Polarisierung oder Homogenisierung?

Polarisierung oder Homogenisierung?
Man kann nicht die Medien für ihren Hang zur Homogenisierung kritisieren und anschließend die Polarisierung beklagen, wenn man ausnahmsweise nicht einer Meinung sein sollte. Was dagegen hilft? In Drecksblätter zu schreiben.

In den Medien sind die Ereignisse von Köln immer noch das alles beherrschende Thema. Die Dynamik dieser Debatte hat dabei einen Grund, der in dem Altpapier von vergangenem Montag zu finden ist. Dort fand #Kölnhbf noch nicht statt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon drei Tage alt gewesen waren. Das geschah in einer Medienwelt, die ansonsten in Echtzeit selbst Nicht-Ereignisse aufzublasen versteht. Diese erstaunliche Diskrepanz verunsichert vor allem die Medien selbst. Aber bemühen wir uns erst einmal darum, den Ablauf zu rekonstruieren. Das versucht unter anderem die Stuttgarter Zeitung. Den Wendepunkt in der überregionalen Berichterstattung sieht sie am 4. Januar mit der gemeinsamen Pressekonferenz der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und dem dortigen Polizeipräsidenten Wolfgang Albers. Bis dahin hatten nämlich alle einen anderen Eindruck gehabt. In Köln gab es das, was anläßlich solcher Veanstaltungen immer zu erwarten ist: Trunkenheitsdelikte, Körperverletzungen und sexuelle Übergriffe. In den ersten Tagen betraf die Kritik vor allem das Ausmaß dieser Vorfälle. Von einem entspannten Silvesterabend konnte am Kölner Hauptbahnhof nicht die Rede sein, obwohl das in dem Polizeibericht an Neujahr so zu lesen war.

Das geschah aber in einem Rahmen, der schon seit Monaten von der Flüchtlingskrise definiert wird. Das eine Lager war unaufhörlich damit beschäftigt, jedes Delikt von einem Flüchtling als Beleg für deren kriminelle Mentalität zu werten. Und wie solche Vorfälle von den Medien systematisch verschwiegen werden, so der Vorwurf. Diese hatten sich angewöhnt, diese Vorwürfe als Bezugsrahmen für ihre Berichterstattung zu betrachten. Es ging schon längst nicht mehr, um das, was geschehen ist, sondern um das, was die Akteure dieses Bezugsrahmens darüber denken. Die AfD oder Pegida sind nicht im Bundestag vertreten und die mehreren tausend Montagsdemonstranten noch nicht einmal repräsantativ für Dresden. Aber sie bestimmten das Handeln von Medien. So wurden Scheinriesen aufgebaut, um sie mit Inbrunst zu bekämpfen. Damit gerieten sie aber in eine selbst gestellte Kommunikationsfalle. Jeder Bericht oder Kommentar wurde mit dem Gedanken formuliert, diesem anderen Lager aus laienhafter Medienkritik, die zumeist mit dem wenig charmanten Begriff „Lügenpresse“ operiert, keine Bestätigung ihrer Positionen zu bieten. Wenn aber die Berichte aus Köln, dort habe es sich tatsächlich um Flüchtlinge gehandelt, stimmten, drohte das die These vom Generalverdacht zu bestätigen. Womit in dieser Logik die Formulierung solcher Sachverhalte wegen des Generalverdachts besser zu unterbleiben habe.

So muss man sich die Logik vorstellen, die die Kölner Polizeiführung und Stadtpolitik zu ihrer Öffentlichkeitsarbeit motivierten. Es waren lokale Medien wie der Kölner Stadtanzeiger, die diesen Kreislauf des Irrsinns durchbrachen. Sie berichteten nicht nur über die Erfahrungen von Opfern, sondern auch über die von Polizeibeamten, die etwas anderes erlebt hatten als Polizeipräsident und Oberbürgermeisterin noch am Dienstag auf ihrer Pressekonferenz mitteilten. Schließlich veränderte ein Einsatzbericht der Bundespolizei, über den die Bild und Spiegel online berichteten, die Diskussionsgrundlage. Jetzt wurden auch die Erfahrungen in anderen Städten thematisiert, wo Frauen vergleichbare Erlebnisse wie in Köln gemacht hatten. Es waren somit die Medien selbst, die die These vom Generalverdacht nicht mehr dazu nutzten, um Sachverhalte zu verschweigen. Sie hatten schließlich erleben müssen, wie die Kölner Politik ihr Handeln davon bestimmen ließ. Das professionelle Interesse siegte über die schon immer unsinnige Orientierung an einer Medienkritik, die mit dem Begriff „Lügenpresse“ durch die Straßen zieht oder in den sozialen Netzwerken aktiv ist. Jetzt muss man eigentlich nur noch klären, wie es überhaupt passieren konnte, sich an diesen Gruppen in seiner Berichterstattung zu orientieren.

