Rollen und Stoßen

Rollen und Stoßen

Es hagelt spektakuläre Personalien: gerade demnächst kein NZZ-Chefredakteur, ein neuer FAZ-Herausgeber (dessen Hammer bereits bildgewaltig gewürdigt wird). Die digitale Revolution könnte sich dem Ende zuneigen. Außerdem: nur noch zwei Leichen am Bodensee erleben.

Das wurde aber auch Zeit: Im kommenden Jahr geht die digitale Revolution zu Ende. Das impliziert zumindest ein wichtiger Zeitzeuge, der pünktlich zum Fest eine Bilanz vorlegt. "Notizen zur Digitalen Revolution 1990-2015" heißt das neue Buch von Dr. Hubert Burda. Gestern in München stellte er es "in seinen Privaträumen" vor "rund 60 Gästen ..., unter ihnen der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und der Verleger Michael Krüger" (der von Burda präsidierte Zeitschriftenverlegerverband), vor.

"Hier einige (visionäre) Schlüsselzitate Hubert Burdas aus dem Buch" (meedia.de). Und richtig exzerpiert hat das Werk bereits Rupert Sommer von kress.de, der mit der krassen Anekdote, wie Mark Zuckerberg Burda anno 2009 "in seinen eigenen vier Wänden versetzte", gespannt machen möchte.

Erschienen ist es im Petrarca-Verlag, der online, scheint's, nicht repäsentiert, aber wohl "konzerneigen" ist. Schließlich hat Burda auch immer, im vorletzten Jahr der digitalen Revolution übrigens letztmals, den Petrarca-Preis verliehen. Die unter der offiziellen Verlagsmitteilung stehenden Hinweise, wie man es sich beschaffen kann, zeigen außerdem elegant beiläufig, wer denn nun die digitalen Revolution gewonnen hat:

Die Links "Link zum E-Book" und "Link zur Printausgabe" führen jeweils zu Amazon, und "BurdaNews hat zudem ein E-Book erstellt, das zum Preis von 9,80 € über die kostenlose 'Kindle Viewer App' am Desktop-Rechner und auf Tablets (Android und iOS) sowie auf den 'Kindle'-Lesegeräten 'Fire' und 'Paperwhite' verfügbar ist". Auch scheinbar nicht ganz erfolglose Versuche (nur z.B.), zumindest auf dem E-Book-Markt der Marktmacht kalifornischer Datenkraken und NSA-Kollaborateure etwas entgegenzusetzen, hält der erfahrene Verlagsveteran am Vorabend des Revolutionsendes also für keinerlei Mühe mehr wert.

[+++] Jetzt aber die spektakulären Personalien. Los geht's mit der überraschenderen:

"Es muss sehr schnell gegangen sein in Zürich - oder Markus Spillmann ist ein sehr guter Schauspieler: Am Wochenende noch war dem Chefredakteur der 'Neuen Zürcher Zeitung' beim Mediengipfel in Lech am Arlberg nichts anzumerken, dass er seinen Job am Dienstag nach zwölf Jahren aufgibt",

berichtet der österreichische Standard zum Abschied des NZZ-Chefs.

Andererseits, die nationale Konkurrenz vom Tagesanzeiger ist nicht überrascht, und Jürg Altwegg von der FAZ ist's auch nicht:

"Dass die 'alte Tante von der Falkenstraße' und ihr Chefredakteur sich trennen würden, stand als Gerücht schon länger im Raum. Markus Spillmann erscheint auch wie ein Opfer der sozialen Netzwerke. Auf seinem Facebook-Profil zeigt er seinen Nabel und wirkt nicht wie ein NZZ-Chefredakteur."

Es wirkt, als könnte Altwegg locker ein Buch zum Thema schreiben, allerdings bekam er für heute bloß 47 Zeilen auf der FAZ-Medienseite. In denen scheinen überdies aktuelle Aufregung über einen NZZ-Kommentar zum Coming-Out des aktuellen Apple-Chefs ("Die Fassung verlor er, als der gewiss diskussionswürdige Kommentar einer Korrespondentin über das 'coming- out' von Tim Cook im Internet einen Sturm der moralischen Entrüstung auslöste. Spillmann rügte Autorin und Redaktion", siehe ebenfalls Spillmanns Facebook-Profil) sowie natürlich das Spiegel-Narrativ ("Beim Umbau der Redaktion stieß Spillmann offenbar auf die Widerstände der Ressorts") durch.

