle des distanzierten Analytikers, der sich sorgenvoll der Stimmung in der Bevölkerung annimmt. Sie soll ihn vor Kritik immunisieren, während er gleichzeitig Botschaften an die Taugenichtse und senilen Trottel in seiner Wählerschaft sendet. So muss sich Gauland auch nicht mehr mit der intellektuellen Inkohärenz seines Perspektivwechsels beschäftigen. Boateng spricht nämlich das unverkennbare Hochdeutsch eines Berliners. Er ist dort aufgewachsen und somit alles, nur eines nicht: Ein Fremder. Erst Gauland hat ihn spätestens mit seinen relativierenden Äußerungen in der Tagesschau dazu gemacht.

+++ So kann sich Gauland jetzt nicht das Kostüm des Medienkritikers überziehen, um sich über den Artikel der FAS-Kollegen Eckart Lohse und Markus Wehner zu beschweren. Er habe nie Herrn Boateng beleidigen wollen, wie die FAS insinuierte, so seine Stellungnahme. Gauland kenne ihn gar nicht. Was zweifellos richtig ist. Um den Deutschen Jerome Boateng rhetorisch auszubürgern, ist das gar nicht nötig. Dem stellvertretenden AfD-Vorsitzenden ist Boateng nämlich völlig gleichgültig. Die FAS reagierte auf diese Pressemitteilung so.

„Die Äußerung von Herrn Gauland zu Jerome Boateng stammt aus einem Gespräch, das Herr Gauland mit den Berliner Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Eckart Lohse und Markus Wehner am Mittwoch in Potsdam geführt hat. Beide Kollegen haben die Passage aufgezeichnet, ihre Aufzeichnungen stimmen überein. Wie in früheren Gesprächen auch bestand Herr Gauland nicht auf einer Autorisierung von Zitaten. Herr Gauland stufte nur den Teil des Gesprächs, in dem er sich über AfD-Führungspolitiker äußerte, als Hintergrund ein und bat, daraus nicht zu zitieren. Daran hat sich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gehalten.“

Selbstredend hat die FAS skandalisiert und damit gemäß der Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie agiert. Das kann man durchaus kritisieren, allerdings nicht Alexander Gauland. Fritsch kritisierte den fehlenden Kontext dieses Gauland-Zitats in der FAS. Tatsächlich wurde erst der Kontext sichtbar gemacht, wie die politische Rhetorik eines Gauland unter Mithilfe der Medien funktionieren kann. Man stelle sich nämlich vor, dieses Zitat wäre als eines unter Vielen erschienen. Boateng wäre damit von Gauland als Fremder rhetorisch ausgebürgert worden. Von einem Politiker, der ansonsten mit der Distanziertheit eines englischen Gentleman auftritt. Aber das ist mittlerweile auch nur noch die politische Kostümierung eines aktiven Politikers.

+++ Da war die reale Torte von Samstag doch an Schlichtheit nicht zu überbieten. Sie bekam Sarah Wagenknecht auf dem Parteitag der Linken in Mageburg ins Gesicht. Das Bild ging in Echtzeit durch alle Medien und wird damit die politische Karriere Frau Wagenknechts in Zukunft weiter begleiten, selbst wenn dieser Parteitag schon längst vergessen sein wird. Diese Form des politischen Aktivismus funktioniert nur als Medienevent. Die Botschaft ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Interessant ist eher der Umgang mancher Medien mit diesem politischen Aktivismus radikaler Splittergruppen. Als im Februar die AfD-Politikerin Beatrix von Storch das Opfer einer solchen Attacke wurde, sprach der Stern noch in seiner Berichterstattung über die Reaktion in den sozialen Netzwerken von einer „ungewollten Sonnrtagsunterhaltung“. Bei Frau Wagenknecht war davon nicht die Rede. Es dominieren jetzt die kritischen Töne. An der Torte wird es nicht gelegen haben.


Altpapierkorb

+++ Kinder haben bekanntlich einen anderen Schlafrhythmus, der nicht zwangsläufig mit den sonntäglichen Bedürfnissen ihrer Eltern korrespondiert. Da ist es beruhigend zu wissen, die Kinderprogramme unter anderem im ZDF zu haben. Die Kinder finden dort das, was die Eltern ruhig schlafen lässt, wenn sie nicht andere Aktivitäten vorziehen sollten. Anspruchsvolle Unterhaltung, manchmal sogar mit pädagogischem Anspruch. Insofern war dem ZDF ein bedauerliches Missgeschick passiert. Anstatt Coco, einem neugierigen Affen, zeigte das ZDF gestern Morgen ab 6:00 Uhr „Halloween. Die Nacht des Grauens“. Nach einer halben Stunde bemerkte das ZDF den Fehler und unterbrach das laufende Programm. Die Automatisierung von Sendeabläufen hat halt ihren Preis. Noch nicht einmal das ZDF bemerkt dann noch, was gerade im eigenen Programm läuft. Ob sich der ZDF-Intendant jetzt bei allen Eltern persönlich entschuldigen wird, weil sich diese Sendung zur morgentlichen Stunde nicht mit dem Qualitätsansprüchen des ZDF verträgt, ist übrigens noch nicht bekannt. Immerhin: Zum Glück war es keine Pornographie! Ansonsten wäre das nämlich bestimmt Facebook aufgefallen! Und manche Kinder wären unter Umständen über die Schlafbedürfnisse ihrer Eltern desillusioniert worden. Falls dem ZDF in Zukunft ein solches Mißgeschick passieren sollte, hier ein Tipp für ein präventives Krisenmanagement: Nennt das einfach Aufklärung! 

+++ Mittlerweile hat sich auch Jerome Boateng über die zwei Sätze von Gauland im FAS-Hintergrundgespräch geäußert. Er sei traurig, dass „so etwas heute noch vorkommt.“ Der Nationalspieler sollte dem AfD-Politiker eines seiner Trikots schenken. Es wäre als Beitrag zur Integration Gaulands in die deutsche Gesellschaft zu werten.

+++ Am Freitag berichtete Stern.de über einen möglichen Senderwechsel Jan Böhmermanns. Das berichtet W&V. Allerdings beruht der Bericht von Stern.de auf Äußerungen Böhmermanns in seiner eigenen Sendung. Insofern wissen wir erst einmal eins: Es handelt sich nicht um eine unzulässige Schmähkritik. Weitere Gerichtsverfahren sind somit nicht zu befürchten. Was wir noch wissen: Böhmermann wechselt nicht zu Bayern München oder einen Sender in der Türkei. Es ist auch nicht zu erwarten, dass Jerome Boateng seinen Sendeplatz übernimmt, um in Zukunft einen Sendung über gute Nachbarschaft zu machen. Was wir noch wissen: Es gibt Meldungen, die überflüssig sind.

+++ Meedia berichtet über einen Hackerangriff auf die SZ. Außerdem über einen Artikel des Manager Magazins, der sich kritisch mit der Lage bei DuMont beschäftigt.

+++ Was am Dienstag nicht fehlen wird? Die Berichterstattung über das Wetter. Es gibt allerdings gute Gründe dafür.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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