+++ In der Medienkritik, die sich nicht auf den Begriff Lügenpresse beschränkt, ist einer der wichtigsten Kritikpunkte der vergangenen Jahre die Tendenz zur Homogenisierung. Alle berichten dasselbe und haben dazu sogar noch die gleiche Meinung. Die Furcht vor dem Shitstorm in den sozialen Netzwerken kommt noch hinzu. Dabei ist der Vorwurf des Sexismus oder des Rassismus eine der gefürchtesten Waffen. Wer will schon ein Frauenfeind oder ein Rassist sein? Die These vom Generalverdacht konnte nur deshalb so dominant werden, weil sie mit der These vom Rassismus eine unglückselige intellektuelle Verbindung einging. Jeder, der über die Kriminalität unter Flüchtlingen berichtete, drohte als Rassist denunziert zu werden, weil es immer Menschen geben wird, die diese Aussage anders interpretieren: „Flüchtlinge sind kriminell“. Das ist zwar genauso unsinnig wie die Aussage, alle Journalisten seien professionelle Lügner, aber es vergiftet die Atmosphäre. Insofern ist es durchaus beruhigend zu nennen, wenn in den Medien gestritten wird. Etwa im Cicero. Dort diskutieren deren stellvertretender Chefredakteur Alexander Marguier und Michael Angele, ebenfalls stellvertretender Chefredakteur beim Freitag. Dieser fand folgenden Einstieg in seiner Replik auf einen Kommentar von Marguier.

„Halt, stopp, bitte nicht gleich den Rotstift zücken. Ich finde diesen Einstieg selbst bedenklich, niveaulos, ich zweifle, ob ich das so schreiben soll. Das „Drecksblatt“ ist genauso niveaulos wie Ihr Satz, Herr Marguier, der den Anlass bildet, dass ich hier überhaupt etwas schreiben darf. „Was in Köln passiert ist, kann nicht einmal mehr von den linksideologischen Willkommens-Medien und einem sich selbst gleichschaltenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter den Teppich gekehrt werden“ haben Sie geschrieben, Herr Marguier. Da rastete ich aus und postete auf Facebook ein paar böse Zeilen.“

Polemik ist schon immer ein journalistisches Stilmittel gewesen. Das Grundproblem ist aber heute die fehlende Distanz, die die sozialen Netzwerke möglich machen. Man rastet halt aus und schreibt auf Facebook, was einem in den Sinn kommt. Es bleibt nicht mehr auf die Kantine beschränkt, wo man sicherlich auch schon früher die Konkurrenz ein „Drecksblatt“ nannte. Aber gegen die Polarisierung ist an sich nichts einzuwenden. Wie soll man eigentlich die genannte Tendenz zur Homogenisierung verhindern, wenn man diese Polariserung schon selbst für ein Problem halten sollte? Dazu macht aber Marguier in seiner Antwort auf Angele intererssante Beobachtungen.

„Finden Sie es okay, dass Ihr eigener Verleger, Jakob Augstein nämlich, hinter meinem Rücken bei Cicero-Redaktionsmitgliedern Stimmung gegen mich machen will, weil ihm meine Ansichten nicht passen? (Sollten Sie ihm demnächst begegnen, so richten Sie ihm doch bitte aus, er könne sich auch direkt an mich wenden.) Und wie gefällt es Ihnen, wenn das Kulturmagazin eines öffentlich-rechtlichen Senders bei ehemaligen Kollegen anruft, um irgendwelche Ungeheuerlichkeiten über die vermeintlich rechtspopulistischen Umtriebe bei Cicero erzählt zu bekommen? (Bei uns selbst haben sich die Herrschaften übrigens nicht gemeldet, denn das hätte womöglich die Arbeitshypothese gefährdet).“