####LINKS#### Worauf auch die offiziellen Verlautbarungen deuten. Die Verlagsmitteilung klingt selbst für schweizerische Verhältnisse enorm gewunden (" ... zielten darauf ab, die gegenwärtige Struktur neu zu gestalten, mit entsprechenden personellen Implikationen. Man war sich über die grundsätzliche Stossrichtung einig. Unterschiedliche Vorstellungen gab es in Bezug auf die konkrete Umsetzung"). "Viel Zeit investierte Markus Spillmann in den wichtigen Online-Auftritt. Er modernisierte auch dort das Layout und verstand diese Arbeit als einen rollenden Prozess, der niemals abgeschlossen sein kann", schreibt Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod im Rahmen einer weitergehenden Würdigung.

 

Rollen und Stoßen - viel Bewegung also. Aber noch ist ja 2014 und die digitale Revolution am Laufen. Für alle, die sich tiefer einarbeiten wollen, hat nwesroom.de ein anderthalb Jahre altes Spillmann-Interview unter der neuen Überschrift "So tickt der geschasste 'NZZ'-Chef" hervorgeholt.

[+++] Zuletzt wirklich keine Überraschung mehr: die Personalie im FAZ-Herausgebergremium. Es ist also Jürgen Kaube, der die Position Frank Schirrmachers übernimmt. Kaube "gilt als Mann des intellektuellen Feuilletons" (Welt/ DPA), als "Mann der Wissenschaft" (newsroom.de/ DPA). Am Montag ist er hier im Altpapier (unten im Korb) unter besonderer Berücksichtigung Max Webers begrüßt worden.

Eher unter Berücksichtigung Luhmanns begrüßte ihn vorige Woche Die Zeit, die ihren (am Freitag hier erwähnten) Artikel zur Feier des Tages nun frei online gestellt hat. Dort raunt Alexander Cammann, dass es nur so zischt und kracht:

"'Die Maßanzüge sind bereits geschneidert', lästert ein ihm im Übrigen sehr wohlgesinnter Kollege, der wie alle anderen Journalisten aus dem näheren Umfeld naturgemäß zum jetzigen Zeitpunkt nicht genannt werden will",

und

"'Eigentlich müsste man über die Monate seit Schirrmachers Tod irgendwann ein Buch schreiben', sagt einer, der sie miterlebt hat."

Ja, eigentlich könnte bis müsste man über alles mindestens ein Buch schreiben, auch das ja eines der zahllosen Dramen unserer Echtzeit. Jedenfalls, Weber und Luhmann, passt beides, findet Gustav Seibt heute auf der SZ-Medienseite: Kaube habe "von seinen beiden geistigen Mentoren das literarisch Beste gelernt hat: von Luhmann die Ironie und von Weber die Leidenschaft".

Während Seibt, selbst ja ehemaliger FAZ-Feuilletonist und für die SZ auf demselben Terrain unterwegs, den Rivalen schätzt ("Wenn Kaube ein Buch verreißt, wächst kein Gras mehr"), doch noch nicht in den Himmel lobt ("Aber Kaubes intellektueller Stil ist nicht die heute vor allem im popkulturellen Segment wieder so beliebte, gern autobiografisch grundierte Einfühlung, sondern systemtheoretische Ernüchterung und die gebändigte Leidenschaft der 'Sachlichkeit' ...", womit es dann wieder zu Max Weber geht), schrieb sich Dirk Knipphals für die TAZ (bzw. taz.de) beim Bewerten dieser "Lösung mit Ecken und Kanten" geradezu in einen Rausch der Begeisterung hinein, den er, als er anfing, vielleicht selbst noch nicht vorausgesehen hatte:

"Von ihm selbst jedenfalls ist eine intellektuelle Gegenwartsbegleitung zu erwarten, die möglichst schwurbellos verfährt und die eigenen Metaebenen stets mitreflektiert. Seine Berufung auf den Herausgeberposten lässt sich als Wette verstehen, dass man auch mit Komplexität in Debatten Aufmerksamkeit erzeugen kann. Und wenn Kaube mit dem Hammer zuschlägt, was ihm auch nicht fremd ist, nennt er immer konkret die seiner Meinung nach Schuldigen ..."

