Die Erwartungen könnten nicht höher sein

Die Erwartungen könnten nicht höher sein

Alles, wirklich alles (außer Datenschutz-Fragen) über die neuen Apple-Geräte. Außerdem: Frauen erobern neue Führungsebenen im Journalismus. Und: Wieder dicke Luft beim Spiegel? Ganz im Gegenteil!

Wahnsinn pur, unbeschreibliche Stimmung, so ein Tag so wunderschön wie gestern! Sofort zum Wichtigsten in diesem Internet, das gestern stundenlang die Echtzeit beherrschte und auch am Mittwochmorgen noch wichtige Startseitenplätze belegt (während die eigentlich attraktiv superlativische Meldung vom neuen Treibhausgas-Höchststand auf den Startseiten aber mindestens so rasch durchrutschte wie in der Papier-FAZ, wo sie heute auf der bunten Seite 7 gelandet ist): Apple, der kalifornische Kult-Konzern, hat neue Geräte vorgestellt.

Insgesamt drei Geräte waren's. Die Details entnehmen Sie einem (zwei Autoren), zwei (einer), drei (sechs Autoren), vier (drei Autoren), fünf (unklar), sechs (drei: einer aus Cupertino, einer aus Las Vegas, einer anderswo), sieben (drei Autoren oder doch mehr?), acht (unklar), neun (drei Autoren) bzw. noch viel mehr nachlesbaren Livetickern (Hatte zeit.de gar keinen? Und die DPA?). Das Altpapier schaut ja aus alter Gewohnheit vor allem auf die Portale bekannter überregional ausstrahlender Druckerzeugnisse, und auf die von Fachzeitschriften auch eher selten.

Um aber einen Eindruck von der wunderbaren Vielfalt des deutschen Onlinequalitätsjournalismus zu geben, der weder Manpower noch happige Reisekosten scheut, um umfassend berichten zu können, noch ein paar Klicks zu einem Independent: Der renommierte Krautreporter Richard Gutjahr gab mit einem fröhlichen "Die Erwartungen könnten höher nicht sein. Und Apple hat sie selbst sogar noch zusätzlich angeheizt ..." das Reflektionsniveau vor, setzte nach diesem Spannungsmoment aber ein interessantes Bezahlmodell auf:

"Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich auf meinem Streifzug durch das Flint Center begleitet. Für 99 Cent könnt Ihr ab 18 Uhr (MEZ) diesen Live-Blog freischalten – nur 2 Klicks und ohne jede Voranmeldung! ... Warum bezahlen? Die Preise für Flug und Hotel waren happig - auf diese Weise möchte ich wenigstens einen Teil meiner Reisekosten wieder reinholen. Zugleich ist Euer Beitrag für mich ein besonderer Ansporn, möglichst viele Eindrücke einzufangen und unmittelbar bereit zu stellen, um Euch den Abend über so gut wie irgend möglich zu unterhalten."

Wäre dem sympathischen Fanboy natürlich zu wünschen, dass viele Nutzer in seinem Ein-Euro-Shop einen Beitrag geleistet haben und ihm außer den Eindrücken nicht auch noch Unkosten bleiben. Doch haben halt auch alle ähnlich renommierten deutschen Redaktionen Apple ihre Nutzer mit einer Fülle von Eindrücken, Klickstrecken, Rückblicken derart verwöhnt, dass selbst bei Menschen, die sich für Apple-Produkte überhaupt nicht interessieren, ein Gefühl von Übersättigung aufkommen musste. Und vielleicht außerdem das Gefühl, dass weite Teile des Onlinesjournalismus den Untergang halt doch auch verdient haben ...