Es ist der Versuch, die Legitimität des Cicero in Frage zu stellen, eine andere Position zu haben. Er soll aus dem Konsens der Demokraten ausgeschlossen werden, denen man bei dieser Debatte zuhören muss. Warum machte man sich sonst die Mühe, nach rechtspopulistischen Umtrieben zu fahnden? Angele betrifft das nicht, ansonsten hätte er nicht im Cicero geantwortet. Nun soll man das wiederum nicht überbewerten. Wer wie Marguier Polemik nutzt, darf nicht über die Polemik der Konkurrenz lamentieren. Der Vorwurf der „Gleichschaltung“ stammt ja nicht aus dem Knigge für gutes journalistisches Benehmen. Aber hinter dieser Kontroverse wird ein Zeitgeist deutlich, der sich vor allem mit der Frage beschäftigt, mit wem man nicht reden darf. Dann erlebt man allerdings die Konsequenz, dass sich alle nur noch in ihrer eigenen Filterblase bewegen. Dort findet aber keine Diskussion mehr statt, sondern bloß die Bestätigung dessen, was man schon immer gewusst hat. In einem solchen Umfeld beginnt es zu müffeln.

+++ Titelbilder waren noch nie der Ort für differenzierte Argumentationen. Sie sollen Aufmerksamkeit herstellen, wie jetzt erneut der Focus bewiesen hat. Dabei ist es eine gesicherte Erfahrung aller Chefredakteure, dass halbnackte Frauen dieses Ansinnen besser erfüllen als etwa angezogene Männer mittleren Alters. In der taz wird der Focus-Titel so erklärt:

„Der Focus-Titel ist so schauerlich, dass er zunächst wie ein Witz wirkt. Man könnte das Blatt dafür auslachen, wenn dieses Muster nicht so niederträchtig wäre. Die Zeitschrift gibt vor, sexuelle Gewalt anzuprangern und wirft sich in aufklärerische Pose. Dabei ist sie aufklärerisch, wenn auch unfreiwillig: Der Titel ist das elegante Sinnbild für alles, was in den vergangenen Tagen in der Diskussion um die sexuellen Übergriffe in Köln falsch gelaufen ist. Er attackiert den Sexismus der „Anderen“, ist aber selbst sexistisch und erotisiert sexuelle Gewalt. Das ist nicht Kritik an Rape Culture, es ist Rape Culture.“

Sicherlich kann man jetzt über die Rape Culture in der deutschen Gesellschaft diskutieren. Auch über die Funktion solcher Titelbilder, deren Wirksamkeit sich aber am Ende in den Verkaufzahlen beweisen wird. Da sollte sich niemand etwas vormachen. Nur ist der Focus-Titel gerade kein Sinnbild für das, was in den letzten Tagen schief gelaufen ist. Die Täter in der Silvesternacht werden bestimmt nicht in einer Kultur sozialisiert worden sein, die solche Titelbilder hervorbringt. Damit könnte man bestenfalls die sexuellen Übergriffe deutscher Täter in einen Zusammenhang bringen. Nur sicherlich nicht junge Männer, die in Nordafrika, Syrien oder dem Irak aufgewachsen sind. Welche Assoziationen graphische Illustrationen auslösen können, zeigt dieser taz-Artikel auch an einem zweiten Beispiel. Er kritisiert zudem die Süddeutsche Zeitung für eine Illustration auf der Titelseite von Samstag.

„Die Vorstellung, dass dunkle Haut abfärbt, ist ein altes und gängiges rassistisches Motiv, das dunkle mit dreckiger Haut gleichsetzt. Das Bild von schwarzen Händen, die nach einem weißen Körper greifen, von nichtweißen Männern, die weißen Frauen nachstellen, stammt zudem von tief unten aus dem Reich rassistischer sexueller Fantasien: die Beschmutzung der weißen Frau. „Rassenschande”.

Der Süddeutschen Zeitung den Terminus „Rassenschande“ zu unterstellen, entstammt nun wirklich dem Reich der Fantasien. Die Deutschen bleiben halt immer noch geprägt von der Erfahrung des Nationalsozialismus. Ein Sachverhalt, den sie übrigens auf dieser Welt exklusiv haben. So ist diese Kritik der taz eines bestimmt: Sehr deutsch.


Altpapierkorb

+++ Zur Kritik an den Titelbildern des Focus und der Süddeutschen Zeitung siehe den Tagesspiegel und auf Spiegel Online. Die Süddeutsche entschuldigte sich, der Focus nicht.