Beispiele für Kaubes Hammer nennt Knipphals ebenfalls, den Freiherrn zu Guttenberg etwa ("Man hängt das nicht zu hoch, wenn man behauptet, dass Kaube mit seinen scharfen Interventionen einiges zum Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers beigetragen hat") sowie Sibylle Lewitscharoff, neben deren Büchern kein Gras mehr wächst. Damit könnte turi2.des Hammer-Zuspitzung ("Kritiker erwarten unter ihm ein Ende des liberalen Debattenfeuilletons, das unter Schirrmacher entstand", mit Spiegel-Bezug) beinahe schon widerlegt sein.

Kaube twittert übrigens auch ein bisschen - und kam hier im Altpapier natürlich gebührend vor. Nutzen Sie die evangelisch.de-Suchfunktion ("Did you mean glaube")!

[+++] Rein geografisch waren wir schon im deutschsprachigen Dreiländereck. Dort heischt die Personalie, die die relativ meisten Medienendverbraucher betrifft, Aufmerksamkeit: Der mitunter mehr als zehn Millionen Zuschauer starke Bodensee-"Tatort" wird übernächstes Jahr "ausklingen" (SWR) bzw. abklingen.

Schalten wir nach Konstanz zum Südkurier, in dem die Kommissarsdarstellerin Eva Mattes die Dialektik der deutschen Krimilandschaft wunderbar auf den Punkt bringt:

"Ich mag meine Klara Blum sehr gerne und bin eng mit ihr verbunden, zumal ich wunderbare Partner beim Tatort habe, mit denen ich immer wieder sehr gerne zusammen spiele. Es ist aber an der Zeit, vom Ermitteln Abschied zu nehmen und wieder Neues zu erobern. Wir werden noch zwei Filme drehen, das heißt noch mindestens zwei Leichen erleben und wir gewohnt gekonnt und motiviert ermitteln."

Kurt Sagatz für den Tagesspiegel und Michael Hanfeld für die FAZ (online ähnlich) haben aus solchen und anderen Stimmen kleine Zitaten-Cocktails gefertigt. "Sehr schade ist es eigentlich nicht" (welt.de), wenn nun "das nächste alteingesessene 'Tatort'-Duo ... die Biege" macht (Hamburger Abendblatt).

Eine feinsinnige Würdigung der ganz besonderen Langeweile dieser "Tatorte" hat Holger Gertz bereits für die SZ-Medienseite verfasst: "Der wahrhaftige Star" dieser Krimis sei oft der Bodensee selbst gewesen, der zweifellos schön anzusehen ist. "Aber es ist kein besonders gutes Zeichen, wenn von einem 'Tatort' nur die Kulisse im Gedächtnis bleibt".
 


Altpapierkorb

+++ Wer heute den Kaube-Hammer rausholt: Jochen Hieber auf der FAZ-Medienseite. Er setzt ihn an den Vierteiler "Bewegte Republik Deutschland" des gerade 30 gewordenen Dreiländersenders an: "3sat will uns etwas über die deutsche Kulturgeschichte von 1945 bis heute erzählen, das geht ganz schön schief", lautet die Überschrift. Getroffen werden soll vor allem der "restlos überforderte" Filmautor Thomas von Steinaecker. "Vollständigkeitswahn", "Schweinsgalopp an Bildern und Argumenten" und damit einhergehend "Flüchtigkeit und Schlamperei", lauten Vorwürfe. Letzter Schlag dann: "Hunderte an Szenen von  der Gruppe 47 über Joseph Beuys bis zu Sasha Waltz oder Tocotronic: Ja, hier ist die Dokumentation in der Tat 'bewegt', nicht selten gar bewegend. Am besten, man sähe nur diese Bilder – ohne Einordnung durch die Experten und ohne Kommentar des Autors Steinaecker. Es wäre ein großes Fest".  +++

+++ "What started as a trickle has become a flood, as more than two-dozen editors and contributing editors resigned from the New Republic on Friday on the heels of the departures of the magazine’s top two editors, Franklin Foer and Leon Wieseltier" (slate.com). "Die Krise der 'New Republic' steht für die Krise der ganzen Branche - und dafür, wie schwierig es ist, traditionsreiche und wertvolle Inhalte aus einem Print-Organ in die digitale Zukunft zu transferieren", schreibt Marc Pitzke bei Spiegel Online (beinahe so, als wäre der Spiegel auch von so etwas betroffen ...). +++ Aktuell oben auf newrepublic.com: "Here Are the Biggest Lies the CIA Told Congress". +++