####LINKS####

Ich habe ehrlich gesagt nicht alle Liveticker integral verfolgt. Doch der kürzlich (faz.net im Juli) angetippte Diskussionsstrang "Leute mit iPhone in der Tasche sollten wissen: Ihre Geräte öffnen Geheimdiensten Tür und Tor", also Fragen danach, ob Apple außer der Größe des iPhones womöglich auch den Datenschutz seiner Geräte optimiert hat, sei es im Nutzerinteresse oder im margen-orientierten Konzerninteresse oder patriotischen NSA-Interesse, kam in der differenzierten Euphorie ungefähr so häufig wie vor die schon im #Applelive-Vorfeld fotografierte "Mobiltoilette". Und die kam - das muss man dem deutschen Onlinequalitätsjournalismus lassen! - kaum vor. (Oder bei der Aftershow doch? Pardon ... ).

[+++] Damit in den klassischen Blätterwald, in dem auch eine Menge los ist! Zum Beispiel scheint die Frauenquote auf den Führungsebenen deutscher Medien dramatisch anzusteigen, zumal wenn die oft gut informierte Ulrike Simon (Berliner Zeitung) mit ihrer Vorahnung einer "Revolution bei der FAZ" Recht hat: Demzufolge soll die seit dem Tod des "Querdenkers" (dwdl.de) Frank Schirrmacher vakante Herausgeber-Posten ab 2015 von Felicitas von Lovenberg bekleidet werden.

Und nicht nur das. "Zum ersten Mal könnte bald eine Frau an der Spitze der Gala stehen" (meedia.de unter Berufung auf new-business.de), Anne Meyer-Minnemann! Schließlich wechselt der bisherige Chef Christian Krug ab Oktober zum kaum minder renommierten Stern. Eine kurze Onlinerecherche bei gala.de ergibt: Meyer-Minnemann macht auf dem Red Carpet mindestens so bella figura wie ihr Vorgänger.

Was FAZ und Gruner + Jahr, der Verlag der Flaggschiffe Stern und Gala, außerdem gemeinsam haben, bleiben die geschäftlichen Probleme. Simon erwähnt in ihrem Artikel noch bei der FAZ just beschlossene, Roland-Berger-Berater-empfohlene Sparmaßnahmen. Die TAZ befasst sich heute sowohl mit den beschämenden Sparmaßnahmen an Schülern von G+Js renommierter Henri-Nannen-Schule (Altpapier gestern) als auch, in der Medienkriegsreportage eher sarkastisch, mit der "Margaret Thatcher des Verlagswesens", Julia Jäkel. Bzw. vor allem mit ihrem Ehemann Uli Wickert, den Silke Burmester im ARD-Werbeblock für diese Initiative werbend entdeckte.

Wobei: Wenn auch bezahlt, immerhin engagiert sich Wickert für den Klimaschutz, der den Apple-phorisierten Nachrichtenmedien ansonsten am After vorbeigeht.

[+++] Was geht beim renommierten Spiegel? Herrscht weiterhin dicke Luft? Ganz im Gegenteil (cc @floskelwolke)! "Wie dünn die Luft für alle Beteiligten" auf einmal "zu sein scheint", berichtet wiederum meedia.de. Aber blieb sie auch heiß, die Luft?

Wohl schon. Anlass ist schließlich ein "Brandbrief" von "allen zwölf Print-Ressortleitern" (die man, wenn es noch wuchtiger klingen soll, auch, wie der Tagesspiegel, "Vollressortleiter" nennen könnte), den die Ressortchefs breit gestreut haben. Nachzulesen ist er im meedia.de-Bonusmaterial, so wie auch der Offene Brandbrief der Stern-Redaktion an Julia Thatcher. Michael Hanfeld hat für faz.net (dieser Artikel gehört nicht zu den drei Hanfeld-Texten auf der heutigen FAZ-Medienseite) gleich beide Briefe gelesen und sieht, was die Spiegel-Vollchefs wollen, nicht so dramatisch ("Das klingt ein bisschen nach 'Wandel durch Annäherung' ..."). Aber dramatischer wirkt's natürlich, wenn man es dramatisch sieht, wie etwa turi2.de vorführt:

"Auch innerhalb von Spiegel Online gibt es Neid von Redakteuren aus dem Fußvolk auf die Ressortleiter, die künftig nach Verträgen des Print-'Spiegel' bezahlt werden sollen. Würden alle SpOn-Redakteure wie Print-Redakteure bezahlt, würde der Spiegel Online ins Minus rutschen, argumentiert die Verlagsleitung. 2014 liegen die Werbeeinnahmen aufgrund des Preisverfalls bei Bannerwerbung bereits 1,5 Mio Euro unter Plan",

heißt es dort, und:

"Ein Lösung des Konflikts ist weniger absehbar denn je".