+++ In der Wirtschaftswoche beschreibt Dieter Schnaas die Medienlogik, die in #Kölnhbf zum Problem geworden ist: „Die Berichterstattung über die systematische sexuelle Belästigung und Nötigung vieler Frauen rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht bietet Beispiele zuhauf für diesen bestürzenden Befund. Während Politiker die Gewaltsamkeiten wie üblich reflexhaft und wortreich befloskelten („Mit der vollen Härte des Gesetzes“… „wird in keiner Weise toleriert“… „wird konsequent zur Rechenschaft gezogen“…) und in einen Überbietungswettbewerb der realpolitisch so sinn- wie folgenlosen Sofortreaktion einstiegen (schnellere Abschiebung, noch schnellere Ausweisung…), stürzten sich viele Journalisten sogleich in die aktivismuspublizistische Ausbeutung der Ereignisse: in vergleichende Verharmlosung und akademische Relativierung, in xenophobe Zuspitzung und giftige Generalisierung - ganz so, als wären die Gewalttaten und Leiden der Opfer ohne ihre standrechtliche Auslegung nicht der Rede wert.“ Seine Schlussfolgerungen sind ein Plädoyer für Entgiftung: „Anders gesagt: Worauf es ankommt, ist nicht nur eine Entgiftung des öffentlichen Raumes, sondern auch seine erneute Öffnung. Der öffentliche Raum ist nicht nur in die Hände von Interessierten geraten, von Aktivisten und Propagandisten mit einer politischen Agenda. Sondern in ihm ist auch längst nicht mehr das Selbstverständliche selbstverständlich. Welchen Journalisten oder Facebooker das auch immer besorgt - er sollte sich weniger „Sorgen“ machen.“

+++ In der NZZ weist Rainer Stadler zudem auf einen weiteren Aspekt hin, der in Köln zum Problem geworden ist: „Kommt hinzu, dass der Dauerlärm im Internet abstumpft. Wenn laufend irgendwo im Netz ein Skandal ausgerufen wird, sinkt die Bereitschaft, genauer hinzuhören und zwischen Falschinformationen das allenfalls Wesentliche zu erkennen. Journalisten sind zudem nicht nur mit dem Vorwurf des Verschweigens, sondern auch mit jenem des Übertreibens konfrontiert. Im Fall Köln sind es letztlich weniger ideologische Grundhaltungen als banale mediale Mechanismen, welche die Berichterstattung verzögerten.“ Und was Journalsiten unter Meinungsvielfalt verstehen? „Denkschablonen instrumentalisieren auch Journalisten gerne, um sich im Kampf um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit durchzusetzen. Das Resultat ist ein eitler Kampf von kommentierenden Gockeln, wie er nun auch in der durchaus lebendigen Nachbearbeitung von Köln zu beobachten ist. Das nennt man dann Medienvielfalt.“

+++ Während man in Deutschland die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender in der Flüchtlingskrise diskutiert, ist man in Polen schon einen Schritt weiter. Dort hat die Regierung im Namen des Pluralismus diesen gleich abgeschafft. Die polnischen Sender sollen mit einem neuen Mediengesetz auf Regierungslinie gebracht werden, um in dieser Beziehung auch keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Pluralismus ist halt das, was die Regierung darunter versteht. Dagegen formiert sich in Polen entschiedener Widerstand. Polen muss sich die Kritik der anderen Europäer anhören, weil es sich mit dem Beitritt zur EU deren Rechtsrahmen unterworfen hat. Es gibt in Europa daher auch keine unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates mehr. Einmischung ist ausdrücklich erwünscht. Das nennt sich europäische Öffentlichkeit. Am Ende wird man aber in Polen selbst die Gelegenheit nutzen, um sich über den Sinn einer kritischen Öffentlichkeit zu verständigen. Diese wird erst bei solchen Gelegenheiten deutlich. In Deutschland etwa in der Spiegel-Affäre von 1962.

+++ Am 4. Januar ist die Schauspielerin Maja Maranow verstorben. Die Todesursache war zuerst unbekannt. Jetzt hat die Bild am Sonntag mit dem Titel aufgemacht: „Es war Krebs.“ Frau Maranow konnte ihre Erkrankung vor der Öffentlichkeit verschweigen. Selbst wenn Journalisten in einem solchen Umfeld immer Gerüchte mitbekommen, haben sie ihre Privatsphäre offenkundig respektiert. Das sollte man als ein positives Beispiel für journalistische Verantwortung anerkennen.

+++ Was heute die Feuilletons bestimmen wird? Der Tod von David Bowie. Er starb ebenfalls an Krebs.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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