+++ Das ist sportdeutschland.tv, der "noch junge Internet-Sender des Deutschen Olympischen Sportbundes", für den und dessen Verbände die Weltmeisterschaft in der "zweitwichtigsten Ballsportart", dem Handball, bald "zur großen Chance werden" könnte (digitalfernsehen.de). Es "ist trotz der missverständlichen Endung kein TV-Sender, sondern ein nur im Internet zu empfangender Anbieter" (Tagesspiegel), der aber immerhin schon etwas Empörung vom Journalistengewerkschafts-Vorsitzenden Michael Konken geerntet hat. Dabei: "Für die öffentlich-rechtlichen Stationen in Deutschland müssen die Aktivitäten von DOSB und IOC gar nicht von Nachteil sein, weil der Druck, selber zuschauerschwachen Sport zeigen zu sollen, mit Blick auf das Internet-TV der Verbände spürbar abnimmt" (Tsp. noch mal). +++

+++ "Dass eine Journalistin, die ein Leben lang gegen Sexismus kämpft, für ein Boulevardblatt eintrat, war jedenfalls nicht alltäglich: 'Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht' warb Schwarzer mal für Bild auf Großplakaten, und sie hat für das Blatt auch Kommentare verfasst. Auch gehört sie zu denen, die Friede Springer gut kennen; dennoch bewahrt sie das nicht vor der Verwurstung in der Großküche des Boulevards": Da bricht Hans Leyendecker in der SZ eine Lanze für Alice Schwarzer: "Die Feministin ist für einen Teil der Medien und wohl auch für Teile des Publikums eine Art weiblicher Thomas Middelhoff." +++ Nicht so Schwarzer-freundlich, sondern unter der Überschrift "Who the fuck is Alice?" aus der Bild-Zeitung zitierend: die TAZ. +++

+++ Die FAZ-Medienseite, die Burdas eingangs erwähntes Buch übrigens zehnzeilig würdigt, war am Set der TNT Serie-, als Pay-TV-Produktion "Weinberg". +++ Und hat einen Kritik-Nachtrag zur ARD-Toleranzwoche: "Beim HR-Jugendradio You FM jedenfalls wurde der Toleranz-Begriff weit ausgelegt: In einem Beitrag ging es um Zoophilie, annonciert als 'sexuelle und partnerschaftliche Liebe zu Tieren' ... ". Details frei online bietet die Deutsche Gesellschaft zum Schutz des Hundes. +++

+++ "Mitten auf der Eingangsseite des Internetauftritts dieser Kundenzeitschrift der skandinavischen Fluggesellschaft SAS klafft eine auffallende Lücke"? Hm, aktuell lockt auf scandinaviantraveler.com "festive spirit at Germany’s Christmas markets". Aber die PDF-Ausgabe des Fluglinien-Kundenmagazins sei aus dem Netz genommen worden wegen Protesten der norwegischen "Fortschrittspartei" FRP gegen einen Artikel, "der die geschichtlichen Wurzeln der rechtsextremen Parteien in den nordischen Ländern darstellt" und "im Printlayout auf gegenüberliegenden Seiten jeweils Fotos von [Vidkun] Quisling", "Hitlers Statthalter in Norwegen", "und dem ehemaligen FRP-Vorsitzenden Carl I. Hagen" gezeigt habe. Das berichtet Reinhard Wolff in der TAZ. +++

+++ "Wie der Softwarehersteller Open-Xchange in einer Erhebung herausgefunden hat, haben in den USA rund 15 Prozent aller Internetnutzer mindestens einen Online-Dienst wegen des NSA-Skandals verlassen. In Großbritannien liege dieser Anteil bei 20 Prozent, in Deutschland mit 37 Prozent deutlich höher" (heise.de). +++

+++ Und "einer der Gründe für die wachsende Dominanz von Googles Videoplattform YouTube ist dessen Instrument zur Rechteklärung und -durchsetzung Content ID", das auch "die Bedeutung von Verwertungsgesellschaften als klassische Rechteklärungsinstanzen" schwäche (Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.




 

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