Das klingt fast schon wie beim Klimawandel.
 


Altpapierkorb

+++ Der Noch-ein-bisschen-Verlag Axel Springer und "fundierte Berichterstattung über europäische Politik" - kein Begriffspaar, das vielen Menschen spontan einfallen würde. Aber Springer plant so etwas zusammen mit politico.com. Turi2.de weiß von "bis zu 100 Stellen", die binnen zwei Jahren in Brüssel entstehen sollen, darunter sicher auch welche für Journalisten. +++ Was politico.com noch mal ist, steht heute in anderem Zusammenhang, noch ohne die Springer-News, und am Rande auf der SZ-Medienseite: ein 2007gegründetes Portal, das "die Post als Lieferant exklusiver Nachrichten aus Washington abgelöst" hat. Thema dieses Artikels: der Rücktritt der Washington Post-Herausgeberin Katharine Weymouth, zu deren Nachfolger der Amazon-Gründer Jeff Bezos, "der Inbegriff eines rücksichtslosen Internetunternehmers", den politico.com-Mitgründer Frederick Ryan bestimmt hat. +++

+++ In manchen Randspaltenmeldungen zu lesen, online am ausführlichsten bei funkemedien.de selbst: "Funke Mediengruppe gibt sich neue Führungsspitze". Einer der beiden Geschäftsführer, die "im vergangenen Jahr die Übernahme verschiedener Springer-Titel eingefädelt und erst im Januar die Geschäftsführung von Christian Nienhaus übernommen" hatten (SZ), Thomas Ziegler, geht schon wieder. +++ Und zwar "ins oberste Führungsgremium von Aldi Süd" (handelsblatt.com), also einem Unternehmen, das mit Journalismus auch im weiteren Sinne nichts zu tun hat - außer, dass es als Werbeschalter eine wichtige Rolle bei der Lokalzeitungsfinanzierung spielt. +++

+++ Uiuiui. Den Satz "Dass Frau Springer es aber zulässt, dass Frau Mohn persönlich angegriffen wird, zeigt, wie stillos das Haus Springer geworden ist" hörte Bülen Ürük von einem "hochrangigen Bertelsmann-Manager", der in alter Bertelsmann-Manager-Tradition natürlich ungenannt bleiben wollte, und machte eine newsroom.de-Meldung draus. Es geht um etwas, das Springer-Neuzugang  Klaus Boldt in der Welt-Beilage namens Bilanz-Magazin über "unternehmerisches Talent" der Mohns geschrieben habe. +++

+++ "Nur Tage, nachdem die türkische Regierung Gastgeber einer hochrangig besetzten Konferenz zum Thema Web-Governance in Istanbul war", hat sie ein neues Gesetz zur Zensur des Internet auf den Weg gebracht (wallstreetjournal.de, das übrigens auch mit Apple-Liveblog am Start war). +++

+++ Den weniger bekannten Digitalsender Eins Festival nennt Claudia Tieschky beim freundlichen Besprechen der Reihe "Landschwärmer" das "hinterste Brandenburg der ARD" (SZ-Medienseite). +++

+++ "Dem gebührenfinanzierten Fernsehen hat der Gesetzgeber einen sogenannten Bildungsauftrag mit auf den Weg gegeben,  ... und manchmal kann man die Kollateralschäden einer solchen Ernsthaftigkeitsverpflichtung in Fernsehfilmen bewundern. Gesellschaftlich relevante Themen (Komasaufen bei Jugendlichen, Steuerhinterziehung) werden in parabelhafte Problemstücke verpackt und von  bekannten Schauspielern aufgeführt, die dann im Presseheft brav über die Wichtigkeit der Botschaft referieren. Nach dem Film diskutieren Politiker das Thema gerne noch bei Anne Will", die heute aber noch Sommerpause hat. Das schreibt Katharina Riehl ebd. über "Ein offener Käfig", den 20.15 Uhr-Fernsehfilm. +++ Der halte "eine Lehre parat, um derentwillen die Handlung zum Ende hin ein wenig zu deutlich konstruiert wird", schreibt Hanfeld in der FAZ, findet ihn aber okay. +++ Ist's Tagestipp hier nebenan? Ist es. +++ Klaudia Wick (BLZ) dachte ans St. Florians-Prinzip. Thomas Gehringer (Tsp.) sieht "die zwiespältige Rolle der Medien - von den sozialen Netzwerken und dem Internet ganz zu schweigen - ... in der braven Fernsehinszenierung ... weitgehend ausgeklammert". +++

+++ Derselbe beglossiert im epd medien-Tagebuch die unglücklich gestarteten Transparenzbemühungen der zumindest personalstarken NRW-Medienpolitik: Die Medienkommission der LfM ... "tagte am 29. August zum ersten Mal nach der Verabschiedung des  Gesetzes - und erstmals in ihrer Geschichte öffentlich, was auch eine Art Transparenzübung war. Dass dort nun einige ihrem Ärger über den Anti- Brautmeier-Paragrafen Luft machten, geschah nach Ansicht von SPD-Politiker Ernst-Wilhelm Rahe vor allem deshalb, weil plötzlich eine Handvoll Journalisten im Saal war. Nur eine inszenierte Empörung für die Öffentlichkeit also? Ein "infamer Vorwurf", gab der FDP-Abgeordnete Thomas Nückel zurück ..." +++

+++ Noch eine nicht so gute Nachricht für den Spiegel-Konzern:  Sat.1 muss Sendungen wie die "Spiegel TV Reportage" (aber auch "Weck Up" und "Focus TV Reportage") einstweilen nicht mehr ausstrahlen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz auf dem äußerst komplexen Terrain der Drittsendezeiten. Dazu der gedruckte Hanfeld-Artikel Nr. 2: "Deutlicher geht es nicht. Die Landesmedienanstalt kann die Vergabe der Drittsendezeiten nun neu eröffnen oder ein endgültiges Gerichtsurteil in der  Hauptsache anstreben. Beides dürfte mindestens ein Dreivierteljahr in Anspruch nehmen, wenn nicht länger dauern. Für die Produktionsfirmen stellt dies eine existentielle Bedrohung dar ..." +++ Sein dritter Artikel gilt der womöglich auch von Sigmar Gabriel mit erwirkten Entscheidung der noch amtierenden EU-Kommission, mit dem Quasi-Monopolisten Google keinen Deal einzugehen (sueddeutsche.de): Die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker "könnte eine schöne, weltweit wirkende digitalpolitische Entscheidung ins Haus stehen. Er könnte dabei auch den Rat des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz einholen", der wie Gabriel auch in der FAZ-Digitaldebatte mitdebattiert hat. +++

+++ Außerdem berichtet vom die FAZ vom Kölner "Kids-Summit" der u.a. von Lutz Hachmeister betriebenen "Medienagentur" HMR International, der vor allem eine "Super-RTL-Werbeveranstaltung" gewesen sei. +++ Sowie über cruxnow.com, ein Katholiken-Portal des Boston Globe, "an dem die Kurie in Rom eventuell keine Freude hat" ... +++

+++ Wie Netflix-Vertreter "seit mehr als neun Monaten ... Branchenaufsehern, Datenbeauftragten und politisch Verantwortlichen quer über den Kontinent hinweg ihre Aufwartung" machten, um den fast so gespannt wie das iPhone 7 erwarteten Europastart von Netflix vorzubereiten, berichtet wiederum das schon erwähnte deutsche Online-Wallstrett Journal. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.


 

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